Seit 2012 verfügt die Staatsanwaltschaft Berlin als europaweit einzige Strafverfolgungsbehörde über eine Sonderzuständigkeit für die spezialisierte, konzentrierte und opferorientierte Verfolgung homophober und transphober Hasskriminalität. Zugleich fungieren die Abteilungsleiterin, Frau Oberstaatsanwältin Karl, und Herr Staatsanwalt Oswald als Ansprechpersonen für LSBTI (früher: ‚Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen‘). Die Staatsanwaltschaft Berlin folgt damit dem Vorbild der Berliner Polizei, die hierfür bereits vor mehr als 20 Jahren eine eigenständige Stelle eingerichtet hatte.
Der Begriff der ‚homo- und transphoben Hasskriminalität’ bezieht sich freilich nicht bloß auf Delikte gegen Lesben, Schwule und Transgender – auch wenn schwulenfeindliche Straftaten in Berlin zahlenmäßig den Schwerpunkt ausmachen. Vielmehr ist unter dieser vereinfachenden Sammelbezeichung jede Form von vorurteilsmotivierter Kriminalität zu verstehen, die sich gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung richtet, also insbesondere aufgrund ihrer Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität, aber auch wegen jeder nicht-heteronormativen Lebensweise (LGBTI, LSBTI oder LSBTTIQ*).
Denn obwohl Berlin eine vielfältige Stadt ist, kommt es auch hier vor, dass Tradition, Glauben oder Ideologie einen offenen und vorurteilsfreien Umgang mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität erschweren und Menschen ausgegrenzt werden, deren Lebensweise engen heteronormativen Vorstellungen nicht entspricht. Diese Verschiedenheit führt mitunter zu Konflikten und Auseinandersetzungen, die nicht selten mit deliktischen Mitteln ausgetragen werden und durchaus auch die Qualität erheblicher Straftaten erreichen.
Gleichwohl erstatten die Betroffenen in den wenigsten Fällen Strafanzeige, da in der LSBTI-Community noch immer Vorbehalte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden bestehen. Die Gründe für dieses nachweislich zurückhaltende Anzeigeverhalten sind vielfältig. Noch bis ins Jahr 1994 konnten schwule Männer für homosexuelle Handlungen nach § 175 StGB bestraft werden – Rechtsgeschichte, die bis heute nachwirkt. Die dafür mittlerweile vorgesehene Entschädigung ist wie die sogenannte ‚Ehe für alle‘ eine relativ junge Entwicklung. Auch fühlen sich Opfer homo- und transphober Straftaten oft nicht mit der nötigen Sensibilität von Polizei und Justiz behandelt, fürchten ein erzwungenes Outing oder glauben zu Unrecht, dass die Anzeige zu nichts führt.
Es ist die Zielsetzung der Arbeit der Ansprechpersonen, innerhalb und außerhalb der Strafverfolgungsbehörden zu vermitteln, dass die in Berlin gelebte Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierungen nicht nur ein Grund- und Menschenrecht ist, sondern ein elementares, das demokratische Gemeinschaftsleben bereicherndes Gut, das strafrechtlichen Schutzes bedarf.
Deshalb werden bei der Staatsanwaltschaft Berlin sämtliche Strafverfahren wegen Delikten, denen eine homophobe oder transphobe Motivation des Täters zugrundeliegt, in einer Spezialabteilung geführt, und zwar unabhängig davon, um welche Straftat es sich handelt und ob eine allgemeine Abteilung der Staatsanwaltschaft Berlin oder die Amtsanwaltschaft Berlin nach der internen Zuständigkeitsverteilung zuständig wäre – soweit nicht die höherrangige Zuständigkeit anderer Spezialabteilungen wie etwa in Kapitalstrafsachen gegeben ist.
Alle Dezernentinnen und Dezernenten der Spezialabteilung sind für die besondere gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieses Deliktsbereichs sensibilisiert und kommunizieren dies auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen der anderen Abteilungen sowie gegenüber der Richterschaft.
In der Dezernatsarbeit sind vereinfachte Erledigungen von LSBTI-Verfahren die Ausnahme. Zwar handelt es sich bei den in Rede stehenden Straftaten meistens um Beleidigungs- und (einfache) Körperverletzungsdelikte. Da sich die Täter ihre Opfer aber meist als ‚Vertreter’ einer Gruppe auswählen, hat die Tat eine weit über den Kreis von Täter und Opfer hinausgehende, demokratiegefährdende Wirkung.
Aus diesem Grund wird das besondere öffentliche Interesse bei relativen Antragsdelikten von den Dezernentinnen und Dezernenten in der Regel ebenso bejaht wie das öffentliche Interesse im Bereich derjenigen Delikte, die nach den §§ 153 und 153a StPO aus Opportunitätsgründen eingestellt werden könnten. Sofern es sich um absolute Antragsdelikte handelt und ein form- und fristgerechter Antrag nicht vorliegt, wird die oder der Antragsberechtigte schriftlich oder telefonisch auf diese zwingende Strafverfolgungsvoraussetzung hingewiesen.
Kommt es zur Anklageerhebung oder zum Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, tragen die Dezernentinnen und Dezernenten dafür Sorge, dass die homo- oder transphobe Motivation des Angeklagten in der Strafzumessung berücksichtigt und in den Urteilsgründen ausdrücklich genannt wird.
Die Betroffenen werden immer über den Verlauf und den Ausgang des Verfahrens informiert. So erhalten Sie nicht bloß in Fällen der Verfahrenseinstellung einen Einstellungsbescheid, sondern bekommen auch bei Anklageerhebung, Strafbefehlsantrag und rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens eine schriftliche Information über den Verfahrensstand.
Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der Spezialabteilung arbeiten eng mit dem zuständigen Staatsschutzkommissariat 531 des Landeskriminalamts Berlin sowie mit den Ansprechpersonen der Polizei Berlin und der Bundespolizei zusammen, die ihrerseits durch interne Weiterbildung dafür Sorge tragen, dass eine schwulenfeindliche oder transfeindliche Motivation des Täters bereits bei der Anzeigenaufnahme Berücksichtigung findet und dass die Betroffenen mit der nötigen Sensibilität behandelt werden.
Auch kooperieren die Ansprechpersonen der Staatsanwaltschaft eng mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wie beispielsweise dem schwulen Antigewaltprojekt MANEO, dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und anderen NGOs, da bekannt ist, dass Betroffene sich oft zunächst dorthin wenden und allenfalls danach mit den Strafverfolgungsbehörden Kontakt aufnehmen.
Darüber hinaus engagieren sich die beiden Ansprechpersonen über die bloße Dezernatsarbeit hinaus, indem sie auf Fortbildungen und in Seminaren, auf Podiumsdiskussionen und Konferenzen sowie auf öffentlichen Veranstaltungen (wie beim lesbisch-schwulen Stadtfest oder bei den Respect Gaymes) über die Arbeit der Abteilung berichten und als Gesprächspartner zur Verfügung stehen – oft in den Abendstunden und an Wochenenden und Feiertagen.
Nicht zuletzt stehen die Ansprechpersonen den Betroffenen, aber auch Kollegen, Rechtsanwälten, anderen Behörden, NGOs und allen sonstigen Interessierten jederzeit persönlich, über Telefon (030 / 9014 – 5738 und 030 / 9014 – 5889) und per E-Mail (lsbt@sta.berlin.de) für Rückfragen zur Verfügung.