Wir fragen
das Bezirksamt:
1.
Welche
Nachteile sieht das Bezirksamt durch die Neustrukturierung des ÖGD durch das
neue von der rot-roten Koalition beschlossene Gesundheitsdienstreformgesetz?
2.
Sieht
das Bezirksamt schon jetzt einen Mangel an Fachkräften im ÖGD durch den bereits
eingetretenen Einstellungsstopp?
3.
Ist
die Finanzierung sowohl der klassischen als auch der neu definierten Aufgaben
sichergestellt?
4.
Wie
kommt die zuständige Senatorin zu der Annahme, dass in den Bezirken dauerhafte
Einsparungen ohne Leistungsreduzierung für die Bürgerinnen und Bürger im
erheblichen Umfang zu erwarten sind?
5.
Welche
Änderungen ergeben sich durch die Neustrukturierung des ÖGD grade für die
Kinder in unserem Bezirk?
Sehr
geehrte Frau Bezirksverordnetenvorsteherin,
die Große Anfrage beantworte ich für das Bezirksamt wie folgt:
Zu 1.
Das neue Gesundheitsdienstreformgesetz wurde am 03.06.2006 im Gesetz- und
Verordnungsblatt für Berlin veröffentlicht. Eine entsprechend angepasste
Zuständigkeitsverordnung soll zum Jahresende 2006 vorgelegt werden.
Im Gesetz fehlen vielfach verbindliche Festlegungen und konkrete
Aufgabenzuweisun-gen. Die Formulierungen zu Arbeitsinhalten des ÖGD sind z.T.
sehr vage. Das Ziel des Personalabbaus ist deutlich formuliert und stellt aus
Sicht des Gesundheitsamtes eine Bedrohung der sachgerechten Aufgabenerfüllung
dar. Es besteht die Gefahr, dass durch unterschiedliche Einsparungen in den
Bezirken eine uneinheitliche Angebotsstruktur zustande kommt. Es ist keinerlei
steuernde Richtung für einen – vielleicht nicht zu verhindernden –
Personalabbau zu erkennen. Innerhalb des ÖGD sind kleine, hochspezialisierte
Facheinheiten tätig, die durch Wegfall weniger Stellen völlig handlungsunfähig
werden. Im Gesetz fehlen klare Organisationsvorgaben wie verbindliche
Mindestausstattungen sowie Aussagen zum Einstellungskorridor.
In §1, Absatz (1) des Gesundheitsdienstreformgesetzes heißt es: Der öffentliche
Gesundheitsdienst stellt sich den großstadttypischen gesundheitlichen und
sozialen Problemlagen und reagiert flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingungen.
Absatz (3): Der öffentliche Gesundheitsdienst stellt insbesondere die
Wahrnehmung folgender Kernaufgaben sicher:
1. Qualitätsentwicklung, Planung und Koordination
2. Prävention, Gesundheitsförderung, Gesundheitshilfe und Schutz der Gesundheit
für Kinder und Jugendliche
3. Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitshilfe für Erwachsene.
4. Infektionsschutz, umweltbezogener Gesundheitsschutz und Katastrophenschutz
5. Aufsicht über die Berufe und Einrichtungen des Gesundheitswesens....
(4): ... Soweit es sich nicht um Aufgaben handelt, die als Pflichtaufgaben in
anderen Landesgesetzen, auf Bundesrecht oder auf dem Recht der Europäischen
Union beruhen, erfolgt die Wahrnehmung der in §1 (3) im Einzelnen beschriebenen
Aufgaben nach Maßgabe der mit dem Haushaltsplan zur Verfügung gestellten
Mittel.
Die Aufgabenerfüllung kann nur erreicht werden, wenn auch eine ausreichende
Ausstattung gewährleistet ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Demgegenüber
steht eine angemessene Gewichtung der prophylaktischen Aufgaben, allerdings
ebenfalls ohne jede Aussage zum Mindestrahmen der Finanzierung.
Zu 2.
Es sind bereits jetzt große Einsparungen beim Personal im ÖGD erbracht worden.
Die vorhandenen Kapazitäten stellen eine Minimalbesetzung für die Erfüllung der
bisher gesetzlich definierten Aufgaben dar, wobei mitunter Wartezeiten für die
Bürger unumgänglich sind. Ein Spielraum für weitere Personaleinsparungen ist
nicht mehr gegeben. Eine Neubesetzung frei gewordener Stellen gestaltet sich
generell äußerst schwierig. Im Zentralen Stellenpool des Landes Berlin gibt es
kaum Mitarbeiter mit Berufsgruppen, die für den ÖGD gebraucht werden. Es gibt
weder Sozialarbeiter noch Fachärzte noch Gesundheitsaufseher oder anderes
medizinisches Personal. Die Prozedur der Außeneinstellung mit einer
Ausnahmegenehmigung durch die Senatsfinanzverwaltung ist aufwändig, langwierig
und selten von Erfolg gekrönt. Hier wären verbindliche Zusagen zur Besetzung
von Stellen mit dem notwendigen Fachpersonal auch durch Außeneinstellung
wünschenswert.
Im Bereich der Gesundheitlichen Dienste für Kinder und Jugendliche als Teil des
Jugendamtes wird versucht, einige Lücken in der Personalausstattung durch
Synergieeffekte innerhalb des gemeinsamen Jugendamtes aufzufangen. Die
Perspektive ist allerdings wegen des höheren Lebensalters der Mitarbeiter/innen
erheblich eingeschränkt. Trotzdem hat Charlottenburg-Wilmersdorf anders als
andere Bezirke ein “Ausbluten” der Gesundheitlichen Dienste bisher
verhindert.
