Drucksache - 2023/2  

 
 
Betreff: Neuordnung des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) politisch unverantwortlich?
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:CDU-Fraktion 
Verfasser:Statzkowski 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
22.06.2006 
53. Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vertagt   
31.08.2006 
54. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vertagt   
23.11.2006 
3. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin schriftlich beantwortet   
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
Bezirksverordnetenversammlung Beratung

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
1. Version vom 13.06.2006
2. Version vom 17.10.2006

Wir fragen das Bezirksamt:

Wir fragen das Bezirksamt:

 

1.                 Welche Nachteile sieht das Bezirksamt durch die Neustrukturierung des ÖGD durch das neue von der rot-roten Koalition beschlossene Gesundheitsdienstreformgesetz?

2.                 Sieht das Bezirksamt schon jetzt einen Mangel an Fachkräften im ÖGD durch den bereits eingetretenen Einstellungsstopp?

3.                 Ist die Finanzierung sowohl der klassischen als auch der neu definierten Aufgaben sichergestellt?

4.                 Wie kommt die zuständige Senatorin zu der Annahme, dass in den Bezirken dauerhafte Einsparungen ohne Leistungsreduzierung für die Bürgerinnen und Bürger im erheblichen Umfang zu erwarten sind?

5.                 Welche Änderungen ergeben sich durch die Neustrukturierung des ÖGD grade für die Kinder in unserem Bezirk?

 

 

 

 

Sehr geehrte Frau Bezirksverordnetenvorsteherin,

die Große Anfrage beantworte ich für das Bezirksamt wie folgt:

Zu 1.
Das neue Gesundheitsdienstreformgesetz wurde am 03.06.2006 im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin veröffentlicht. Eine entsprechend angepasste Zuständigkeitsverordnung soll zum Jahresende 2006 vorgelegt werden.

Im Gesetz fehlen vielfach verbindliche Festlegungen und konkrete Aufgabenzuweisun-gen. Die Formulierungen zu Arbeitsinhalten des ÖGD sind z.T. sehr vage. Das Ziel des Personalabbaus ist deutlich formuliert und stellt aus Sicht des Gesundheitsamtes eine Bedrohung der sachgerechten Aufgabenerfüllung dar. Es besteht die Gefahr, dass durch unterschiedliche Einsparungen in den Bezirken eine uneinheitliche Angebotsstruktur zustande kommt. Es ist keinerlei steuernde Richtung für einen – vielleicht nicht zu verhindernden – Personalabbau zu erkennen. Innerhalb des ÖGD sind kleine, hochspezialisierte Facheinheiten tätig, die durch Wegfall weniger Stellen völlig handlungsunfähig werden. Im Gesetz fehlen klare Organisationsvorgaben wie verbindliche Mindestausstattungen sowie Aussagen zum Einstellungskorridor.

In §1, Absatz (1) des Gesundheitsdienstreformgesetzes heißt es: Der öffentliche Gesundheitsdienst stellt sich den großstadttypischen gesundheitlichen und sozialen Problemlagen und reagiert flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingungen.
Absatz (3): Der öffentliche Gesundheitsdienst stellt insbesondere die Wahrnehmung folgender Kernaufgaben sicher:
1. Qualitätsentwicklung, Planung und Koordination
2. Prävention, Gesundheitsförderung, Gesundheitshilfe und Schutz der Gesundheit für Kinder und Jugendliche
3. Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitshilfe für Erwachsene.
4. Infektionsschutz, umweltbezogener Gesundheitsschutz und Katastrophenschutz
5. Aufsicht über die Berufe und Einrichtungen des Gesundheitswesens....
(4): ... Soweit es sich nicht um Aufgaben handelt, die als Pflichtaufgaben in anderen Landesgesetzen, auf Bundesrecht oder auf dem Recht der Europäischen Union beruhen, erfolgt die Wahrnehmung der in §1 (3) im Einzelnen beschriebenen Aufgaben nach Maßgabe der mit dem Haushaltsplan zur Verfügung gestellten Mittel.

Die Aufgabenerfüllung kann nur erreicht werden, wenn auch eine ausreichende Ausstattung gewährleistet ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Demgegenüber steht eine angemessene Gewichtung der prophylaktischen Aufgaben, allerdings ebenfalls ohne jede Aussage zum Mindestrahmen der Finanzierung.

Zu 2.
Es sind bereits jetzt große Einsparungen beim Personal im ÖGD erbracht worden. Die vorhandenen Kapazitäten stellen eine Minimalbesetzung für die Erfüllung der bisher gesetzlich definierten Aufgaben dar, wobei mitunter Wartezeiten für die Bürger unumgänglich sind. Ein Spielraum für weitere Personaleinsparungen ist nicht mehr gegeben. Eine Neubesetzung frei gewordener Stellen gestaltet sich generell äußerst schwierig. Im Zentralen Stellenpool des Landes Berlin gibt es kaum Mitarbeiter mit Berufsgruppen, die für den ÖGD gebraucht werden. Es gibt weder Sozialarbeiter noch Fachärzte noch Gesundheitsaufseher oder anderes medizinisches Personal. Die Prozedur der Außeneinstellung mit einer Ausnahmegenehmigung durch die Senatsfinanzverwaltung ist aufwändig, langwierig und selten von Erfolg gekrönt. Hier wären verbindliche Zusagen zur Besetzung von Stellen mit dem notwendigen Fachpersonal auch durch Außeneinstellung wünschenswert.

