Stolpersteine Markgraf-Albrecht-Straße 15

Hausansicht Markgraf-Albrecht-Str. 15

Die Stolpersteine wurden am 08.05.2012 verlegt.

Stolperstein Siegmund Sborowitz

Stolperstein Siegmund Sborowitz

HIER WOHNTE
SIEGMUND SBOROWITZ
JG. 1873
DEPORTIERT 2.4.1942
ERMORDET IM
GHETTO WARSCHAU

Siegmund Sborowitz war Erfinder. In der Markgraf-Albrecht-Straße 15, wo er und seine Frau Paula sowie die Tochter Lotti seit 1937 im Vorderhaus im 3. Stock wohnten, hatte er seinen Arbeitsraum mit Laboratorium. Nach eigener Auskunft von 1942 bestand die Wohnung aus 4 Zimmern, Badezimmer, aber „z.Z. kein Warmwasser“, und Balkon. Die Miete betrug 127,50 Reichsmark, für damalige Verhältnisse ziemlich teuer. Hausverwalter war der Bauingenieur Carl Sacht in Berlin-Steglitz, Ahornstraße 12 a.

Der am 24. Juni 1873 in Brünn (Brno) in Mähren geborene Sborowitz war Tscheche und wurde von den Nazis im Register der Volkszählung von 1939 als „Geltungsjude“ eingeordnet. Er selbst musste sich als „Mischling“ bezeichnen. Paula Sborowitz, geb. Simon, ist am 11. August 1865 in Krone a.d.Brahe (Koronowo) geboren, die Tochter Lotti Sborowitz am 16. Januar 1897 in Stettin, auch sie hatten beide die tschechische Staatsangehörigkeit. Einem Sohn, Leo Sborowitz, war die Flucht aus Nazi-Deutschland geglückt, er hatte aber zeitweise keinen Kontakt zu seiner Familie. Erst 1952 meldete er sich aus Palästina.

Als Beruf gab Sborowitz in der am 2.4.1942 kurz vor seiner Deportation ausgefüllten Vermögenserklärung „Techniker“ an. Er arbeite „selbständig zu Hause in meinem Laboratorium“. Seine Handschrift ist teilweise unleserlich, sodass sich seine Lebensumstände nicht vollständig rekonstruieren lassen. Außerdem waren seine Auskünfte lückenhaft, „da die Vermögenserklärung nur nach Gedächtnis ausgefüllt wurde“. Zur Auflistung seiner Möbel und des Hausrats „hat man mir keine Zeit gelassen da ich die Liste erst hier Levetzowstr. bekommen habe“. Die in der Wohnung hinterlassenen Möbel und der Hausrat wurden am 5.6.1942 für 1832 Reichsmark von der Firma Erich Lübke in Berlin-Tempelhof, Berliner Straße 128, aufgekauft, während sich an den Kleidungsstücken der Familie Sborowitz im Schätzwert von 479 RM die Firma Richard Carstens in Berlin-Kreuzberg, Naunynstraße 12, bereicherte.
Er befand sich also nicht mehr in der Markgraf-Albrecht-Straße, sondern in der Levetzowstraße 7-8, wo eine Synagoge stand, die als Sammellager missbraucht wurde. Die Frage nach „Ansprüchen aus Lizenzverträgen, Patentrechten“ beantwortete er: „… kann ohne Akten keine Angaben machen“. Der Frage nach „Steuerrückständen“ wich er auf ähnliche Weise aus: er könne sie „ebenfalls ohne Akten … nicht klären“. Seine Aufzeichnungen und Unterlagen lagerten beim Reichsbauamt in der Viktoriastraße, beim Reichspatentamt in der Gitschiner Straße und bei einem Unternehmen in Strausberg.

