Auszug - Vorstellung der Ergebnisse des Grobscreenings Milieuschutzgebiete in Charlottenburg – Wilmersdorf 17:30 – 18:30  

 
 
84. Öffentliche Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung - Besucher möchten sich bitte vorab im BV-Büro anmelden
TOP: Ö 3
Gremium: Ausschuss für Stadtentwicklung Beschlussart: erledigt
Datum: Mi, 19.08.2020 Status: öffentlich
Zeit: 17:30 - 19:10 Anlass: ordentliche Sitzung
Raum: BVV-Saal
Ort: Otto-Suhr-Allee 100, 10585 Berlin
 
Beschluss


Ein Grobscreening fand im vergangenen Jahr statt von der LPG mbH statt. Herr Schröder und Frau Köker stellen die Ergebnisse vor. Im Frühjahr wurde der Bericht online gestellt. Die Methodik und das Analyseschema werden heute vorgestellt.

Methodik: Die Bewertung ist in vier Module geteilt, in Gebietskulisse; Bauarten, Nutzungsart und Eigentümerstruktur. Dann findet der Ausschluss ungeeigneter Teilgebiete statt. Die Verdrängungspotentiale etc. werden anhand von Sekundärdaten und Ortsbegehungen durchgeführt.

 

Analyseebenen:

1. Aufwertungspotential (Wohn- und Gebäudebestand)

2. Aufwertungsdruck (Wohnungsmarktpolitische Elemente, anhand der Grundbuchumschreibungen, Entw. der Sozialmietwohnungen, etc.)

3. Verdrängungspotential (Bevölkerungszusammensetzung: Altersstruktur, Anteil Sozialhilfeempfänger*innen und Menschen mit Migrationshintergrund, Wohndauer, monatl. Haushaltskaufkraft)

4. Veränderungsbelegung (s.o., jedoch innerhalb von 5 Jahren betrachtet; wie hat sich die Bevölkerung verändert?)

Das Gutachten umfasst 34 Planungsräume. Im Gutachten ist eine ausführliche Analyse anhand von Steckbriefen zu finden. Die Untersuchung identifiziert abschließend 2 Verdachtsgebiete und 5 Beobachtungsgebiete. Eine Karte zeigt die große Spannbreite empfohlener Untersuchungsgebiete. Zwei Drittel der Planungsräume werden dafür empfohlen.

Verdachtsgebiete:

-          Verdachtsgebiet 1: Klausenerplatz/Sophie-Charlotte-Platz: hohes Umwertungspotential, erhöhte Bautätigkeit und steigende Angebotsmieten

-          Verdachtsgebiet 2: Alt-Lietzow/Karl-August-Platz: Verdrängungspotential und hohe Umwandlungen; Veränderungsbewegungen konnten nachgewiesen werden.

Für beide diese Verdachtsgebiete sind vertiefende Untersuchungen empfohlen. Erneute Überprüfung der Indikatoren in den nächsten zwei Jahren.

Beobachtungsgebiete:

-          Jungfernheide: Siemensstadt als UNESCO-Weltkulturerbe; hohes Aufwertungspotential anhand Eigentümerstruktur nachgewiesen; Aufwertungsdruck noch nicht feststellbar; Verdrängungspotential ist gegeben, erste Veränderungsbewegungen lassen sich nachweisen;

-          Wilmersdorf West: mittleres Aufwertungspotential, Aufwertungsdruck stark ausgeprägt, hohe Angebotsmieten und Kaufpreise, Veränderungsbewegungen bisher gering ausgeprägt

-          Wilmersdorf Mitte: mittleres Aufwertungspotential, Aufwertungsdruck stark; Veränderungsbewegungen bisher gering

-          Wilmersdorf Ost: mittleres Verdrängungspotential (durchschnittliche Kaufkraft), keine Veränderungsbewegungen sichtbar

-          Brabanterplatz: umfassende energetische Sanierungen, starkes Verdrängungspotential, Veränderungsbewegungen noch nicht sichtbar

Frau Bartsch aus dem Fachbereich Stadtplanung: Bei den Steckbriefen wird insgesamt deutlich, dass zunehmend überall im Bezirk Menschen mit mehr Kaufkraft und mehr Menschen mit Migrationshintergrund wohnen; relativ hoher Anteil bei Neubau von Eigentumswohnungen.

BV Gusy fragt nach Gebieten, dessen direkte Nachbarschaft schon geschützt ist. Ist man nicht schon viel zu spät dran und man sollte nicht erst in 2 Jahren schauen, sondern eher jetzt? Frau Bartsch: Bereits im Jahr 2016 (als Schöneberg die Erhaltungsgebiete festgesetzt hat) wurden angrenzende Gebiete untersucht, damals war es so, dass die Voraussetzungen für die Erhaltungssatzung nicht gegeben waren; bauliche Veränderung (sehr viel weniger Nachkriegsbauten, viel erhaltener Altbaubestand aus Gründerzeit). In Wilmersdorf Ost ist ein sehr großes Neubaugebiet mit Eigentumswohnungen, damit besteht keine Verdrängungsgefahr.

