LoGo! Europe: Katharina Zapf berichtet aus Amsterdam

_Im Umwelt- und Naturschutzamt des Bezirks ist Katharina Zapf für Mobilitätsthemen zuständig. Für vier Wochen hospitierte sie im September und Oktober 2022 in der Amsterdamer Verwaltung, um mehr über die dortige Herangehensweise an Fragen urbaner Mobilität zu erfahren. Hier ihr Bericht:_

Anreise und Ankunft

Ich habe mich bei der Anreise für die Bahn entschieden. Innerdeutsch fliege ich schon seit Jahren nicht mehr, und bei vielen europäischen Zielen gibt es meist sehr gute nachhaltige Alternativen. Bahnfahren ist für mich zudem auch noch die entspannteste Art zu reisen. Die direkte Verbindung nach Amsterdam ist unterbrochen, und so geht es über Duisburg in die Niederlande. Nach etwa sieben Stunden kommen wir pünktlich in Amsterdam Centraal an. Ein freundlicher Mann lässt die internationalen Reisenden aus der Schranke in die Bahnhofshalle. In den Niederlanden checkt man ansonsten sowohl beim Ein- als auch Ausstieg in die öffentlichen Verkehrsmittel mit einer Karte ein. Die meisten Bahnhöfe haben Zugangsbeschränkungen in Form von Schranken. Der Preis wird dann automatisch nach der zurückgelegten Distanz berechnet. Es gibt auch Tages- oder Mehrtageskarten. An einer Monatskarte scheitere ich, die gibt es nur mit einer personalisierten _OV-Chipkaart_, und diese bekomme ich wiederum nur mit einem niederländischen Bankkonto. Man kann von den Berliner Papiertickets für die öffentlichen Verkehrsmittel halten, was man möchte, aber dort ist der Zugang doch inklusiver. Mir bleibt also nichts anderes, als eine anonyme _OV-Chipkaart_ zu nutzen und jede Fahrt einzeln abzurechnen. Aufladen kann man sie aber im Vorfeld mit einem selbst gewählten Betrag.

Zaanse Schans

Den Sonntag verbringe ich in Zandaam und Zaanse Schans. Zandaam liegt nördlich von Amsterdam und ist eine süße kleine Stadt, bekannt für ihre typischen grünen Häuser. Zaanse Schans ist eine Art Freiluftdorf mit vielen gut erhaltenen traditionellen Gebäuden, die teilweise noch bewohnt werden und teilweise als Museen und Verkaufsläden dienen. Viele der noch aktiven Windmühlen der Niederlande stehen hier. Jährlich besuchen fast eine Million Besucher:innen diesen Ort, was man ihm auch anmerkt. Sehr schön, aber auch sehr touristisch.

Erste Woche

Eingangsbereich Büro

Jorrit, mein Ansprechpartner innerhalb der Amsterdamer Verwaltung, wartet außerhalb des Gebäudes auf mich. Allein komme ich – wieder mal – nicht durch die Schranke. Einmal durch, eröffnet sich eine ganz neue Welt für mich. Wir holen uns erst einmal einen Kaffee. Während am Wochenende noch die Sonne schien, nieselt es heute ununterbrochen. Ich werde die nächsten vier Wochen bei _Amsterdam Trade and Innovate_ verbringen, der Wirtschaftsförderung der Stadt Amsterdam, die während meines Aufenthalts eine Delegationsreise von Berlin nach Amsterdam zum Thema Urbane Mobilität veranstaltet. Das Erdgeschoss besteht aus einem Café-ähnlich eingerichteten Raum, in welchem Treffen stattfinden, Mittag gegessen und sich ausgetauscht wird. Alles ist unglaublich offen eingerichtet. Es sieht aus wie in einem sehr gut laufenden Start-up in Berlin-Mitte – nur, dass wir hier bei der Verwaltung sind. Oben in den Büroräumen ist ebenfalls alles sehr offen gestaltet – so offen, dass man eigentlich nicht von einzelnen Büros sprechen kann. Durch verschiedene Elemente wird trotzdem eine sehr gute Arbeitsatmosphäre geschaffen. Es gibt keine festen Schreibtische, jede:r sucht sich einen Platz nach den jeweiligen Bedürfnissen. Die meisten Plätze sind mit Docking-Station und Bildschirmen eingerichtet. Es gibt kleinere Räume für Besprechungen und größere mit mehreren Tischen für inoffiziellere Meetings.

