Drucksache - VIII-1556  

 
 
Betreff: Benennung eines öffentlichen Platzes im Ortsteil Prenzlauer Berg in „Gertrud-Pincus-Platz“
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BezirksamtBezirksamt
   
Drucksache-Art:Vorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVGVorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVG
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin
01.09.2021 
43. ordentliche Tagung der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlagen:
VzK§15BezVG BA, 43. BVV am 01.09.2021

siehe Anlage


Begründung:

Bezirksamt Pankow von Berlin

10.08.2021

An die
Bezirksverordnetenversammlung

Drucksache-Nr.:

Vorlage zur Kenntnisnahme
r die Bezirksverordnetenversammlung gemäß § 15 BezVG

Benennung eines öffentlichen Platzes im Ortsteil Prenzlauer Berg in

Gertrud-Pincus-Platz“

 

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

Gemäß § 15 Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) wird berichtet:

Das Bezirksamt hat in seiner Sitzung am 10.08.2021 folgenden Beschluss gefasst:

Der öffentliche Dreiecksplatz zwischen Krügerstraße, Dunckerstraße und Kuglerstraße im Ortsteil Prenzlauer Berg wird in „Gertrud-Pincus-Platz“ benannt. Die Lage des Platzes ist auf dem beiliegenden Plan zu erkennen.

Begründung

Die Benennungsabsicht wurde der Bezirksverordnetenversammlung gemäß § 15 BezVG als Vorlage zur Kenntnisnahme übergeben. Die Vorlage wurde am 24.03.2021 in der 40. ordentlichen Tagung der Bezirksverordnetenversammlung ohne Aussprache zur Kenntnis genommen.

Das Bezirksamt wurde per Drucksache VIII-0134 der BVV Pankow von Berlin vom 21.02.2018 ersucht, den Dreiecksplatz zwischen Krügerstraße, Dunckerstraße und Kuglerstraße nach einer geeigneten Frauenfigur aus der Weißenseer Stummfilmzeit zu benennen.

Der Frauenbeirat Pankow und der Fachbereich Museum/Bezirkliche Geschichtsarbeit haben dieses Ersuchen geprüft und mit der Begründung abgelehnt, dass das Rollenbild von Frauen, das in den meisten dieser Stummfilme vermittelt wird, schon zur damaligen Zeit nicht progressiv war.


In Kooperation mit der AG SpurenSuche des Frauenbeirates Pankows wurde vorgeschlagen, der Fürsorgerin Gertrud Pincus (1890 -1941) ein ehrendes Andenken zu setzen. Der Vorschlag entspricht der in den drei Bänden „SpurenSuche“ zugrundliegenden Absicht, das Wirken von Frauen zu würdigen, die zu ihren Lebzeiten in Pankow, Weißensee und Prenzlauer Berg Bedeutsames geleistet haben.

Dem leistet das Bezirksamt Pankow Folge.

Dem Anliegen der Bezirksverordnetenversammlung Pankow, den Anteil an nach Frauen benannten Straßen, Plätzen und Orten zu erhöhen (Drs. VI-1032 vom 05.05.2010), wird damit Rechnung getragen.

Nach Anhörung der nahen Angehörigen (zwei Enkel) von Gertrud Pincus stimmen diese der Platzbenennung zu.


Die Benennung des Platzes erfüllt die Voraussetzungen zur Umsetzung der Ausführungsvorschriften zu § 5 des Berliner Straßengesetzes (AV Benennung). Es handelt sich um eine öffentlich gewidmete Verkehrsfläche, deren Benennung im öffentlichen Interesse liegt (§ 2 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 S. 1 Berliner Straßengesetz).

Die Information von Anwohnern und Anwohnerinnen über die Benennungsabsicht des Platzes entfällt, da es am Platz keine direkten Anwohner gibt.


Die Abfrage bei den übrigen Straßen- und Grünflächenämtern Berlins und beim Amt für Statistik Berlin-Brandenburg hat ergeben, dass keine gleichen Benennungsabsichten bestehen und gleiche oder gleichlautende Straßen- bzw. Platzbezeichnungen in Berlin nicht vorhanden sind. Die statistische Schlüsselnummer lautet: 11276.


Das Benennungsverfahren wird entsprechend § 5 Abs. 1 Satz 1 Berliner Straßengesetz durchgeführt.

