HIER WOHNTE
ARTHUR LEWY
JG. 1872
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 3.12.1941
Arthur und Gertrud Lewy , die in der Markgraf-Albrecht-Straße 15 lebten, müssen ein wohlhabendes, in der feineren Gesellschaft verkehrendes Ehepaar gewesen sein – das lässt sich jedenfalls aus dem Archivmaterial schließen, das über sie noch im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam vorhanden ist. 1934 waren sie in die geräumige Wohnung im 2. Stock rechts gezogen, die vier Zimmer, Bad, Mädchenzimmer, Küche, Speisekammer, Diele, Durchgangszimmer und Hinterkorridor hatte. Da Lewys kinderlos waren, sind ihre Lebensumstände also durchaus gutsituiert gewesen. Ins Berliner Adressbuch hatte er sich mit der Berufsbezeichnung Kaufmann eintragen lassen.
Arthur Lewy wurde am 22. März 1872 in Posen (Poznan) geboren, Gertrud Lewy, geb. Fränkel, am 1. Juli 1879 in Oppeln (Opole). Am 30.10.1941 mussten sie sich im Sammellager für zur Deportation vorgesehene Juden in der Synagoge an der Levetzowstraße registrieren lassen. Am 1. November 1941 sind Arthur und Gertrud Lewy in das Ghetto Lodz deportiert worden. Die polnische Stadt Lodz war von den Nazis nach einem deutschen General in Litzmannstadt umbenannt worden. Die Lebensbedingungen in diesem ummauerten und mit Stacheldraht umzäunten, nach Warschau zweitgrößten Ghetto waren grauenvoll: Tausende starben an Unterernährung und Krankheiten oder erfroren. Das Todesdatum von Arthur und Gertrud Lewy ist der 3. Dezember 1941.
Aus den Vermögenserklärungen, die mit einer feinen Handschrift für beide ausgefüllt wurde, lässt sich ihr Wohlstand ablesen: sie besaßen viele Möbel, darunter eine wertvolle Standuhr, und reichlich Hausrat, der zu Gunsten des NS-Staates an Händler verhökert wurde. Ebenso die Kleidungsstücke, worunter sich ein Frack, ein Smoking, ein Gehrock und sechs Kragen befanden sowie ein dunkelblaues Kostüm, ein Seidenkleid und eine Samtjacke.
„Ich verwalte das Vermögen von Alex Hirschberg früher Hardenbergstraße 14“, der in die USA geflüchtet war, „bei der Deutschen und der Dresdner Bank“, gab Arthur Lewy an. Jeden Monat überwies er für seinen Vater Sally Lewy, der in Breslau, Höfchenstraße 23, wohnte, 50 Reichsmark an die Dresdner Bank Breslau. Auch Gertrud Lewy besaß einiges Vermögen, wovon sie 1939 an ihren Bruder Siegfried Fränkel etliche Wertpapiere abgetreten hatte. Das Gesamtvermögen seiner Frau bezifferte Arthur Lewy auf „ca RM 5 600“, was die Sparkasse bestätigte: es waren 5 665,83 Reichsmark – ein gefundenes Fressen für die Nazi-Behörden, die sich über jüdisches Eigentum hermachten. In diesem Fall kümmerte sich weder das Finanzamt Wilmersdorf noch das Oberfinanzpräsidium Berlin-Brandenburg darum, sondern das Reichsfinanzministerium begehrte direkten Zugriff auf die Konten und Depots mit Aktien und Pfandbriefen sowie auf eine Lebensversicherung beim Gerling Konzern Köln im
Wert von 10 500 Goldmark, „fällig am 1. Dezember 1949“. Alles zusammen sollte dem NS-Finanzministerium 7 212,45 RM einbringen. Schließlich hatte Gertrud Lewy noch eine Hypothek auf das Grundstück Holzmarktstraße 50 c, worüber später gestritten wurde.