Jeden Montag hält das gesamte Economics Team ein ca. halbstündiges Meeting, in dem Neuigkeiten verkündet werden. Das Team besteht aus ca. 60 Personen, die Hälfte ist vor Ort anwesend, die andere Hälfte im Homeoffice. Heute ist auch die Stadträtin für Kunst und Kultur, Inklusion und Antidiskriminierung, Touria Meliani, anwesend und stellt sich und ihre Arbeit dem Wirtschaftsteam vor. Auch ich stelle mich hier kurz vor – auf Englisch. Alles andere findet auf Niederländisch statt und ich versuche, so gut wie möglich zu folgen. Danach bespreche ich mich mit Jorrit, was wir uns für die nächsten vier Wochen vornehmen wollen, verbinde mich mit dem öffentlichen W-LAN, suche mir einen freien Platz und los geht’s.

World Trade Center

Am zweiten Tag treffen wir uns am zweiten Standort von _Trade and Innovate_ im World Trade Center Amsterdam. Der Tag beginnt wieder mit einem Meeting, diesmal innerhalb des Teams. Wir sind ca. 14 Personen – weil ich dabei bin, wird auf Englisch gewechselt. Auch in diesem Büro hat niemand einen festen Platz und im Anschluss suche ich mir einen freien Schreibtisch. Inhaltlich steht die Planung der Delegationsreise von Berlin nach Amsterdam im Vordergrund. _Amsterdam Trade and Innovate_ organisiert diese zusammen mit Berlin Partner als Fachaustausch zum Thema Urbane Mobilität. Die Teilnehmenden setzen sich aus Vertreter:innen der Berliner Politik, Verwaltung und Wirtschaft zusammen.

Mobiles Arbeiten

Am Mittwoch ist meine Ansprechperson im Homeoffice und ich daher auch. Heute treffe ich mich mit Tanja Schulz, auch aus dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, die ebenfalls gerade eine Hospitation in der Amsterdamer Verwaltung macht. Es ist bereits ihre dritte Woche und wir tauschen uns zu unseren Erfahrungen aus. Heute ist auch der erste Tag, an dem ich mich mit dem Fahrrad in das Amsterdamer Gewusel wage. Wir wohnen beide etwas außerhalb, so dass die Mitte etwa 12 Kilometer von mir entfernt ist. Im Anschluss bleibe ich in dem Café, wo wir uns getroffen haben. Es ist mit freiem W-LAN und Tischen mit Steckdosen perfekt für Expats ausgestattet.

Fahrradparkhaus

Donnerstag arbeite ich wieder im World Trade Center Amsterdam. Weil es gestern so gut mit dem Fahrrad geklappt hat, nehme ich es auch heute wieder. Ich wohne in Bijlmermeer, einer Hochhaussiedlung am Stadtrand. Hier gibt es viel Platz, auch für die Radwege. In der Stadt wird es schon enger. Teilweise verzichtet man direkt an den Grachten eher auf einen Fußweg, als den Radverkehr mit den Pkws zu führen. Das World Trade Center liegt jedoch im Süden der Stadt, so dass ich einen Großteil des Weges über breite Radwege in den Außenbezirken, Grünflächen und Parks fahren kann. Mein absolutes Highlight ist jedoch das Fahrradparkhaus, in welchem ich 24 Stunden umsonst stehen kann. Es ist bewacht, sauber und digitalisiert. Pfeile zeigen an, in welchen Reihen und auf welcher Höhe noch freie Stellplätze sind. Ein- und Auschecken geht über die Chipkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel. Inhaltlich steht weiterhin die Delegationsreise an, außerdem nehme ich mit verschiedenen Personen Kontakt auf, um während meines Aufenthalts mehr über verschiedene Mobilitätsthemen in den Niederlanden zu erfahren. Den Nachmittag verbringe ich wieder arbeitend in einem Café, da niemand mehr aus meinem Team im Büro ist. Die Niederländer arbeiten deutlich mehr im Homeoffice, und sie haben zumindest in der Verwaltung nur eine 36-Stunden-Woche, die viele von ihnen an vier Tagen absolvieren.

