Thema des Monats Juni 2009

Ehrung von Siegfried Kracaue

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Holtzendorffplatz

Holtzendorffplatz

Der jüdische Soziologe und Kulturkritiker Siegfried Kracauer lebte in den letzten beiden Jahren bis zu seiner Emigration 1933 über Frankreich in die USA in der Sybelstraße 35. Mitglieder der Bürgerinitiative Stuttgarter Platz haben vorgeschlagen, mit einer Gedenktafel an ihn zu erinnern und den Holtzendorffplatz nach ihm umzubenennen. Am anderen Ende der Sybelstraße erinnert bereits der Walter-Benjamin-Platz an den anderen großen Essayisten und Kritiker der Weimarer Republik, mit dem er befreundet war. Da es neben dem Holtzendorffplatz auch eine Holtzendorffstraße gibt, sei die Umbenennung des Platzes unproblematisch, so argumentiert die Bürgerinitiative. Ein entsprechender Antrag wird in der BVV diskutiert.

SPD-Fraktion

Kriegen wir einen Kracauerplatz?
Wenn es nach SPD und Grünen geht: ja! Niemand wohnt am Holtzendorffplatz. Und das ist auch gut so! Sonst müssten bei einer Umbenennung in Kracauerplatz Anschriften geändert werden. Dieser Platz soll demnächst nicht mehr nach dem Juristen Franz von Holtzendorff (1829-1889) heißen, sondern nach Elisabeth (Lili) und Siegfried Kracauer (1893-1972/1889-1966). Bevor das Ehepaar 1933 ins Exil gehen musste, wohnte es ab 1930 direkt am Platz.
Siegfried Kracauer war leitender Film- und Literaturredakteur bei der Frankfurter Zeitung. Er gilt als Begründer der Filmsoziologie. Elisabeth Kracauer, geborene Ehrenreich, veröffentlichte mit ihrem Mann Texte und bestritt zeitweise den Lebensunterhalt des Paares. Postum wirkte sie an der Herausgabe von Werken Kracauers mit.
Aus den Reihen der Bürgerinitiative Stuttgarter Platz kam die Anregung für eine Gedenktafel an seinem Haus und zur Umbenennung des Platzes. Aus unserer Sicht ist die Umbenennung verdient. Für beide – Elisabeth und Siegfried.
Dr. Dorthea Zöbl

CDU-Fraktion

Die Gestaltungsfreude Berliner Kommunalpolitiker wird nirgends so deutlich wie bei der Suche nach Straßen- und Platznamen. Auch die Tatsache, dass unsere Straßen schon benannt sind und aus Kreuzungen Plätze werden, mindert nicht die Benennungslust. Dieses Mal also soll Siegfried Kracauer bedacht werden. Da die Bezirksverordneten sich geschworen haben, eigentlich nur Frauennamen für Benennungen zu verwenden, wird nach Auswegen gesucht und diskutiert, ob man nicht auch seiner Frau Elisabeth mit bedenken müsste. Da mag man schon grübeln, ob sich hier nicht eine modische Form von Diskriminierung zeigt. Ist Siegfried ohne Elisabeth Kracauer nicht ehrenswert – oder darf man Ehepaare nur gemeinsam ehren?
Eines vergisst man dabei: die von einer Umbenennung betroffenen Anwohner. Die Haltung der CDU-Fraktion ist hier eindeutig: Keine Umbenennungen ohne Befragung und Zustimmung der Anwohner! Hoffen wir, dass das Bezirksamt mit der Gestaltungsfreunde der Bezirksverordneten umzugehen weiß.
Joachim Dannert

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

“Elisabeth-und-Siegfried-Kracauerplatz”: So sollte der Holtzendorffplatz künftig nach Auffassung der Fraktion der Grünen in der BVV heißen. Siegfried Kracauer wohnte mit seiner Frau, die aus einer reichen katholischen Familie stammte, von 1930 – 1933 in der Sybelstr. Er ein bedeutender und widerständiger Publizist und Soziologe, der als jüdischer Bürger vor den Nazis nach New York fliehen musste. Seine nichtjüdische Frau hielt zu ihm. Sie begleitete und unterstützte ihn und seine Arbeit und sorgte noch nach seinem Tod für die Veröffentlichung seines Werkes. Wir begrüßen sehr die Aktivitäten der BI, Siegfried Kracauer zu ehren, und halten die Namenswahl “Kracauerplatz” für eine gute Lösung. Den Anteil von Mann und Frau am Werk Kracauers würdigen wir durch folgende Ergänzung auf dem Straßenschild: “Siegfried Kracauer (1889 – 1966), Soziologe, Elisabeth (Lili) Kracauer (1893 – 1972), Kunsthistorikerin und Bibliothekarin”.
Dr. Jürgen Hess

FDP-Fraktion

Siegfried Kracauer (geb. 1889 in Frankfurt/M., gest. 1966 in New York) entstammte einem jüdischen Elternhaus. Dass er nicht nach Auschwitz kam, verdankte er seinen Übersiedlungen. Kracauer war vor den Nazis geflohen, weil er sie in seiner Berliner Zeit durchschaut hatte. Er war nicht “nur” Journalist der Frankfurter Zeitung, sondern ein Vordenker. Sein Buch “Von Caligari zu Hitler” gehört zu den Fundamenten der Wissenschaft von der Publizistik.
Kracauer war mit Größen seiner Zeit wie Theodor W. Adorno “vernetzt”. Max Horkheimer, Thomas Mann und andere setzten sich für seine Einwanderung nach Amerika ein. Ende 1939 war er kurzzeitig interniert. In den USA arbeitete er für die Voice of America und war Research Director an der Columbia Universität.
Jetzt macht eine Bürgerinitiative den Vorschlag, Kracauer zu ehren. Gedacht ist an eine Tafel oder die Benennung eines Platzes.
Infrage kommt der Holtzendorffplatz. Dieser trägt den Namen des Juristen Franz von Holtzendorff (1829 – 1889). Nebenan gibt es die Holtzendorffstraße, so dass der Platz “geopfert” werden kann, um den Namen “Siegfried-Kracauer-Platz” zu tragen.
Jürgen Dittberner

Fraktion Die Linke