BV Tillinger weist auf ein „Spannungsfeld“ hin, das der Bezirk seit ein paar Jahren hat. In bestimmten Gebieten findet Verdrängung statt, aber die statistischen Zahlen sprechen dagegen. „Wir kommen nicht drum herum, uns die Gebiete einzeln genauer anzuschauen.“ Frau Bartsch weist auf die fehlenden Voraussetzungen hin.

Herr Schröder von der LPG: „Die detaillierten Befragungen bedeuten hoher finanzieller Aufwand, es ist daher nicht sinnvoll, etwas detailliert zu untersuchen, wenn vorher klar ist, dass es nicht funktionieren wird“

BV Heyne zum Thema Aufwertungspotential durch „energetische Modernisierung: Wurde überprüft, ob das aus der wirtschaftlichen Perspektive des Eigentümers kommt oder Angleichung an die Bundesrichtlinien ist?

Frau Bartsch bestätigt, dass energetische Modernisierungen einen großen Verdrängungsfaktor ausmachen, da Eigentümer*innen einen Mehrwert des Hauses erreichen auf Kosten der Mieter*innen, ohne dass sie Einsparungen dadurch hatten. Ein gesetzlicher Mindeststandard in Erhaltungsgebieten muss immer genehmigt werden. BV Heyne beklagt, dass der Gesetzgeber in diesem Falle Vorschub leistet und entgegen der kommunalen Ziele agiert. BzStR Schruoffeneger weist auf die Problematik des Interessenswiderspruches hin.

BD Spielberg: Die betrachteten Planungsräume sind am Amtsgerichtsplatz getrennt, die müssten aber als Gesamtes geschützt werden. In Schöneberg, am Bayrischen Platz, ist die Charlottenburger-Wilmersdorfer Seite spiegelbildlich zu der in Schöneberg, beide Gebiete haben die gleiche Bebauung, aber in Schöneberg gibt es diese Erhaltungssatzung, in Charlottenburg nicht.

Frau Köker von der LPG: Wir müssen uns im rechtlichen Rahmen bewegen, beim Amtsgerichtsplatz z.B. sind uns die Hände gebunden. Bzgl. Wilmersdorf Ost: Hier bestehen ein mittleres bis starkes Aufwertungspotential, keine Veränderungsbewegungen, und das Verdrängungspotential ist nur mittel ausgeprägt.

BV Schenker: Wie geht man mit dem Gutachten um? Wenn wir als Ausschuss sagen, dass das ein wichtiges Anliegen ist, dann sollten wir 7 Vollzeitkräfte und unsere verbleibenden Mittel nutzen, um sich Gebiete detailliert anzusehen, wo die Indikatoren noch nicht erfüllt sind. Auch wenn eine detaillierte Haushaltsbefragung dann herausstellt, dass der Erlass einer Erhaltungssatzung nicht möglich ist, würde dabei niemandem geschadet. Inwiefern können einige Gebiete nicht mehr ausgewiesen werden, weil wir eh schon zu spät sind? 73.000 Wohnungen wurden von Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt in den letzten zehn Jahren, vor allem am Brabanterplatz ist das geschehen. Wir im Bezirk sind zu spät dran! Wie viele von den 7 Vollzeitäquivalenten sind gerade besetzt, wie geht es da weiter? BzStR Schruoffeneger: Wir haben 200.000€ im Bereich Milieuschutz, eine Hälfte ist in Mieterberatung gegangen, die andere in das Gutachten. Das Geld ist erschöpft.

Herr Schröder zu der Frage zum Amtsgerichtsplatz und Schloßstraße: Bei den Kernindikatoren wird deutlich, dass die Bereiche in der bürointernen Statistik ganz hinten sind. Er rät davon ab, eine weitere Untersuchung in Auftrag zu geben. Wenn die Verdachtsgebiete sich nicht bestätigen, sollte sich von den Beobachtungsgebieten ferngehalten werden.

BD Szelag bemerkt den Widerspruch zwischen Wissenschaft und Politik. Die Untersuchung ist hilfreich, aber zwei Jahre sind zu langfristig, v.a. gegenüber der Schnelligkeit, mit der sich Mieten ändern. In zwei Jahren hätten schon etliche Umwandlungen stattgefunden. Wir Politiker müssen diesen Aspekt im Auge haben. BV Tillinger fragt nach der Stichhaltigkeit der Haushaltsbefragungen, diese ist geprägt von Zufälligkeiten. „Wir sprechen von der Miete und dem Mietaufkommen und dem daraus resultierenden Verdrängungsdruck. Soziales Gefüge innerhalb eines Gebietes muss erhalten werden, das muss so sichergestellt werden, dass es der Zusammensetzung des Gebietes entspricht. Das wurde hier nicht mit durchdacht und abgewogen.“

Herr Schröder erklärt, dass jeder zweite Haushalt angeschrieben wurde und eine vergleichsweise hohe Rücklaufquote von 24% bestand.