U-Bahn

U-Bahn

Freitag mache ich wieder Homeoffice, diesmal tatsächlich zu Hause. Den ganzen Tag im Café zu verbringen geht auf Dauer ins Geld. Amsterdam ist von den Lebenshaltungskosten deutlich teurer als Berlin. Bijlmer, mein Zuhause für diese vier Wochen, ist wahrscheinlich am ehesten mit Charlottenburg-Nord zu vergleichen. Wohnblocks prägen das Bild. Es ist aber trotzdem unglaublich ruhig. Es gibt keinen Autoverkehr innerhalb des Quartiers, nur Fußgänger- und Radwege. Anlieferungen sind möglich – die Autos stehen jedoch auf Parkplätzen am Rande des Quartiers. Vom Küchenfenster kann ich auf die vorbeifahrende Metro schauen, nach hinten raus auf einen Park mit angelegten Seen und Flüssen. Auch mein Ansprechpartner arbeitet heute nicht, und so recherchiere ich heute vor allem verschiedene Best-Practice-Beispiele in Amsterdam und nehme mit weiteren Leuten Kontakt auf. Ich freue mich aufs Wochenende, das bei mir leider etwas kürzer ausfallen wird als in Deutschland.

Zweite Woche

Grachtenfahrt

Am Wochenende sind zwei Freunde von mir zu Besuch. Ich bin das erste Mal wirklich in der Innenstadt und mich trifft fast der Schlag. Es sind so unglaublich viele Touristen unterwegs, dass man die Bemühungen der Stadt Amsterdam, den Tourismus zu beschränken, nachvollziehen kann. Im Moment resultiert das aber nur in unglaublich hohen Hotelpreisen und anscheinend nicht in weniger Menschen. Die “Tourism-in-Balance”-Regulierung sieht maximal 20 Millionen Übernachtungen pro Jahr in der niederländischen Hauptstadt vor. Zum Vergleich: In Berlin fanden vor Corona mehr als 30 Millionen Übernachtungen im Jahr statt. Berlin ist jedoch auch fast vier Mal so groß, sowohl was die Fläche als auch die Anzahl der Einwohner:innen angeht. Und in Berlin verteilen sich die Tourismusströme zumindest gefühlt besser, hier bleibt ein Großteil der Touristen in der Innenstadt. Ehrlicherweise weiß ich aber auch nicht, wann ich das letzte Mal am Brandenburger Tor oder in der Friedrichstraße war. Die meisten Menschen, die ich kenne, meiden diese Plätze auch in Berlin und beschränken dies auf Besuche mit Freunden und Familie von außerhalb. Aber nun ist ja auch Besuch da und wir stürzen uns ins Getümmel. Ein gelungenes Wochenende mit Museum, Grachtenfahrt und holländischem Essen.

Open Space im Büro

Montag ist in Deutschland Feiertag, in den Niederlanden leider nicht, und um halb zehn ist das wöchentliche Meeting der gesamten Abteilung. Ich bin früh genug da, um mir noch einen Kaffee zu holen und einen Sitzplatz zu sichern. Ich verstehe einzelne Wörter auf Niederländisch und, wenn ich Glück habe, so viel, dass sich der Kontext erschließen lässt. Der erste Teil besteht aus “Gutem und Schlechtem” – eher inoffizielle Neuigkeiten, aber meist mit Bezug auf Amsterdam. Zum Beispiel eine Veranstaltung, die man am Wochenende besucht hat und die man auch seinen Kolleg:innen empfiehlt. Dieser Teil ist improvisiert und jede:r kann spontan nach vorn kommen oder sich online melden. Danach folgt der offiziellere Teil der Neuigkeiten, meist von den jeweiligen Teamleiter:innen, und um 9:59 Uhr ist pünktlich Schluss. Ich bin begeistert von diesem Zeitmanagement. Begeistert bin ich auch von der IT des Bezirksamtes, die ihren Job ernstnimmt. Es ist Feiertag, und ich komme wie erwartet nicht auf den Server und damit auch nicht an meine Mails und Dokumente. Ich mache also das, was ohne Serverzugang möglich ist und dann früh Schluss – arbeiten soll ich ja heute eigentlich eh nicht.