Für die Brüder Arthur und Oswald Münch, die in Strausberg bei Berlin, Mühlenberg 3, eine Fabrik für Perlmutter-und Kunsthorn-Waren, „Spezialität Knöpfe und Schnallen“ (Eigenwerbung), besaßen, hatte Sborowitz ein Spritzgussverfahren zur Herstellung gemusterter Formstücke entwickelt. Das Reichspatentamt hatte ihm für sein „Verfahren zur Herstellung von Formstücken, insbesondere Knöpfen, Abzeichen, Broschen od. dgl. aus härtbarem Kunstharzpreßstoff“ am 15.1.1938 das Patent erteilt. Es ermöglichte die Herstellung von Knöpfen aus Materialabfällen und sei „von erheblichem Wert“ und „für die Deutsche Wirtschaft von erheblicher Bedeutung, weil es zu sehr erheblichen Einsparungen in der Kunstharz-Verarbeitung führt“, argumentierten die Brüder Münch. Als sie am 22.8.1941 einen Vertrag schlossen, der ihm als Entgelt für die Lizenz 25 000 Reichsmark in Aussicht stellte, gaben sie Sborowitz ein Darlehen.

  • Patentschrift und Skizze Siegmund Sborowitz und Jakob Laupenheimer

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Nachdem Sborowitz am 2. April 1942 mit Frau und Tochter ins Warschauer Ghetto deportiert worden war, forderte nicht nur der Hausverwalter 382,20 Mietschulden zurück, sondern die Brüder Münch bemühten sich beim Staat um eine Rückzahlung des Darlehens. Das Reichspatentamt vertrat aber den Standpunkt, zwei Patentanmeldungen von Sborowitz, „der Jude sein soll und seinen Aufenthalt anscheinend in Ausland verlegt hat, … dürften dem Reich verfallen sein“. Empört wandten sich die Knopffabrikanten an den Oberfinanzpräsidenten: „Sborowitz hat ein Darlehen von 8 000 RM erhalten, um das Patentverfahren zu entwickeln. Er ist durch Ausbürgerung daran verhindert worden und den vorbenannten Betrag schuldig geblieben.“ Das Finanzamt Wilmersdorf-Nord wollte damit nichts zu tun haben und gab den Bescheid: „Der Pflichtige wird hier nicht mehr geführt.“
Diese Auskünfte erzürnten die Brüder Münch, die offenbar gut mit Sborowitz kooperiert hatten und sich nach eigenem Eingeständnis wunderten, dass er „plötzlich … den Judenstern tragen musste“. Ein sieben Seiten langes Gutachten des Patentanwalts Kurt Schroeter kam zu einem zweideutigen Schluss: Die Patentfähigkeit sei „äußerst gering“, aber „immerhin dürften die Erfindungen nicht wertlos sein“. Die Brüder Münch forderten eine Überprüfung, wurden aber vom Reichspatentamt am 15.9.1944 wiederum abgewiesen – mit einer neuen Begründung: Das Prüfungsverfahren könne nur wieder aufgenommen werden, wenn durch Bescheinigung des Reichsministers für Rüstung eine Bedeutung für die Kriegsproduktion nachgewiesen würde.

Hartnäckige Nachfragen blieben erfolglos. Am 16.4.1945 – also wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Rote Armee schon auf Berlin vorrückte – wurde im Reichspatentamt ein Schreiben verfasst: „…sind die Akten … infolge der kriegerischen Ereignisse zur Zeit nicht mehr greifbar“. Aktenzeichen, Stempel, i.V. gez. Müller, ausgefertigt Geißer, Verwaltungsangestellte. Damit endete die groteske Auseinandersetzung um die Erfindung des Siegmund Sborowitz.

Stolperstein Lotti Sborowitz

Stolperstein Lotti Sborowitz

HIER WOHNTE
LOTTI SBOROWITZ
JG. 1897
DEPORTIERT 2.4.1942
ERMORDET IM
GHETTO WARSCHAU

Lotti Sborowitz , geboren am 16. Januar 1897 in Stettin, war die Tochter von Siegmund und Paula Sborowitz und hatte einen Bruder Leo, der rechtzeitig nach Palästina flüchten konnte, bevor seine Eltern und seine Schwester deportiert wurden. Sie war unverheiratet und wohnte bei ihren Eltern in der Markgraf-Albrecht-Straße 15 im Vorderhaus im 3.Stock.

Am 2. April 1942 wurde sie mit ihren Eltern ins Warschauer Ghetto deportiert, nachdem die Familie einige Tage im Sammellager verbringen musste, das in der Synagoge an der Levetzowstraße 7-8 in Berlin-Moabit von den Nazis betrieben wurde. Dort gab sie wie schon früher bei der Volkszählung am 17.5.1939 ebenso wie ihre Eltern als Staatsbürgerschaft „Tschechoslowakei“ an.

