Thema des Monats September 2005

Currywurst in der City vor dem Aus? Soll auch die letzte Bude verschwinden?

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Der Betreiber eines Imbissstandes am Amtsgerichtsplatz wollte diesen einem Nachfolger übertragen, weil er in den Ruhestand geht. Nach einem Charlottenburger Beschluss von 1984 ist dies nicht möglich, weil Imbissbuden auf Straßenland nicht mehr genehmigt werden. Lediglich die existierenden genießen Bestandsschutz. In der BVV sind die Ansichten über den alten Beschluss und über das aktuelle Verhalten des Bezirksamtes unterschiedlich.

SPD-Fraktion

Currywurst gehört zur City-West wie Fischbrötchen zu Hamburg. In Charlottenburg hat Herta Heuwer ihre legendäre Soße erfunden. Doch mit dieser Tradition will Stadtrat Gröhler (CDU) jetzt anscheinend brechen: Denn bei seinem Entschluss, die Übernahme der Currywurstbude am Amtsgerichtsplatz zu untersagen und sogar deren Abriss anzuordnen, beruft er sich auf einen Beschluss des Bezirksamts Charlottenburg aus dem Jahre 1984 (!). Dass sich die Situation seitdem massiv geändert hat und es den damals befürchteten Wildwuchs an Buden heute nicht mehr gibt, scheint dem Stadtrat entgangen zu sein. Heute kann man die verbliebenen Buden an einer Hand abzählen. Einen solchen Beschluss ohne Nachdenken zur Grundlage für eine derartige Entscheidung zu machen, zeugt von einem abgehobenen bürokratischen Verwaltungsverständnis, nicht aber von der bürgerfreundlichen Verwaltung. Denn zu der Bude gibt es nicht nur eine 50-jährige Tradition, sondern es sind auch Arbeitsplätze betroffen. Die SPD-Fraktion hat deswegen in einem Antrag gefordert, den “Currywurstbudenerlass” von 1984 dringend zu überarbeiten, um damit die Currywurst am Amtsgerichtsplatz zu retten!
Fabian Schmitz

CDU-Fraktion

Brandenburger Tor, Holocaust-Mahnmal, Amtsgerichtsplatz: Es geht um die Wurst(-Buden). Früher war der Ku´Damm als Boulettenmeile verschrien, und der Bezirk Charlottenburg beschloss, keine Genehmigungen mehr für Imbissbuden auf Straßenland zu erteilen. Die bis dahin genehmigten Buden erhielten Bestandsschutz bis zum Pächterwechsel. Im Bezirk Wilmersdorf erfolgten ebenfalls keine Neugenehmigungen. Dem Pächter der Currywurst-Bude am Amtsgericht wurde 1983 mitgeteilt, dass eine Weitergabe an einen neuen Pächter nicht zulässig sei. Mitte 2005 wollte er dennoch an einen Nachfolger verkaufen. Der Baustadtrat lehnte ab, er wollte keine Sonderregelung treffen. Diese Entscheidung ist für die CDU nachvollziehbar. Eine Sonderregelung kann aus Gleichheitsgründen nicht stattfinden. Inzwischen prüft das Bezirksamt richtigerweise, ob die restriktive Haltung der 80er Jahre weiterhin Anwendung finden soll. In Anbetracht der vielen leer stehenden Läden besteht aber kein Bedarf, auf Straßenland zahlreiche zusätzliche Verkaufseinrichtungen zu schaffen, auch nicht zur Rettung der Currywurst, denn die Genehmigungen können immer nur für Imbissstände erteilt werden, so dass zu Beispiel Kebab oder Crepes genauso zulässig wären. Eine Rückkehr zur Budenkultur der 80er lehnt die CDU ab. Aber auch der Fortbestand einzelner Imbissstände wird die städtebauliche Situation nicht erheblich schädigen, so dass emotionsfreie Kompromisse machbar sind.
Bodo Schmitt