Trauerfeier

Dienstagmorgen ist voll mit Besprechungen zur Delegationsreise – es sind nur noch ein paar Tage und noch einige Details zu klären. Mittags hole ich mir mit ein paar Kolleg:innen Essen in einem Suppenladen. Die Sonne scheint und wir setzen uns an eine der Grachten, durch die ich am Sonntag noch hindurchgefahren bin. Heute ist der 4. Oktober – vor genau 30 Jahren passierte das schlimmste Flugzeugunglück in der niederländischen Geschichte. Eine Boeing der israelischen Airline El-Al stürzte in einen Wohnblock in Bijlmer, mehr als 40 Menschen starben und es ist immer noch vieles ungeklärt. Heute ist davon, bis auf die Gedenkstätte, nichts mehr zu erkennen. Nach der Arbeit schaue ich noch bei der Trauerfeier vorbei und kann es nicht fassen, dass das hier ca. 200 Meter von meinem jetzigen Wohnort passiert sein soll.

Fahrradparken am Bahnhof

Mittwoch bin ich mit Max auf einen Kaffee verabredet. Max ist Geschäftsführer einer Firma, welche ein Tool für betriebliches Mobilitätsmanagement anbietet. Ich habe ihn vor ein paar Wochen auf einer Veranstaltung in Berlin kennengelernt, und da er sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden aktiv ist, bin ich gespannt auf seine Einschätzung zu den beiden Ländern. Obwohl Böen angekündigt sind, habe ich mich trotzdem für das Fahrrad entschieden und kämpfe mich jetzt durch den Wind. Das Ganze erinnert mich stark an meine norddeutsche Heimatstadt, die zwar auch sehr flach ist, in der man, genauso wie ich jetzt, aber auch manchmal nur mit 5 km/h vorankommt. Ich mache mir kurz Sorgen, dass ich so zu spät kommen werde, aber unnötig. Max’ Zug nach Amsterdam fällt aus. Wir nehmen es beide mit Humor, dass nicht nur die Deutsche Bahn ab und zu unzuverlässig ist und verschieben das Meeting auf den nächsten Tag. Ich fahre trotzdem weiter zum Bahnhof, da ich mich dort später mit Willem treffe. Willem arbeitet in der Abteilung _Mobility and Public Space_ bei der Stadt Amsterdam und hat einen sehr guten Überblick darüber, was im Bereich Mobilität passiert und kann den Kontakt mit verschiedenen Personen herstellen. Nachdem ich mein Fahrrad wiedergefunden habe, geht es nach Hause. Zum Glück hat der Wind mittlerweile nachgelassen.

Mittagspause an der Gracht

Den Donnerstagmorgen verbringe ich damit, die von Willem genannten Kontakte nach und nach anzuschreiben. Auch mit der Vorbereitung für die Delegationsreise geht es weiter. Es gibt noch einige späte Anmeldungen und es muss noch ein bisschen was angepasst werden. Mit Floris tausche ich mich zu dem Networking Event am Freitagabend aus, das wir gemeinsam moderieren wollen und mache mir Gedanken zu der Präsentation, die ich halten werde. Den Mittag verbringen wir wieder bei Sonnenschein an der Gracht, das Wetter ist glücklicherweise wieder deutlich besser geworden. Nachmittags hole ich den Termin mit Max nach, wir sitzen an einer stark befahrenen Kreuzung – stark befahren meint hier unglaublich viele Fahrräder und vereinzelt ein Auto. Danach mache ich mich auf, um mit meinen Kolleg:innen von _Amsterdam Trade and Innovate_ ein Bier trinken zu gehen. Einmal im Monat gibt es ein _borrel_ – einen gemeinsamen Feierabendumtrunk.

Freitag mache ich wieder Homeoffice. Meine Entdeckung des Tages ist Map it out von iAmsterdam, entwickelt vor allem für Expats, die in die Stadt kommen, sich nicht gut auskennen und einen Wohnort suchen. Man kann hiermit die Reisezeit mit verschiedenen Verkehrsmitteln berechnen, z. B. zur Arbeit, aber auch mehrere Orte verschneiden wie Arbeitsplatz und Kitaplatz. Grundlage ist die Reisezeit und nicht die zurückgelegten Kilometer. Spannend, wenn man auf eine Wohnortwahl ohne eigenen Pkw hinweisen möchte.

