Thema des Monats August 2004

Bordelle - Bedürfnisse oder Schmuddelgeschäft?

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Ein Investor will in der Nähe des Messegeländes ein so genanntes Laufhaus errichten. Es wird voraussichtlich im nächsten Jahr als Berlins erstes Eros-Center Groß-Bordell eröffnet und mit 58 Zimmern als Kontakthof für Prostituierte und Freier mit einem Wellnessbereich dienen. Da die Baustelle an der Halenseestr. 32-26 in einem Gewerbegebiet liegt, war eine Baugenehmigung durch das Bezirksamt zu erteilen. Dies hat für entsprechende Diskussionen in der BVV gesorgt.

SPD-Fraktion

Mit dem am 1.1.2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten sollte die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten verbessert werden. Das Gesetz eröffnet ihnen die Möglichkeit, ihre Tätigkeit in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis auszuüben und damit Zugang zu Leistungen der gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung zu erhalten und stärkt ihre Position gegenüber Freiern und Zuhältern.
Das Prostitutionsgesetz mag noch nicht bis ins letzte Detail auf alle offenen Fragen eine Antwort haben. Auf jeden Fall eröffnet es uns jedoch die Chance, offen über Prostitution und Bordelle in unserem Bezirk zu sprechen. Die SPD-Fraktion möchte diese Chance ergreifen. Wir wollen bestehende Probleme mit allen Beteiligten erörtern und nach Möglichkeit zu einvernehmlichen Lösungen kommen. Die Dienste der Prostituierten werden in Deutschland täglich von über einer Million Männer in Anspruch genommen. Damit werden jährlich Umsätze in Milliardenhöhe erzielt. Der Staat erhebt auf die Einkünfte der Prostituierten Steuern. Daher verdienen es die Prostituierten, dass wir sie als seriöse Verhandlungspartner betrachten und ihre Sorgen und Probleme wie ihre wirtschaftlichen Interessen ernst nehmen.
Wir haben dafür gesorgt, dass wir im Ausschuss für Frauen ausführlich mit der Leiterin der Beratungsstelle für sexuell übertragbare Krankheiten und der Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen e.V. über Prostitution in unserem Bezirk sprechen konnten. Als Konsequenz dieser spannenden und lehrreichen Diskussion hat die Vorsitzende des Ausschusses für Bauleitplanung, Monica Schümer-Strucksberg (SPD), die Koordinierung eines runden Tisches aller Beteiligten übernommen.
Katrin Schäfer

CDU-Fraktion

Seit dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf der Antrag auf Genehmigung des Baus eines so genannten „Laufhauses“ (Bordell) vorliegt, hat dies in den politischen Gremien zu regen Diskussionen über derartige Einrichtungen geführt. Das Baurecht allein erlaubt in diesem Falle keine Versagung, da das Gebäude nicht in einem allgemeinen Wohngebiet stehen wird. Eine moralische Beurteilung hat das Bezirksamt nicht vorzunehmen.
Die CDU verschließt sich nicht den Erkenntnissen von Soziologen, Kriminologen und Sexualwissenschaftlern, dass Bordelle, für die erkennbar eine Nachfrage besteht, durchaus Gewalt und Aggression abfangen und somit eine soziale Funktion haben. Bei geschätzten täglichen 1,2 Millionen männlichen Nutzern von sexuellen Dienstleistungen kann ein Bedürfnis nach entsprechenden Angeboten nicht verneint werden.
Dieser Tatsache trägt auch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin Rechnung, welches die Prostitution als nicht mehr sittenwidrig bewertet sowie das Prostitutionsgesetz, das unter anderem den Abschluss von Arbeitsverträgen (einschließlich Sozialversicherungspflicht für Prostitution) möglich macht.
Das besagt jedoch nichts darüber, wie jeder Einzelne von uns bewertet, dass sich Frauen und Männer freiwillig als käufliche Ware zur Verfügung stellen. Unabhängig davon tritt die CDU jedoch dafür ein, dass Bordelle in Wohngebieten wegen der damit verbundenen negativen Auswirkungen für das Umfeld nichts zu suchen haben. Das Bezirksamt wird daher von uns aufgefordert, hiergegen alle rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen.
Marion Halten-Bartels