BzStR Schruoffeneger kann die Unzufriedenheit nachvollziehen, bemerkt aber, dass dem Bezirk die Hände gebunden sind: „Wir können uns kein bezirkliches Verfahren ausdenken. Was wir machen können, ist den Abstand zu verkürzen, das ist eine Finanzierungsfrage.“

BV Wieland: Welches Beobachtungsgebiet würden Sie am ehesten in weiterer Untersuchung sehen, mit der größten Nähe zum Verdachtsgebiet? Herr Schröder: Im Nachbarbezirk Tempelhof-Schöneberg sind 3 Gebiete in genauer Kontrolle wegen einer Klageschrift gegen den Erlass der Satzung. Das Gebiet Jungfernheide ist am ehesten mit einer genaueren Untersuchung zu betrachten.

BV Gusy: Wir müssen diese Bewertung diskutieren, wir brauchen dafür einen Milieuschutzbeirat. Wir müssen ein Verfahren entwickeln, wie wir mit Unstimmigkeiten umgehen. Wir benötigen eine andere Interpretation und Bewertung der Ergebnisse.

BV Heyne: Wollen wir den Bezirk konservieren oder entwickeln? Wir müssen Instrumente interpretieren im Rahmen dessen, was rechtssicher sein wird. Solang wir Entwicklung des Bezirkes bremsen, inkl. Sozialwohnungsbau, dann dürfen wir uns nicht über Verdrängungsbewegungen wundern.

BV Schenker: Die Gutachten sind zwar die Basis für Entscheidungen, aber eher Empfehlungen. Die politische Entscheidung müssen die Politiker und der gewählte Stadtrat treffen. BV Schenker stimmt BV Gusy zum Bedarf des Milieuschutzbeirates zu. Der politische Druck für die Ausweisung ist gegeben. Wie viele Vollzeitäquivalente sind besetzt? Inwiefern können Sie abschätzen, ob wir zu spät kommen?

Herr Schröder: Die Nutzung der Aufwertungspotentiale braucht Zeitketten, das heißt es kommt immer zu zeitlichen Verzögerungen der verschiedenen Prozesse. Das Umwandlungsgeschehen in den sozialen Erhaltungsgebieten ist deutlich langsamer, aber nicht auf null. Jedes festgesetzte Milieuschutzgebiet erhöht den Druck auf die umliegenden Gebiete. Milieuschutzgebiete sind auch mit den Einschränkungen durch die Satzung interessant für Investoren, wie eine Studentin gerade in ihrer Masterarbeit herausfindet. BzStR Schruoffeneger: Im Amt gibt es derzeit zweieinhalb Mitarbeiter*innen mit drei Vollzeit-Äquivalenten.

Herr Neu: Meines Erachtens ist es eine politische Entscheidung. Er weist auf die gesellschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre hin: „Erhöhte Wohngeldanträge, Entlassungen, Ladenschließung –  damit wird die Schere zwischen Belastung und Anforderungen größer, denn die Mieten steigen.“ Er hinterfragt die Angst des Bezirkes vor Gerichtsprozessen.

BV Tillinger fragt nach den Normkontrollklagen in Tempelhof-Schöneberg: Haben die Gebiete genau dieses Prozedere das Sie hier angewandt haben durchlaufen? Herr Schröder: Dort sind festgesetzte soziale Erhaltungssatzungen auf der Grundlage von Untersuchungen. BV Tillinger: Wissenschaftliche Untersuchungen sagen, dass die Mieten hier im Bezirk weit über dem Berliner Durchschnitt sind, gleichzeitig haben 40% Mietbelastung von über 30%. Das allein sind Zahlen, die Erhaltungssatzung nötig machen, auch um die soziale Infrastruktur zu erhalten!“ BzStR Schruoffeneger: Das ist nicht die Rechtslage, das ist keine politische Steuerungsentscheidung.

BD Dr. Lautsch möchte anregen, über das Instrument des Milieuschutzes nachzudenken. Wie ist Milieuschutzgebiet aus volkswirtschaftlicher Sicht zu betrachten? Wie wirkt sich das auf den Bestand und die Eigentümer aus? Schlägt Subjektförderung statt Objektregulierung vor. Fragt nach Mittel- und Langfristigkeit.

 

 
 

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