Map it out

Dritte Woche

Fahrradparken am Leidseplein

Am Anfang der Woche kommt eine Delegation zum Thema Urbane Mobilität, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Berliner Politik, Verwaltung und Unternehmen, nach Amsterdam. Im Februar fand bereits ein Austausch von Amsterdam nach Berlin statt, der hiermit verfestigt werden soll. Ziel ist ein stärkerer Austausch der beiden Städte miteinander. Auf dem zweitägigen Programm stehen Beispiele aus dem Bereich Infrastruktur, Strategien, Programme, Management, Verwaltung und vieles Weiteres. Offizieller Beginn ist am Montag. Ich habe aber allen, die möchten, angeboten, dass wir bereits Sonntagabend zusammen typisch Niederländisch essen gehen können. Ein gutes niederländisches Restaurant in der Altstadt Amsterdams zu finden, war gar nicht so leicht. Ähnlich wie Berlin ist die Küche Amsterdams sehr international – geprägt u. a. durch die Einflüsse der ehemaligen Kolonien Indonesiens und Surinames. Wir haben uns aber heute für klassisch Niederländisch entschieden. Die meisten von uns essen _Stamppot_, eine Art Eintopf aus gestampften Kartoffeln und Gemüse. Als Vorspeise gibt es _Bitterballen_, auch ein beliebter Snack in Bars. Bitterballen sind panierte, mit einem Ragout aus Rindfleischmasse gefüllte und frittierte Fleischkroketten und schmecken besser als sie klingen. Als Dip bekommt man Senf oder eine Mischung aus Senf und Mayo dazu. Obwohl heute noch kein offizieller Programmpunkt ist, lassen wir es uns nicht nehmen, einmal ins Fahrradparkhaus am Leidseplein zu schauen, wo auch ich mein Fahrrad abgestellt habe. Die Stadt Amsterdam versucht das chaotische Fahrradparken in der Innenstadt in den Griff zu bekommen und hat in den letzten Jahren immer mehr Fahrradparkhäuser errichtet.

Networking-Event

Am Montag trifft sich die Delegation um kurz vor neun Uhr am World Trade Center. Willem Van Heijningen, der als Mobilitätsstratege bei der Stadt Amsterdam arbeitet, eröffnet den Tag, indem er den Anwesenden ebendiese Strategie vorstellt. Spannend finde ich vor allem den ganzheitlichen Ansatz. Im Anschluss an die Präsentation nehmen wir die Metro ins Stadtviertel De Pijp. Dort treffen wir Max Niekus, ebenfalls von der Stadt Amsterdam, welcher uns durch dieses autoarme Quartier führt. Jaron von Cargoroo zeigt uns eine der Lastenradstationen im Quartier und erläutert uns das Konzept hinter ihrem Lastenrad-Sharing-Ansatz. Drei von uns leihen uns dort auch ein Cargoroo aus und treffen dann die anderen bei Waterlooplein wieder, wo auch der Rest der Delegation mit Rädern ausgestattet wird. Bisher war es ein ganz schöner Tag, jetzt gießt es natürlich in Strömen. Johanna und Floris von appm und ich sind schon komplett durchnässt, bevor wir die anderen wieder treffen. Leider wird es heute auch nicht der letzte Schauer bleiben. Auf der dreistündigen Radtour halten wir bei verschiedenen Unternehmen aus dem Bereich urbane und neue Mobilität, u. a. Coding the Curbs, Fronteer, Springtime, Bycs. Nach der Tour versammeln wir uns alle wieder mehr oder weniger trocken im World Trade Center zu einem abendlichen Network-Meeting. Annika Gerold, Stadträtin aus Friedrichshain-Kreuzberg, Josette Vallentgoed-Udo, zuständig für die Amsterdam Zero-Emission City, Franziska Ehrhardt von Berlin Partner und ich halten jeweils einen kurzen Vortrag, bevor das offene Networking beginnt.