Leo Sborowitz war am 21. Oktober 1899 in Stettin geboren. Er schloss sein Studium mit dem Doktortitel ab, wurde Psychotherapeut und war mit einer Werklehrerin verheiratet, als beide 1934 nach Palästina auswanderten. Seinen Vater beschrieb er als Mann voller „Vitalität und Schaffenskraft“, der sich ein erhebliches Vermögen erarbeitet habe. Unter anderem habe er einen Häuserkomplex mit dem Theater „Moabiter Gesellschaftshaus“ sowie mehrere Kinos besessen und zeitweise das “Berliner Parodietheater“ geleitet. In seinem Entschädigungsantrag, den Arie (geboren als Leo) Sborowitz in den 1950er Jahre stellte, beschrieb er die Wohnung als „reichlich mit Möbeln, Gardinen und Teppichen ausgestattet“.
Er schickte am 30.1.1952 einen Brief an die Außenstelle der in New York angesiedelten Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO), Berlin-Dahlem, Fontanestraße 16. Anscheinend hatte er sich umbenannt, deshalb schrieb er in Klammern den Vornamen Leo dazu. Seine Adresse war: Jerusalem, Bne Brith Str., Nashashibi Houses.

Er schrieb:
„Sehr geehrte Herren, meine Eltern Siegmund Sborowitz und Paula Sborowitz wohnten zuletzt in Berlin-Halensee, Albrecht Achillesstrasse. Seit 1942 habe ich über ihr Schicksal nichts mehr erfahren. Vermutlich sind sie deportiert worden. Teilen Sie mir bitte mit, ob bezw. was sich aus den Akten des Oberfinanzpräsidenten ergibt, insbesondere über die von meinen Eltern zurückgelassenen Vermögenswerte. Meine am 16.1.1898 geborene Schwester Lotti wohnte mit meinen Eltern zusammen. Auch über ihr Schicksal ist mir nichts bekannt. Meine obige Bitte beziehe ich auch auf meine Schwester.“

Nicht alle Angaben in diesem Brief sind korrekt, zum Beispiel nannte Arie Horowitz eine falsche Straße und ein falsches Geburtsjahr seiner Schwester. Er erhielt zur Antwort: Die betreffenden Akten seien verbrannt. Nur die umfangreiche Korrespondenz zur Patentschrift des Vaters sei noch vorhanden (siehe Siegmund Sborowitz).

Stolperstein Paula Sborowitz

Stolperstein Paula Sborowitz

HIER WOHNTE
PAULA SBOROWITZ
GEB.SIMON
JG. 1865
DEPORTIERT 2.4.1942
ERMORDET IM
GHETTO WARSCHAU

Paula Sborowitz, geb. Simon, ist am 11. August 1865 in Krone a.d. Brahe (Koronowo) geboren. Sie besaß einen tschechoslowakischen Pass. Vor der Deportation am 2. April 1942 füllte sie im Sammellager in der Synagoge an der Levetzowstraße 7-8 ihre „Vermögenserklärung“ aus und schrieb hinein: „ohne Beruf“. Wahrscheinlich führte sie den Haushalt der geräumigen Wohnung im 3. Stock der Markgraf-Albrecht-Straße. Ihr Ehemann, der Techniker und Erfinder Siegmund Sborowitz, sei „jüdisch“ – er selbst stufte sich als „Mischling“ ein.
Ihr Bargeld habe sie „abgegeben“, trug Paula Sborowitz ein und fügte noch eine Bemerkung an: „Diese Aufstellung ist in der Levetzowstraße aus dem Gedächtnis aufgestellt soweit wie möglich vollständig.“ Mit ihrem Mann und ihrer unverheirateten Tochter Lotti, geboren am 16. Januar 1897 in Stettin, wurde sie am 2. April 1942 ins Warschauer Ghetto deportiert.