Die künftige Zielstruktur des ÖGD, die am 31. Juli 2006 vom Hauptausschuss des
AGH beschlossen werden soll, sieht nur für den Bereich Veterinär- und
Lebensmittelaufsicht “künftiges Soll entspricht dem bestehenden
ist” vor. Insofern wird es bei regelmäßigen Nachbesetzungen an
Fachkräften Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsbereich keinen Mangel geben.
Zu 3.
Die Finanzierung sowohl der klassischen als auch der neu definierten Aufgaben
ist nicht in allen Gesundheitsbereichen sicher gestellt. Die allgemeinen
Sparmaßnahmen sowie die Zentralisierung einerseits (Zentrale medizinische
Gutachtenstelle) und die geplanten Regionalisierungen von Aufgaben andererseits
sollen weitere Personal- und Sachmitteleinsparungen erbringen. Damit ist eine
Sicherstellung des bisherigen Angebotes fraglich. Aus stellenwirtschaftlicher
Sicht scheint nur die Finanzierung sowohl der klassischen, als auch der neu
definierten Aufgaben des Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsbereich gesichert.
Als Pflichtaufgaben sind im neuen Gesetz festgeschrieben die Einschulungs- und
die Kitauntersuchungen, bei den Untersuchungen nach dem Arbeitsschutzgesetz die
Berichterstattung. Alle diese Untersuchungen und die damit einher gehende
Beratung von Eltern und Jugendlichen sind angesichts des eindeutig
verschlechterten Gesundheitszustandes von Kindern und Jugendlichen und des
Bewusstseins um Gesundheitsrisiken sehr wichtig. Klar ist jedoch auch, dass
eine Erfüllung dieser Aufgaben nur möglich ist, wenn Ersatzeinstellungen für
altersbedingt ausscheidendes Personal möglich ist. Die Finanzierung präventiver
Aufgaben (Gesundheitsvorsorge) ist ebenso offen. Zu befürchten sind u.a. im
therapeutischen Bereich Einschnitte in der Qualität der Versorgung. Dabei
schlägt erschwerend zu Buche, dass in den Schulen zahlreiche behinderte Kinder
und Jugendliche aus anderen Bezirken betreut werden, was einen Mehraufwand für
unsere Beratungsstelle für behinderte und von Behinderung bedrohter Kinder und
für den the-rapeutischen Dienst bedeutet. Ein Ausgleich zwischen den Bezirken
hat hier bislang nicht stattgefunden. Bei einer eventuellen Festsetzung von
Personalzahlen ist darauf zu achten.
Ob Mittel für andere und neue Aufgaben vorhanden sind bzw. zur Verfügung
gestellt werden, wie z.B. für die Durchführung von Gesundheitskonferenzen, kann
aus der Sicht des Gesundheitsamtes nicht beantwortet werden. Es fehlt in den
dem Bezirksamt bekannten Entwürfen jede Konkretisierung bezüglich der
Sicherstellung notwendiger Fort- und Ausbildungsmaßnahmen, die zur
Aufgabenerfüllung unabdingbar notwendig sind – unabhängig von der Frage,
ob alte oder neue Aufgaben wahrgenommen werden sollen.
Zu 4.
Diese Frage kann nur von der zuständigen Senatorin selbst beantwortet werden.
Zu 5.
Die Gesundheitlichen Dienste für Kinder und Jugendliche sind zur Zeit in
Charlottenburg-Wilmersdorf als einzigem Berliner Bezirk komplett aus dem
Gesundheitsamt ausgegliedert worden.
Das Gesundheitsdienstreformgesetz sieht einheitliche Strukturen für die
Gesundheitsämter vor.
Wir begrüßen sehr, dass der Aufgabenkreis für Kinder und Jugendliche im neuen
Gesetz festgelegt und in seiner Bedeutung betont wird – anders als in den
Vorentwürfen vorgesehen. In § 8 (2) wurde aufgenommen, dass der öffentliche
Gesundheitsdienst Aufgaben der Beratung, der psychosozialen Unterstützung und
der Hilfevermittlung insbesondere für folgende Zielgruppen wahrnimmt, soweit
sie nicht durch Dritte gewährleistet werden:
1. für Säuglinge und Kleinkinder, insbesondere wenn die Schwangerschaft oder
die Geburt regelwidrig verlaufen ist, sich Besonderheiten in der frühkindlichen
Entwicklung zeigen oder es zum Schutz vor anderweitigen Risiken notwendig ist;
hierzu erfolgt eine enge Information und Kooperation mit Geburtskliniken,
Kinder- und Frauenärzten, Hebammen und Jugendämtern zur Gewährleistung eines
effektiven Gesundheits- und Kinderschutzes.
(3) Die im öffentlichen Gesundheitsdienst tätigen Personen haben umgehend das
Jugendamt zu informieren, soweit sie im Rahmen ihrer Tätigkeit Anzeichen von
Misshandlungen oder grober Vernachlässigung wahrnehmen, die auf eine
Kindeswohlefährdung schließen lassen, um notwendige Hilfen einzuleiten.
Hiermit wird im Gesetz besonders der wichtigen Aufgabe des Kinderschutzes
Rechnung getragen.
Mit freundlichen Grüßen
M. Schmiedhofer