Einfahrt zum Fahrradparkhaus in Utrecht

Nach dem langen Tag gestern treffen wir uns am Dienstag wieder um 9 Uhr morgens, diesmal im Gebäude an der Jodenbreestraat. Willem van Heijningen vertieft nochmal seinen gestrigen Input zur Strategie und David Gelauf, Programmmanager für das Fahrrad, erläutert die Umsetzungsstrategie für das Fahrradprogramm der Stadt. Danach machen wir uns zu Fuß auf zum Hauptbahnhof. In der Innenstadt bekommen wir dann noch direkt mit, dass auch in Amsterdam nicht immer alles rundläuft. Der Anlieferverkehr für die Gastronomie blockiert mehr als eine Straße. Floris von appm, der die Tour für Berlin Partner organisiert, führt uns einmal durch und um den Bahnhof und erläutert die Pläne für das neue unterirdische Radparkhaus. Danach nehmen wir den Zug nach Utrecht und treffen Herbert Tiemens, Projektmanager im Bereich Radverkehr für die Stadt Utrecht. Nach einer Präsentation, was die Stadt Utrecht in Zukunft plant und bisher erreicht hat, schauen wir uns noch gemeinsam die Fahrradparkhäuser um den Hauptbahnhof an. Neben einigen kleineren Fahrradparkhäusern besuchen wir auch das weltweit größte Fahrradparkhaus auf drei Etagen mit 12.500 Stellplätzen. Es ist so groß, dass sich vor zwei Jahren ein deutscher SUV-Fahrer darin verirrte. Wir lassen den Abend in der Gruppe in Utrecht ausklingen, standardmäßig mit Fritten und _Bitterballen_, bevor wir den Zug zurück nach Amsterdam nehmen.

De Pijp

Am Mittwoch bin ich mit Jaron von Cargoroo verabredet. Sie haben dieses Jahr angefangen, ihre Sharing-Lastenräder auch in Charlottenburg-Wilmersdorf auszurollen und ich bin interessiert daran, was ihre Erfahrungen in Deutschland und den Niederlanden im Vergleich sind. Leider gab es einen Fehler bei der Terminabsprache und wir verschieben den Termin auf nächste Woche. Ist aber nicht so schlimm, das Büro von Cargoroo liegt in de Pijp, und jetzt, wo ich schon mal da bin, habe ich die Chance, mir dieses Quartier noch einmal genauer anzuschauen. Jeden Tag außer sonntags ist der Albert-Cuyp-Markt im Viertel. Zu den Marktzeiten ist Rad- und Scooterfahren streng verboten und wird mit Geldstrafen geahndet. Auch gibt es weitere ausgewiesen _Loopzones_, Bereiche nur für Fußgänger. Die meisten Radfahrenden halten sich tatsächlich auch daran. Der Markt und die Fußgängerzonen führen dazu, dass fast alle Abstellmöglichkeiten komplett überbelegt sind, weshalb es in einiger Entfernung sogar (Bike-)Park+Walk-Stationen gibt.

Rotterdam

Am Donnerstag geht es für mich nach Rotterdam. Nachdem ich Bart Christiaens, den Fahrradbeauftragten der Stadt Rotterdam, angeschrieben habe, hat er sich mehrere Stunden Zeit genommen, um mir das Fahrradprogramm vorzustellen und einige Best Practices innerhalb der Stadt zu zeigen. Wir treffen uns am Bahnhof, wo er für mich ein _OV-Fiets_ ausleiht. Auch die _OV-Fiets_ kann man nur mit einer personalisierten _OV-Chipkaart_ ausleihen. Für mich selber also unmöglich wegen des fehlenden niederländischen Bankkontos, was ich auch bei ziemlich jeder Person, die ich in den letzten Wochen aus dem Bereich Fahrrad und Sharing getroffen habe, angemerkt habe. Wenn man aber im Besitz dieser Karte ist, hat das System einen unglaublichen Vorteil: Das Abo ist kostenlos und man kann an über 300 Stationen in den Niederlanden ein Fahrrad ausleihen. Für bis zu 24 Stunden zahlt man 4,15 €. Das ist unschlagbar einfach und günstig und vielleicht auch ein Grund, warum sich andere Sharing-Konzepte nicht so stark durchgesetzt haben. Die Fahrräder sind dafür sehr einfach gehalten – was die Wartungskosten geringhält. Es gibt keine Gangschaltung, was in Ordnung ist, solange man über keine größeren Brücken muss oder es zu windig ist. Beides bleibt mir an diesem Tag natürlich leider nicht erspart. Größere Verwirrung löst bei mir aber erstmal die fehlende Bremse aus, also die fehlende Vorderbremse – eine Rücktrittbremse gibt es. So wäre das Fahrrad zumindest in Deutschland offiziell gar nicht verkehrssicher, dort sind zwei Bremsen Pflicht. Nach anfänglicher Irritation gewöhne ich mich dann doch langsam daran und wir machen uns auf den Weg über die Erasmusbrücke auf die südliche Seite Rotterdams zum Sitz der Verwaltung. Dort treffen wir seine Kollegin Chayenne, die für das Thema Sharing in Rotterdam zuständig ist. Rotterdam ist im zweiten Weltkrieg großflächig zerstört worden und weist daher eine andere Stadtstruktur auf als ein Großteil der niederländischen Städte. Dadurch gibt es in der Stadt mehr Platz, auch für Sharing-Anbieter, die in Amsterdam stark eingeschränkt sind. Nach den beiden Präsentationen und einem spannenden Austausch zu Unterschieden und Ähnlichkeiten in Berlin habe ich noch die Chance, in den 40. Stock des Gebäudes zu fahren und Rotterdam von oben anzuschauen. Danach zeigt Bart mir noch einiges, was sie in letzter Zeit umgesetzt haben. Die niederländischen Städte sind uns oft voraus im Bereich Radinfrastruktur, aber auch dort ist noch vieles in Bewegung, wird verändert oder vergrößert. Rotterdam ist auf jeden Fall eine spannende Stadt und zumindest vom äußeren Eindruck Berlin deutlich ähnlicher als Amsterdam.