Stolperstein Bianka Baer

Stolperstein Bianka Baer

HIER WOHNTE
BIANKA BAER
GEB. TIMENDORFER
JG.1875
DEPORTIERT 24.7.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 26.9.1942
TREBLINKA

Bianka Baer geb. Timendorfer, die am 30. März 1875 in Berlin geboren ist, wohnte zum Stichtag der Volkszählung am 17.5.1939 in der Markgraf-Albrecht-Straße 15. Sie war die Witwe eines Berliner Fabrikanten. In den letzten drei Jahren ihres Lebens, bevor sie zur Deportation ins Sammellager geschleppt wurde, musste sie noch zweimal die Wohnung wechseln.

Dokumentiert ist, dass sie aus der Markgraf-Albrecht-Straße in die Brandenburgische Straße 46 umziehen musste und dann seit 1.6.1942 in der Trautenaustraße 16 ein möbliertes Zimmer für 55 Reichsmark bei Emma Lewinsky gemietet hatte, die im Vorderhaus im zweiten Stock wohnte. Die Miete konnte sie aus den Zinsen ihres Ersparten bezahlen.

Emma Lewinsky, geb.Levy, geboren am 28. April 1870 in Königs Wusterhausen bei Berlin, lebte mit ihrer Tochter Dora Hahn, geb. Lewinsky, geboren am 16. Juli 1900 in Berlin. Sie sind am 12. August 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert worden, wo die Mutter am 12. Februar 1943 ums Leben gebracht wurde. Die Tochter kam am 9. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz. Für beide sind vor ihrem einstigen Wohnhaus Stolpersteine verlegt.

Drei Wochen vor ihren Vermieterinnen, am 20. Juli 1942, wurde Bianka Baer abgeholt und in das Sammellager an der Hamburger Straße 26 gebracht. Dort wurde für sie eine Vermögenserklärung ausgefüllt, die sie eigenhändig unterschrieb. Der Inhalt wirkt angesichts der Tragik der Umstände grotesk, denn sie ließ in der Rubrik Kleidung eintragen: “2 Morgenröcke, 1 Paar Schuhe”, sonst nichts. In der Spalte Gesamtvermögen gab sie jedoch „ca 12 000 RM“ an, die sich aus etlichen Wertpapieren, vor allem ungarischen Renten und einer Reichsbahnanleihe, zusammensetzten. Die Dresdner Bank teilte allerdings am 7.1.1943 mit, das Depot von Bianka Baer enthalte einen Nennwert von 39 278 Reichsmark.
Ihr Inventar wurde mit 130 Reichsmark bewertet und als „Auswanderer-Umzugsgut“ der Firma Namö (Neu- und Altmöbel), Potsdamer Straße 125, die auf solche Ankäufe spezialisiert war, für 91 RM zum Weiterverkauf angeboten. Die Ausplünderung von Bianka Baer setzte sich fort mit einer Forderung der Finanzbehörde an die Dresdner Bank, sie solle das „Barguthaben von rd. 17.- RM überweisen“. Anschließend brach ein schriftlich geführter Streit zwischen dem Finanzamt Wilmersdorf-Süd, der Reichshauptkasse und dem Oberfinanzpräsidenten aus, welche Stelle diesen lächerlichen Betrag einkassieren dürfe.

Bianka Baers Sohn Reinhold (22. Juli 1902-22. Oktober 1979) war mit seiner Frau Marianne Erika, geb. Kirstein, die er 1929 geheiratet hatte, und dem Sohn Klaus (1930-1987) während eines Urlaubs in Österreich 1933 über Manchester und Oxford in die USA geflüchtet. Prof. Dr. Reinhold Baer, der Mathematiker mit dem Spezialgebiet Gruppentheorie war, forschte und lehrte an mehreren Universitäten. 1951 betrieb er von seinem Wohnsitz Champaign (Illinois, USA) aus ein Wiedergutmachungsverfahren, an dessen Ende er nach sieben Jahren mit einer Summe von 1 630 DM abgespeist wurde. Am 26.8.1957 gab es sogar eine mündliche Verhandlung am Landgericht Berlin, bei der um den Todeszeitpunkt von Bianka Baer gestritten wurde.

