HIER WOHNTE
JENNY KAPPEL
GEB. LUTTERKORT
JG. 1895
DEPORTIERT 19.1.1942
RIGA
ERMORDET
Jenny Kappel, geb. Lutterkort wurde am 4. März 1895 in Gerdauen (Ostpreußen) geboren. Sie hatte eine Tochter Ilse Rosemary Lilli Kappel , die am 13. Februar 1924 in Berlin-Friedenau geboren ist.
Jenny Kappel bewohnte ab 1938 zusammen mit ihrer Tochter Ilse ein Zimmer bei Johanna und Joachim Schwersenski. Sie steuerten als Untermieterinnen 40 Reichsmark bei und benutzten die vorhandenen Möbel. Jenny heiratete 1921 den Kaufmann und Buchhalter Friedrich Ludwig Isaak Kappel und gebar am 26. Juni 1922 ihren Sohn Werner Ludwig Julius und am 13. Februar 1924 um 2 Uhr nachts die Tochter Ilse Rosemary Lilli. Beide Kinder kamen in der damaligen Wohnung in Friedenau zur Welt. Die Familie sollte sich aber schon bald teilweise trennen. 1930 schieden sich Jenny und Friedrich, genannt Fred, und die Mutter zog mit den beiden Kindern um. Vor dem Einzug in die Westfälische Straße 62 in Wilmersdorf hatten Mutter, Sohn und Tochter eine Zeitlang in der Schloßstraße 35 in Charlottenburg gewohnt.
Der erneute Wohnungswechsel war wohl dadurch veranlasst, dass Werner zusammen mit seinem Vater nach Amerika auswanderte. Von Chicago aus, wo Werner als Bäckerlehrling Arbeit fand, verfolgte er sicherlich traurig die politische Situation in Deutschland. Seine Tochter benannte er später nach der Mutter und aus den Dokumenten zum Entschädigungsantrag geht hervor, dass er viele Nachforschungen unternommen hat, Lebenszeichen von seiner Mutter und seiner Schwester aufzuspüren. So machte er auch „Schaden an Freiheit“ und nicht „Schaden an Leben“ für beide geltend – wohl in der Hoffnung, sie noch zu finden. Warum Jenny und Ilse nicht nach Amerika mitgekommen sind, lässt sich nur erahnen. Zwei Tanten Ilses, Helene Hühns, geb. Lutterkort, die 1939 selbst ausgewandet ist, und Luise Levy, geb. Lutterkort, die kurzzeitig in dem Zimmer in der Westfälischen Straße untergekommen war, wohnten in Berlin und pflegten fast täglich zu Besuch zu kommen.
Ferner war die 14-jährige Ilse, nachdem ihr der Zugang zur Volksschule verwehrt wurde, in einer jüdischen Schule angemeldet worden. Da Jenny laut Helene großen Wert auf die Ausbildung von Ilse legte und in der neuen Schule, mit dem Schwerpunkt Sprachen, sinnvolle Inhalte gelehrt wurden, ist anzunehmen, dass Jenny noch eine Perspektive für ihre Tochter in Berlin gesehen hat. Schließlich war eine Auswanderung aufgrund der behördlichen Schranken auch nicht leicht zu realisieren.
Die Hoffnung auf eine einigermaßen gute Zukunft sollte sich aber bald zerschlagen. Jenny und Ilse bekamen 1941 eine jüdische Kennkarte und mussten fortan den Judenstern tragen, was sie quasi zu Vogelfreien machte, und wurden zur Zwangsarbeit herangezogen. Dabei musste Ilse an einer Papier-schneidemaschine zu 0,37 RM Stundenlohn bei der Firma B.O.F. Rau schaffen, und Jenny zu 0,50 RM Stundenlohn bei der Ehrich und Graetz AG in Treptow. Sie brauchten aber nach eigenen Angaben 75 RM zum Bestreiten des Lebensunterhalts und die Miete. So ist es nicht verwunderlich, dass die beiden in der am 22. Dezember 1941 ihnen abverlangten Vermögenserklärung nur das allernötigste an Kleidung und Hausrat angeben konnten. Die Erklärung haben sie zusammen ausgefüllt und Ilse hatte aus Versehen sogar die Koffer angezeigt, die sie ja aber noch für die „Auswanderung“ brauchten. Die Verängstigung der beiden kann man sich sicherlich nur schwer vorstellen.
Am 19. Januar 1942 wurden Jenny und Ilse über die Sammelstelle Levetzowstraße mit einem von den Nazibehörden als „9. Osttransport“ bezeichneten Güterzug vom Bahnhof Grunewald – während einer damals herrschenden Kältewelle – nach Riga deportiert. Die letzte Spur findet sich im Rigaer Ghetto in Lettland. Fast alle der 987 Insassen wurden, sofern sie nicht schon erfroren waren, bald nach der Ankunft am 19. Januar erschossen.
1956 beantragte der Vater Fred Entschädigung für Ilse. Da er 1957 starb, hat seine zweite Ehefrau Hilda dann die Korrespondenz mit der Behörde übernommen. Werner und ihr wurden 6 450 DM zugestanden. Ein späterer Antrag auf Hinderung im beruflichen Fortkommen Ilses wurde mit 10 000 DM bewilligt. Werners Entschädigungsantrag für seine Mutter Jenny wurde ebenfalls mit 6 450 DM bewilligt. Ferner hatte er noch Entschädigung für Schaden an Eigentum und Vermögen beantragt, wofür 20 000 DM bewilligt wurden. Die Summen und Werte, mit denen sich der nationalsozialistische Staat bereichert hatte, werden wohl weit höher gewesen sein.
Recherchen/Text: Sebastian Traut