Logistikherausforderungen in der Innenstadt

Ende der Woche treffe ich mich auch noch mit Cathelijne, die als strategische Beraterin für das Logistikprogramm der Stadt Amsterdam arbeitet. Die Herausforderungen im Bereich Logistik sind sehr ähnlich, wobei Amsterdam noch den zusätzlichen Nachteil hat, dass die Stadt zumindest im Zentrum deutlich dichter bebaut und der Platz rarer ist als in Berlin. Dafür können die Kanäle aber teilweise als Lieferwege genutzt werden. Was ich besonders spannend finde, ist, dass es in einigen Straßen extra Lieferzonen gibt – meistens zwei Parkplätze, die ausschließlich für den Anlieferverkehr sind. Das ist an sich erst einmal vielleicht nicht außergewöhnlich, außergewöhnlich finde ich aber, dass ich bisher noch keinen einzigen Falschparker auf diesen Lieferzonen gesehen habe. Wie das wohl in Berlin aussehen würde? Freitag treffe ich mich außerdem noch mit Willem. Er ist daran interessiert, was ich, aber auch die anderen Teilnehmenden aus der Delegationsreise bei unserem Besuch gelernt haben. Ich fand den Austausch sehr inspirierend und hatte das Gefühl, dass auch die anderen Teilnehmenden gute Eindrücke und Ideen mitgenommen haben. Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn der Austausch in Zukunft weitergeführt wird.

Vierte Woche

Warnung vor der Entfernung des Fahrrads

Der Anfang der Woche startet ruhig, mein Ansprechpartner ist in London und ich habe eine kleine Erkältung, weshalb ich für die nächsten beiden Tage im Homeoffice bleibe und vor allem noch einiges recherchiere. Das Thema Fahrradparken interessiert mich insbesondere. Gerade in den letzten Jahren sind viele neue Fahrradparkhäuser entstanden. Einige Fahrradparkhäuser sind im Erdgeschoss von Wohnhäusern, größere oft unterirdisch. Gleichzeitig gibt es Leitsysteme auf den Fahrradwegen, die einem zum nächsten Fahrradparkhaus führen. An stark frequentierten Orten finden sich zusätzlich Anzeigen, welche Fahrradparkhäuser in der Nähe noch Kapazitäten haben. Gleichzeitig ist die _Handhavning_, das Ordnungsamt, in den Niederlanden im Vergleich zu Deutschland deutlich umsetzungsfreudiger – im doppelten Sinn. Parkt man sein Fahrrad in den verbotenen Zonen in der Innenstadt, kann es schon einmal sein, dass das Fahrrad in weniger als einer Stunde entfernt wird. Nachschauen, ob es entfernt wurde, kann man auf https://www.verlorenofgevonden.nl, wo von allen Fahrrädern Fotos mit Beschreibung hochgeladen werden. Abgeholt werden kann das Fahrrad dann im Amsterdamer Westen gegen eine Gebühr, nicht abgeholte Fahrräder werden versteigert.