Stolperstein Arthur Lewy

Stolperstein Arthur Lewy

HIER WOHNTE
ARTHUR LEWY
JG. 1872
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 3.12.1941

Arthur und Gertrud Lewy , die in der Markgraf-Albrecht-Straße 15 lebten, müssen ein wohlhabendes, in der feineren Gesellschaft verkehrendes Ehepaar gewesen sein – das lässt sich jedenfalls aus dem Archivmaterial schließen, das über sie noch im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam vorhanden ist. 1934 waren sie in die geräumige Wohnung im 2. Stock rechts gezogen, die vier Zimmer, Bad, Mädchenzimmer, Küche, Speisekammer, Diele, Durchgangszimmer und Hinterkorridor hatte. Da Lewys kinderlos waren, sind ihre Lebensumstände also durchaus gutsituiert gewesen. Ins Berliner Adressbuch hatte er sich mit der Berufsbezeichnung Kaufmann eintragen lassen.

Arthur Lewy wurde am 22. März 1872 in Posen (Poznan) geboren, Gertrud Lewy, geb. Fränkel, am 1. Juli 1879 in Oppeln (Opole). Am 30.10.1941 mussten sie sich im Sammellager für zur Deportation vorgesehene Juden in der Synagoge an der Levetzowstraße registrieren lassen. Am 1. November 1941 sind Arthur und Gertrud Lewy in das Ghetto Lodz deportiert worden. Die polnische Stadt Lodz war von den Nazis nach einem deutschen General in Litzmannstadt umbenannt worden. Die Lebensbedingungen in diesem ummauerten und mit Stacheldraht umzäunten, nach Warschau zweitgrößten Ghetto waren grauenvoll: Tausende starben an Unterernährung und Krankheiten oder erfroren. Das Todesdatum von Arthur und Gertrud Lewy ist der 3. Dezember 1941.

Aus den Vermögenserklärungen, die mit einer feinen Handschrift für beide ausgefüllt wurde, lässt sich ihr Wohlstand ablesen: sie besaßen viele Möbel, darunter eine wertvolle Standuhr, und reichlich Hausrat, der zu Gunsten des NS-Staates an Händler verhökert wurde. Ebenso die Kleidungsstücke, worunter sich ein Frack, ein Smoking, ein Gehrock und sechs Kragen befanden sowie ein dunkelblaues Kostüm, ein Seidenkleid und eine Samtjacke.

„Ich verwalte das Vermögen von Alex Hirschberg früher Hardenbergstraße 14“, der in die USA geflüchtet war, „bei der Deutschen und der Dresdner Bank“, gab Arthur Lewy an. Jeden Monat überwies er für seinen Vater Sally Lewy, der in Breslau, Höfchenstraße 23, wohnte, 50 Reichsmark an die Dresdner Bank Breslau. Auch Gertrud Lewy besaß einiges Vermögen, wovon sie 1939 an ihren Bruder Siegfried Fränkel etliche Wertpapiere abgetreten hatte. Das Gesamtvermögen seiner Frau bezifferte Arthur Lewy auf „ca RM 5 600“, was die Sparkasse bestätigte: es waren 5 665,83 Reichsmark – ein gefundenes Fressen für die Nazi-Behörden, die sich über jüdisches Eigentum hermachten. In diesem Fall kümmerte sich weder das Finanzamt Wilmersdorf noch das Oberfinanzpräsidium Berlin-Brandenburg darum, sondern das Reichsfinanzministerium begehrte direkten Zugriff auf die Konten und Depots mit Aktien und Pfandbriefen sowie auf eine Lebensversicherung beim Gerling Konzern Köln im Wert von 10 500 Goldmark, „fällig am 1. Dezember 1949“. Alles zusammen sollte dem NS-Finanzministerium 7 212,45 RM einbringen. Schließlich hatte Gertrud Lewy noch eine Hypothek auf das Grundstück Holzmarktstraße 50 c, worüber später gestritten wurde.