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Worum es geht, erleuchtet ein Antrag der FDP in der BVV: Der alte Beschluss des Bezirksamtes Charlottenburg, Wurstbuden in der Innenstadt nach und nach die Genehmigung nicht zu verlängern, wird aufgehoben. Der Standort Amtsgerichtsplatz wird wieder eingerichtet.
Läuft die Genehmigung aus, muss der Imbiss an einen anderen Standort ausweichen. Die grüne Fraktion unterstützt jedoch den Schutz der Innenstadt.
Wir sind nicht alle Vegetarier und schätzen wie viele andere Menschen im Bezirk Currywurst und Döner. Doch wir wollen gerade in der Innenstadt den öffentlichen Raum freihalten und besonders attraktive Straßen und Plätze nicht mit Verkaufsbuden beeinträchtigen. Diese stammen aus einer anderen Zeit. Die Betreiber wissen schon lange, dass die Genehmigungen nicht verlängert werden. Im Zentrum und auch in der Nähe historischer Gebäude wie am Amtsgerichtsplatz gibt es kleine Läden, die sowohl dem Betreiber wie den Kunden deutlich bessere Bedingungen bieten können.
Oder man nutzt die Möglichkeit, an einen weniger markanten Ort zu ziehen. Schankveranden am Ku’damm und Straßenhändler am Breitscheidplatz verschlechtern auch das Stadtbild unseres Bezirks. Das zu verschönern, dafür gibt es nicht zufällig eine breite Mehrheit in der BVV.
Dr. Jürgen Hess

FDP-Fraktion

Zu Westberliner Zeiten hatte ein hochrangiger Bundespolitiker gespottet, in den Bezirksämtern Berlins säßen mit Pullovern gekleidete „Piefkes“. Diese hatten ihre Standards. In Charlottenburg störte sie der Anblick einer Berliner Institution: die Currywurstbude. Mochten Außenminister befreundeter Mächte medienbegleitet zum nächsten Stand hetzen und die mit roter Soße übergossenen Röllchen verschlingen – im inneren Bereich Charlottenburgs sollten die Buden aus dem Stadtbild verschwinden, befanden die „Piefkes“ und verabschiedeten einen entsprechenden „Erlass“. Das ist lange her. Nun erinnerte sich ein aktueller Stadtrat von der CDU daran und machte eine der letzten Buden am Amtsgerichtsplatz zu.
Wieder gibt es mindestens einen Arbeitslosen mehr; Touristen und Berliner suchen vergebens nach einem Stück Originalität. Da hilft nur Kompensation: Berlin ist zwar Hauptstadt, doch in einigen Bezirks-Rathäusern sind die letzten „Piefkes“ noch zu besichtigen – aber nicht mehr in Pullovern. Sie tragen jetzt Anzüge.
Jürgen Dittberner

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

1984 fasste das Bezirksamt Charlottenburg den Beschluss, den Wildwuchs von Currybuden auf öffentlichem Straßenland einzudämmen. Bestehende Verträge sollten entweder nicht verlängert oder erneuert werden. Dies ist seitdem gängige Praxis. Über zwanzig Jahre später kann von Wildwuchs längst keine Rede mehr sein. Currywurst gibt es im vereinigten Bezirk vorwiegend noch an S- und U-Bahnhöfen. Zudem hat sich die Berliner Wirtschaftslage seither deutlich verändert.
Der städtischen Wirtschaft geht es schlecht. Betroffen davon ist vor allem der lokale Einzelhandel. Sinkende Einnahmen und hohe Mieten führen dazu, dass immer mehr Läden vom gut sortierten Schreibwarengeschäft bis zur persönlichen Currybude von der Bildfläche verschwinden. Die Linkspartei.PDS setzt sich seit langem dafür ein, solche Kleinunternehmen zu stützen und am Leben zu erhalten.
Dass im Bezirk Verordnungen umgesetzt werden, die unter geringem Bezug zur Realität leiden, wirft kein gutes Licht auf unsere Verwaltung. Hier müssen die politisch Verantwortlichen neue Vereinbarungen für den Bezirk treffen, um die noch bestehenden Buden zu erhalten. Ein Leben ohne Currywurst mag sich in Berlin schließlich niemand wirklich vorstellen!
Benjamin Apeloig, Dr. Günther Bärwolff