Fahrradweg an der Universität Utrecht

Am Mittwoch treffe ich mich noch einmal mit Herbert Tiemens aus Utrecht, der sich mehrere Stunden für mich Zeit nimmt, um mir auf einer Fahrradtour die verschiedenen Projekte im Bereich der Fahrradinfrastruktur in Utrecht zu zeigen. Neben dem Bereitstellen von sicheren Abstellmöglichkeiten sollen die Fahrradparkhäuser in Utrecht auch dazu dienen, mehr Platz und Ordnung im öffentlichen Raum zu schaffen – das klappt nicht überall. Auch wenn ein Großteil der Menschen ihre Fahrräder in den Fahrradparkhäusern parkt, stellen auch viele ihr Fahrrad dort ab, wo gerade noch Platz ist. Heute ist ein schöner, sonniger Herbsttag, und das Fahrradfahren macht richtig Spaß. Die gute Fahrradinfrastruktur hilft natürlich auch – es geht über gut ausgebaute Radwege durch die gesamte Stadt. Selbst in der Rushhour wird es zwar voll, bleibt aber doch noch einigermaßen entspannt. Wir können fast die ganze Zeit nebeneinander fahren und uns über verschiedene Mobilitätsprojekte der Stadt austauschen.

Treffen mit dem Fietsersbond

Durch einen Nachbarn meiner Mitbewohnerin ist der Kontakt zum _Fietsersbond_ – in etwa dem niederländischen Äquivalent zum ADFC – entstanden. Am Donnerstag schaue ich bei der Zentrale im Amsterdamer Westen vorbei. Mich interessiert, wie sie als Initiative der Zivilgesellschaft die Fahrradpolitik und die Projekte der Stadt wahrnehmen. Im Gegensatz zu Berlin sind die Bedingungen für den Radverkehr in Amsterdam deutlich besser. Auch die Mitglieder des _Fietsersbond_, die ich vor Ort treffe, schätzen die Situation generell als gut ein, haben aber das Gefühl, dass es in den letzten Jahren schlechter geworden ist. Neue Herausforderungen sind hinzugekommen, wie E-Bikes oder die sogenannten Fat Bikes, die zu deutlichen Unterschieden im Tempo auf den Fahrradwegen führen. Gleichzeitig würden das Fahrradfahren und die Infrastruktur von der Politik als etwas Gesetztes wahrgenommen werden. Neuere Ressourcen und Gelder würden eher in den öffentlichen Nahverkehr wie die neue Nord-Süd-Metrolinie fließen anstatt in Fahrradinfrastruktur. Geplante Infrastrukturprojekte, wie die vielen neuen Parkgaragen für Fahrräder, entstünden nicht mit dem Gedanken, etwas für das Fahrrad zu unternehmen, sondern mehr Platz im öffentlichen Raum für anderes zur Verfügung zu stellen. Diese Verknüpfung finde ich hingegen erst mal nicht schlecht. Das Auto hingegen wird nicht mehr als wirklich ernstzunehmender Gegenspieler zum Fahrrad wahrgenommen – ganz im Gegensatz zu Berlin.

Jorrit und ich im Büro

Mein Aufenthalt geht zu Ende, die vier Wochen sind wirklich sehr schnell vergangen. Der finale Tag bestand auch wie ein Großteil der letzten Tage darin, die gesammelten Informationen zusammenzutragen. Zum Abschluss treffe ich mich noch mit Jorrit. Ein letztes Mal ins Amsterdamer Büro und Lunch an der Gracht. Wir lassen noch einmal gemeinsam Revue passieren und überlegen, wie wir den Austausch auch in Zukunft weiter vertiefen können, eventuell auch in Kooperation mit London. Den Aufenthalt dort fand Jorrit ebenfalls sehr inspirierend. Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn der Austausch auch zukünftig weiter ausgebaut werden kann – auch wenn wir beide einen jeweils anderen Fokus haben. Jorrit arbeitet in der Wirtschaftsförderung im Bereich Mobilität, mein Fokus liegt eher auf Klimaschutz und im öffentlichen Raum, aber nicht im Speziellen in der Wirtschaft. Aber wie die Delegationsreise gezeigt hat, kann es auch sehr inspirierend sein, wenn verschiedene Personen aus Politik, Verwaltung und Unternehmen zusammenkommen.