Haushaltsmäßige Auswirkungen

keine

Gleichstellungs- und gleichbehandlungsrelevante Auswirkungen

Mit der Benennung des Platzes nach Gertrud Pincus leistet das Bezirksamt Pankow von Berlin einen weiteren Beitrag, die Leistungen von Frauen, die bisher in Geschichtsschreibung und Politik nicht oder nur ungenügend Beachtung fanden, öffentlich zu machen und ihnen so eine Würdigung zuteilwerden zu lassen.

Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung

keine

Kinder- und Familienverträglichkeit

entfällt

 

Anlage
Lageplan (Anlage 1)

Kurzbiografie eingereicht vom Frauenbeirat und vom Fachbereich Museum/Bezirkliche Geschichtsarbeit

(Anlagen 2 und 3)

ren Benn
Bezirksbürgermeister
 

Vollrad Kuhn
Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste


 


GleichB         31.05.2018

H. Gerstenberger        - 2305

 

 

BzStR für Stadtentwicklung und Bürgerdienste

Herr Vollrad Kuhn

 

 

Stellungnahme

 

zum 1. Zwischenbericht der Drucksache Nr.: VIII-0134

Dreiecksplätze nach verdienstvollen Frauen benennen

Sehr geehrter Herr Kuhn,

in Kooperation mit der AG SpurenSuche des Frauenbeirates Pankows möchte ich Ihnen zwei Alternativvorschläge für die beiden Dreiecksplätze unterbreiten, die sowohl einen inhaltlichen Bezug zu den angrenzenden Straßennamen als auch einen Bezug zur Region haben.

Dreiecksplatz zwischen Naugarder Straße, Hosemannstraße und Erich-Weinert-Straße

(bereits benannt)

Dreiecksplatz zwischen Krüger- Duncker- und Kuglerstraße

Wir schlagen vor, den Platz nach Gertrud Pincus (1890 – 1941) zu benennen.

Gertrud Pincus gehörte dem Friedländer Kreis an. Walter A. Friedländer gründete mit seinen Mitarbeiter/innen ein Musterjugendamt nach allen progressiven Bestrebungen der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Berlin Prenzlauer Berg. Gertrud Pincus war für die Organisation des Krippen-, Hort- und Kindergartenwesens verantwortlich. Nach dem Friedländer Konzept ging es dabei nicht nur um die Betreuung und Versorgung der Kinder, sondern auch darum familiäre Defizite des sozial brisanten Arbeiterbezirkes Prenzlauer Berg zu kompensieren. Gemeinsam mit dem Musikpädagogen Julius Goldstein setzte sie neue Akzente in der musikalischen Früherziehung.

Gertrud Pincus wurde am 27. November 1941 nach Riga deportiert und dort am 30. November 1941 ermordet. In der Windscheidstr. 8 in Charlottenburg erinnert seit 2010 ein Stolperstein an sie.

Diese beiden Vorschläge entsprechen der in den drei Bänden „SpurenSuche“ zugrundeliegenden Absicht, das Wirken von Frauen zu würdigen, die zu ihren Lebzeiten in Pankow, Weißensee und Prenzlauer Berg Bedeutsames geleistet haben.

Der Vorschlag des Ausschusses - die Plätze nach Frauenfiguren aus der Stummfilmzeit zu benennen – wird nicht befürwortet. Das Rollenbild von Frauen, dass in den meisten dieser Filme vermittelt wird, war schon zur damaligen Zeit nicht progressiv. Es ist unverständlich, warum diese Frauenfiguren mit einer Platzbenennung geehrt werden sollten.

 

von Kult Gesch L

 

Abt. Stadtentwicklung

Straßen- und Grünflächenamt

SGA 141

 

Betr.: Benennungsvorschläge zweier Dreiecksplätze gemäß BVV- Drucksache Nr.: VIII-0134 Dreiecksplätze nach verdienstvollen Frauen benennen“

 

Vorschlag 1: Dreiecksplatz zwischen Krüger, Duncker- und Kuglerstraße nach der Fürsorgerin Gertrud Pincus (18901941) zu benennen.

 

Hist. Sachverhalt

 

Gertrud Pincus, geborene Kapauner ist am 27. April 1890 in Glatz (Klodzko) / Schlesien geboren und wurde am 30. November 1941 in Rumbula bei Riga (Estland) ermordet worden.