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

In Deutschland bezahlen 1.2 Mio. Männer täglich für sexuelle Dienstleistungen und es gibt ca. 400.000 Prostituierte; die Bedürfnisse sind klar. Das seit Januar 2002 bestehende Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten erkennt die Bordellbetreiberin als Gewerbetreibende an und nimmt der Prostitution die Sittenwidrigkeit.
Wir unterstützen als Bü90/Grüne die Position einer Prostituierten im Frauenausschuss – eingeladen durch die von uns gestellte Vorsitzende -, dass bordellartige Unternehmen nicht automatisch Kriminalität bedeuten. Wir wissen, dass bestimmte Gebiete unseres Bezirks seit langem eine bekannte Adresse für Prostitution sind.
Hier hat sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von gesundheitlichen Diensten und der Polizei mit den Prostituierten und den Bordellbetreibern entwickelt. Hier wird Beratung zu Arbeitsbedingungen, gesundheitlicher Vorsorge und Schutz vor Gewalt geleistet. Ein Eros-Center mit Wellness ist sicher modern, aber die billigere Dienstleistung im bordellartigen Betrieb ist ebenfalls gefragt.
Wir wollen diesen wirtschaftlichen Zweig, der auch Arbeitsplätze bereitstellt, mit möglichst viel Normalität, ohne Schmuddelgeschäfte und ohne Belästigungen für die Anwohnerinnen erhalten. Nur Normalität mit entsprechendem Vertrauen in die Gesetze und ihre Ausführenden kann Zwangsprostitution, Menschenhandel und Kriminalität begrenzen.
Karin Nagel

FDP-Fraktion

Das Thema Prostitution ist nach wie vor ein Tabuthema. Seit nunmehr zwei Jahren gilt das Prostitutionsgesetz, wonach Prostitution nicht mehr sittenwidrig ist. Trotzdem fällt es den Sexanbieterinnen und -anbietern in der Öffentlichkeit auch weiterhin schwer, zu ihrem Arbeitsplatz zu stehen.
Die rechtlichen Regelungen sind aber noch immer uneinheitlich – nach Gewerberecht ist die Prostitution erlaubt, mit Hilfe des Baurechts verbieten viele Kommunen die Ausübung wieder – und helfen den Betroffenen wenig. Auch in unserem Bezirk verbieten viele Bebauungspläne die Ausübung der Prostitution, ohne zu erklären, an welchen Stellen im Bezirk solche Betriebe erlaubt sein sollten. Damit werden diese Gewerbebetriebe verstärkt in die Illegalität gedrängt mit allen Problemen (Drogen, Kriminalität, Gewalt), die in diesem Bereich herrschen. Die FDP-Fraktion begrüßt es daher ausdrücklich, dass jetzt alle Fraktionen für unseren Bezirk nach einer gemeinsamen Lösung suchen wollen.
Sicherlich gibt es im Prostitutionsgewerbe eine hohe Kriminalitätsrate, insbesondere ist hier die verwerflichste Form – der Menschenhandel – zu nennen. Die FDP fordert ein umfassendes europäisches Konzept gegen den Menschenhandel, von der Aufklärung über die miesen Praktiken der Menschenhändler, über grenzüberschreitende Zusammenarbeit bis zu Zeugenschutzprogrammen für die Opfer, damit sie sicher genug sind, um als Zeuginnen im Prozess gegen Menschenhändler auszusagen.
Corinna Holländer

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

In einer Gesellschaft, in der von Brad-Pitt-Nase bis zum Gewissen hochrangiger Politiker alles käuflich ist, war das Prostitutionsgesetz längst überfällig. Auch wenn das 2002 in Kraft getretene Gesetz den Betroffenen an vielen Punkten nicht weit genug geht, befreit es das älteste Gewerbe der Welt endlich juristisch vom Ruch der Sittenwidrigkeit.
Daher mutet es ein wenig merkwürdig an, wenn in unserem Bezirk jetzt anscheinend – auf Umwegen – versucht wird, die Prostituierten an ihrer Tätigkeit zu hindern. Zwar ist im April von der Bezirksverordnetenversammlung beschlossen worden, zum Schutz der dort Beschäftigten die Arbeitsbedingungen durch Gewerbeaufsicht und Gesundheitsamt regelmäßig zu kontrollieren. Doch die meisten Bordelle am Stuttgarter Platz sind nur als Kneipen gemeldet, eine verstärkte Kontrolle durch das Gewerbeaufsichtsamt – und hier vor allem durch die Bauaufsicht – könnte Schließungen nach sich ziehen.
Prostitution ist ein Gewerbe wie jedes andere auch. Allein in Berlin arbeiten ca. 10.000 Huren. Die Beschäftigten bedürfen eines besonderen Schutzes. Ein Abdrängen der Prostitution aus den Innenstadtbezirken setzt die Frauen einem höheren Risiko gewaltsamer Übergriffe aus. Zudem drängt man sie verstärkt in die Illegalität.
Wenn man versucht, auf diese Weise Wählerstimmen bei genervten Anwohnern zu angeln, entspricht das einer gewissen Bigotterie: Auf der einen Seite gibt man vor, die Beschäftigten schützen zu wollen, anderseits ergreift man Maßnahmen, um die Bordelle aufzulösen!
Benjamin Apeloig, Jürgen Hornig