Im Bereich der Gesundheitlichen Dienste für Kinder und Jugendliche als Teil des Jugendamtes wird versucht, einige Lücken in der Personalausstattung durch Synergieeffekte innerhalb des gemeinsamen Jugendamtes aufzufangen. Die Perspektive ist allerdings wegen des höheren Lebensalters der Mitarbeiter/innen erheblich eingeschränkt. Trotzdem hat Charlottenburg-Wilmersdorf anders als andere Bezirke ein “Ausbluten” der Gesundheitlichen Dienste bisher verhindert.

Die künftige Zielstruktur des ÖGD, die am 31. Juli 2006 vom Hauptausschuss des AGH beschlossen werden soll, sieht nur für den Bereich Veterinär- und Lebensmittelaufsicht “künftiges Soll entspricht dem bestehenden ist” vor. Insofern wird es bei regelmäßigen Nachbesetzungen an Fachkräften Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsbereich keinen Mangel geben.

Zu 3.
Die Finanzierung sowohl der klassischen als auch der neu definierten Aufgaben ist nicht in allen Gesundheitsbereichen sicher gestellt. Die allgemeinen Sparmaßnahmen sowie die Zentralisierung einerseits (Zentrale medizinische Gutachtenstelle) und die geplanten Regionalisierungen von Aufgaben andererseits sollen weitere Personal- und Sachmitteleinsparungen erbringen. Damit ist eine Sicherstellung des bisherigen Angebotes fraglich. Aus stellenwirtschaftlicher Sicht scheint nur die Finanzierung sowohl der klassischen, als auch der neu definierten Aufgaben des Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsbereich gesichert.

Als Pflichtaufgaben sind im neuen Gesetz festgeschrieben die Einschulungs- und die Kitauntersuchungen, bei den Untersuchungen nach dem Arbeitsschutzgesetz die Berichterstattung. Alle diese Untersuchungen und die damit einher gehende Beratung von Eltern und Jugendlichen sind angesichts des eindeutig verschlechterten Gesundheitszustandes von Kindern und Jugendlichen und des Bewusstseins um Gesundheitsrisiken sehr wichtig. Klar ist jedoch auch, dass eine Erfüllung dieser Aufgaben nur möglich ist, wenn Ersatzeinstellungen für altersbedingt ausscheidendes Personal möglich ist. Die Finanzierung präventiver Aufgaben (Gesundheitsvorsorge) ist ebenso offen. Zu befürchten sind u.a. im therapeutischen Bereich Einschnitte in der Qualität der Versorgung. Dabei schlägt erschwerend zu Buche, dass in den Schulen zahlreiche behinderte Kinder und Jugendliche aus anderen Bezirken betreut werden, was einen Mehraufwand für unsere Beratungsstelle für behinderte und von Behinderung bedrohter Kinder und für den the-rapeutischen Dienst bedeutet. Ein Ausgleich zwischen den Bezirken hat hier bislang nicht stattgefunden. Bei einer eventuellen Festsetzung von Personalzahlen ist darauf zu achten.

Ob Mittel für andere und neue Aufgaben vorhanden sind bzw. zur Verfügung gestellt werden, wie z.B. für die Durchführung von Gesundheitskonferenzen, kann aus der Sicht des Gesundheitsamtes nicht beantwortet werden. Es fehlt in den dem Bezirksamt bekannten Entwürfen jede Konkretisierung bezüglich der Sicherstellung notwendiger Fort- und Ausbildungsmaßnahmen, die zur Aufgabenerfüllung unabdingbar notwendig sind – unabhängig von der Frage, ob alte oder neue Aufgaben wahrgenommen werden sollen.

Zu 4.
Diese Frage kann nur von der zuständigen Senatorin selbst beantwortet werden.

Zu 5.
Die Gesundheitlichen Dienste für Kinder und Jugendliche sind zur Zeit in Charlottenburg-Wilmersdorf als einzigem Berliner Bezirk komplett aus dem Gesundheitsamt ausgegliedert worden.

Das Gesundheitsdienstreformgesetz sieht einheitliche Strukturen für die Gesundheitsämter vor.

Wir begrüßen sehr, dass der Aufgabenkreis für Kinder und Jugendliche im neuen Gesetz festgelegt und in seiner Bedeutung betont wird – anders als in den Vorentwürfen vorgesehen. In § 8 (2) wurde aufgenommen, dass der öffentliche Gesundheitsdienst Aufgaben der Beratung, der psychosozialen Unterstützung und der Hilfevermittlung insbesondere für folgende Zielgruppen wahrnimmt, soweit sie nicht durch Dritte gewährleistet werden:
1. für Säuglinge und Kleinkinder, insbesondere wenn die Schwangerschaft oder die Geburt regelwidrig verlaufen ist, sich Besonderheiten in der frühkindlichen Entwicklung zeigen oder es zum Schutz vor anderweitigen Risiken notwendig ist; hierzu erfolgt eine enge Information und Kooperation mit Geburtskliniken, Kinder- und Frauenärzten, Hebammen und Jugendämtern zur Gewährleistung eines effektiven Gesundheits- und Kinderschutzes.
(3) Die im öffentlichen Gesundheitsdienst tätigen Personen haben umgehend das Jugendamt zu informieren, soweit sie im Rahmen ihrer Tätigkeit Anzeichen von Misshandlungen oder grober Vernachlässigung wahrnehmen, die auf eine Kindeswohlefährdung schließen lassen, um notwendige Hilfen einzuleiten.

Hiermit wird im Gesetz besonders der wichtigen Aufgabe des Kinderschutzes Rechnung getragen.

Mit freundlichen Grüßen

M. Schmiedhofer

 


 

 
 

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