Eigentümer des Hauses Markgraf-Albrecht-Straße 15 war Fritz Henke, Berlin-Charlottenburg, Tegeler Weg 1. Die Verwalter hatten mehrmals gewechselt, damals war es der Bauingenieur Carl Sacht in Berlin-Steglitz, Ahornstraße 12 a. Ihnen wurde nach der Deportation des Ehepaares Lewy mitgeteilt, dass die Wohnung vorübergehend als „Reserveraum für kriegswichtige Zwecke beschlagnahmt“ sei. Danach wurde sie an einen Diplomaten namens Gerhard Boldt vergeben, der aus den USA ins Auswärtige Amt nach Berlin zurückgekehrt war. Dieser Konsulatssekretär Boldt beauftragte den Malermeister Paul Schröder, die Wohnung zum 1.7.1942 zu renovieren und bezahlte mit einem Verrechnungsscheck über 751,72 RM. Anschließend stritten der Nachmieter Boldt und der Hausverwalter Sacht mit dem Oberfinanzpräsidium über die Kostenerstattung. Boldt meinte, er habe darauf einen Anspruch wegen „Vernachlässigung der Wohnung durch den jüdischen Vormieter“. In ähnlich üblem Wortschatz wandte sich
Sacht zunächst an das 157. Polizei-Revier Nestorstraße 45-46: „Der jüdische Mieter Arthur Lewy ist infolge polizeilicher Massnahmen aus seiner Wohnung in dem von mir verwalteten Haus Markgraf Albrechtstr. Nr. 15 in Berlin Halensee im vorigen Monat entfernt worden. Die Wohnung wurde versiegelt. Miete 145 RM abzüglich 2% für Einschränkung der Warmwasserversorgung 142,10.“ Und er bat darum, „anliegende Rechnung an die hierfür zuständige Stelle weiterleiten zu wollen“. Es folgten zahlreiche Eingaben und Beschwerdebriefe an das zuständige Oberfinanzpräsidium, das jedoch die Renovierungskosten in dieser Höhe nicht erstatten mochte.
Einen großen Teil der im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam aufbewahrten Akte über Arthur und Gertrud Lewy nehmen Schriftsätze des pensionierten Direktors beim Verband der Kommunalbeamten und -angestellten Preußens e. V. und ehemaligen Stadtrats in Witten/Ruhr, Ferdinand Ehrmann (1876-1944), ein. Er hatte das von Lewys 1935 gekaufte Haus Michaelkirchstraße 1/Ecke Michaelkirchplatz – mit Blick auf das Engelbecken – 1939 erworben und nachträglich Schwamm und Hausbockkäferbefall festgestellt. Am 18.1.1942, als Lewys schon längst in das von den Nazis in Litzmannstadt umbenannte Ghetto nach Lodz deportiert und dort ums Leben gebracht worden waren, wollte Ehrmann Schadenersatz einklagen. Beim Berliner Kammergericht machte er 5 012 Reichsmark geltend und dankte unterwürfig „im Voraus verbindlichst. Heil Hitler!“ Das Gericht riet ihm jedoch, sich mit einem Teilbetrag von 1 500 RM zu begnügen, da das Vermögen der Lewys sei schon zu Gunsten des Deutschen
Reichs eingezogen sei. „Wie jetzt bekannt geworden ist, befinden sich die Beklagten in Litzmannstadt (Getto) Bleigasse 9/39“, teilte ein Justizangestellter mit.
Ehrmann jedoch ließ nicht locker, weil er einen „wuchererischen Überpreis“ für das Haus bezahlt habe und setzte sogar einen Schaden von 10-12 000 RM an. Am 26.6.1942 legte Ehrmann in markigen Tönen nach: „Es ist mir als deutschem Mann und Nationalsozialisten ein schwer erträglicher Gedanke, einen Rechtsstreit gegen das Deutsche Reich führen zu müssen, bei dem ich mich gegen jüdische Geschäftspraktiken übelster Art wehren muss und bei dem das Reich als Prozessgegner genötigt sein könnte, sich auf die Behauptungen und Ausflüchte der inzwischen im Zuge der Reinigung von Volks- und Staatsfeinden aus dem Volkskörper entfernten Juden zu stützen.“ Ein Gutachten kam zu dem Schluss, „der arische Käufer sei auf übelste Weise getäuscht“ worden. Einen Vergleichsvorschlag lehnte das Gericht aber ab und wies am 16.1.1943 Ehrmanns Klage zurück: Es habe keine arglistige Täuschung vorgelegen, nur „ungewollte Missverständnisse“. Also wurde den Juden recht
gegeben und nicht dem preußischen Beamten. Stand hinter dieser Entscheidung des Kammergerichts etwa Gerechtigkeit oder beugte es sich der Raffgier der Finanzbehörden?
1969 machte aus den USA eine „Geschädigtengemeinschaft Lewy/Ehrmann“ Lastenausgleich geltend. Bis 1987 waren Ämter in Berlin mit diesem Verfahren beschäftigt. Die Akten sind zur öffentlichen Einsicht nicht freigegeben.