Über Ihre Kindheit und Jugend ist nichts bekannt. Bereits als 23jährige unterrichtete Gertrud Pincus in der Unterstufe der Sozialen Frauenschule (Pestalozzi Fröbel-Haus) zum Thema „Arbeit in Kindergärten“. In den 1920er Jahren arbeitete sie als Fürsorgerin im Jugendamt Prenzlauer Berg und übernahm die Organisation des Krippen-, Hort- und Kindergartenwesens. Unter Leitung von Walter Friedländer legte Gertrud Pincus Wert darauf, dass diese Einrichtungen nicht nur die Betreuung und tägliche Versorgung der Kinder gewährleisteten, sondern ebenfalls aktive Familienfürsorge betreiben sollten. Walter Friedländer schätzte die Erfahrungen und Impulse von Gertrud Pincus, die „wichtige pädagogische Einsichten mitbrachte“. So führte sie in den städtischen Kindergärten und Horten Erziehungsmethoden ein, die darauf ausgerichtet waren, dass die Kinder sich kreativ ausleben konnten. Statt still zu sitzen, sollten sie spielen, musizieren und malen. Im Bereich der musikalischen Früherziehung setzte Gertrud Pincus neue Standards. Gemeinsam mit dem Musikpädagogen Julius Goldstein setzte sie neue Akzente in der musikalischen Früherziehung.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozilisten wurde Gertrud Pincus laut „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (Arierparagraph) als Jüdin aus dem Bezirksamt Prenzlauer Berg entlassen. Ihr Leben und das ihrer Angehörigen schränkte sich immer mehr ein. Um die Tochter vor Verfolgungen zu schützen, gelang es Gertrud Pincus und Ihrem Mann, dem Einkaufsleiter Paul Pincus, die 15jährige Suse 1938 nach Schweden zu verschicken. Als letzter Wohnort von Gertrud Pincus ist in den Akten der Entschädigungsbehörde eine Dreizimmerwohnung in der Thomasiustraße 19 in Moabit angegeben.

Gertrud und Paul Pincus mussten sich im November 1941 im Sammellager in der Levetzowstraße melden. Vom Bahnhof Berlin-Grunewald wurden beide am 27. November mit dem 7. Osttransport aus Berlin nach Riga deportiert und dort am 30. November in dem nahegelegen Kiefernwald Rumbula ermordet. In den 1950er und 1960er Jahren musste die Tochter von Gertrud Pincus eine langwierige juristische Auseinandersetzung mit dem Entschädigungsamt von West-Berlin führen, um eine Entschädigung zu erhalten.

 

Quellen:

Gertrud Pincus, Musikalische Früherziehung, Allgemeine Wirkung der Orchesterstunde auf die Kinder, in: Musikpflege im Kindergarten, Vorträge der 1. Tagung "Musikpflege im Kindergarten" in Berlin, Hg. im Auftrag des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht, Berlin, Leipzig 1929, S. 24-30

Walter Friedländer * 20.9.1891, in: Pädagogik in Selbstdarstellungen, Hg. von Ludwig J. Pongratz, Hamburg 1982, S. 62

Andreas Markert, Andrea Buckley, Michael Vilain, Martin Biebricher (Hrsg.): Soziale Arbeit und Sozialwirtschaft: Beiträge zu einem Feld im Umbruch. Festschrift für Karl-Heinz Boeßenecker. Berlin 2008, S. 30

Elisabeth Harvey, Arbeit für soziale Gerechtigkeit. Leben und Wirken von Walter Friedländer, Hg. Walter Friedländer Bildungswerk, Berlin 1991, S. 51/52

Privatarchiv Thomas und Stefan Pinzke, Schweden.

Landesarchiv Berlin, B Rep. 025-08, Nr. 1183/55 und

 

LAB B Rep. 025-08, Nr. 1184/55 Wiedergutmachungsämter Berlin, 1955

Datenbank der Koordinierungstelle Stolperstein Berlin

Aufbruch und Reformen. Pionierinnen und Pioniere der modernen Sozialarbeit in Prenzlauer Berg während der Weimarer Republik, Museum Pankow (Hg.), Berlin 2020, S.

 

Bewertung:

Basierend auf den erhobenen Quellen ist der Benennung aus fachlicher Sicht zuzustimmen und damit eine öffentliche Ehrung zu empfehlen.

 

Berlin, den 26. November 2020

 

gez.

 

Bernt Roder

 

 

 

 
 

Legende

Ausschuss Tagesordnung Drucksache
Bezirksverordnetenversammlung Aktenmappe Drucksachenlebenslauf
Fraktion Niederschrift Beschlüsse
Kommunalpolitiker/in Auszug Realisierung
   Anwesenheit Kleine Anfragen