Eigentümer des Hauses Markgraf-Albrecht-Straße 15 war Fritz Henke, Berlin-Charlottenburg, Tegeler Weg 1. Die Verwalter hatten mehrmals gewechselt, damals war es der Bauingenieur Carl Sacht in Berlin-Steglitz, Ahornstraße 12 a. Ihnen wurde nach der Deportation des Ehepaares Lewy mitgeteilt, dass die Wohnung vorübergehend als „Reserveraum für kriegswichtige Zwecke beschlagnahmt“ sei. Danach wurde sie an einen Diplomaten namens Gerhard Boldt vergeben, der aus den USA ins Auswärtige Amt nach Berlin zurückgekehrt war. Dieser Konsulatssekretär Boldt beauftragte den Malermeister Paul Schröder, die Wohnung zum 1.7.1942 zu renovieren und bezahlte mit einem Verrechnungsscheck über 751,72 RM. Anschließend stritten der Nachmieter Boldt und der Hausverwalter Sacht mit dem Oberfinanzpräsidium über die Kostenerstattung. Boldt meinte, er habe darauf einen Anspruch wegen „Vernachlässigung der Wohnung durch den jüdischen Vormieter“. In ähnlich üblem Wortschatz wandte sich Sacht zunächst an das 157. Polizei-Revier Nestorstraße 45-46: „Der jüdische Mieter Arthur Lewy ist infolge polizeilicher Massnahmen aus seiner Wohnung in dem von mir verwalteten Haus Markgraf Albrechtstr. Nr. 15 in Berlin Halensee im vorigen Monat entfernt worden. Die Wohnung wurde versiegelt. Miete 145 RM abzüglich 2% für Einschränkung der Warmwasserversorgung 142,10.“ Und er bat darum, „anliegende Rechnung an die hierfür zuständige Stelle weiterleiten zu wollen“. Es folgten zahlreiche Eingaben und Beschwerdebriefe an das zuständige Oberfinanzpräsidium, das jedoch die Renovierungskosten in dieser Höhe nicht erstatten mochte.

Einen großen Teil der im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam aufbewahrten Akte über Arthur und Gertrud Lewy nehmen Schriftsätze des pensionierten Direktors beim Verband der Kommunalbeamten und -angestellten Preußens e. V. und ehemaligen Stadtrats in Witten/Ruhr, Ferdinand Ehrmann (1876-1944), ein. Er hatte das von Lewys 1935 gekaufte Haus Michaelkirchstraße 1/Ecke Michaelkirchplatz – mit Blick auf das Engelbecken – 1939 erworben und nachträglich Schwamm und Hausbockkäferbefall festgestellt. Am 18.1.1942, als Lewys schon längst in das von den Nazis in Litzmannstadt umbenannte Ghetto nach Lodz deportiert und dort ums Leben gebracht worden waren, wollte Ehrmann Schadenersatz einklagen. Beim Berliner Kammergericht machte er 5 012 Reichsmark geltend und dankte unterwürfig „im Voraus verbindlichst. Heil Hitler!“ Das Gericht riet ihm jedoch, sich mit einem Teilbetrag von 1 500 RM zu begnügen, da das Vermögen der Lewys sei schon zu Gunsten des Deutschen Reichs eingezogen sei. „Wie jetzt bekannt geworden ist, befinden sich die Beklagten in Litzmannstadt (Getto) Bleigasse 9/39“, teilte ein Justizangestellter mit.
Ehrmann jedoch ließ nicht locker, weil er einen „wuchererischen Überpreis“ für das Haus bezahlt habe und setzte sogar einen Schaden von 10-12 000 RM an. Am 26.6.1942 legte Ehrmann in markigen Tönen nach: „Es ist mir als deutschem Mann und Nationalsozialisten ein schwer erträglicher Gedanke, einen Rechtsstreit gegen das Deutsche Reich führen zu müssen, bei dem ich mich gegen jüdische Geschäftspraktiken übelster Art wehren muss und bei dem das Reich als Prozessgegner genötigt sein könnte, sich auf die Behauptungen und Ausflüchte der inzwischen im Zuge der Reinigung von Volks- und Staatsfeinden aus dem Volkskörper entfernten Juden zu stützen.“ Ein Gutachten kam zu dem Schluss, „der arische Käufer sei auf übelste Weise getäuscht“ worden. Einen Vergleichsvorschlag lehnte das Gericht aber ab und wies am 16.1.1943 Ehrmanns Klage zurück: Es habe keine arglistige Täuschung vorgelegen, nur „ungewollte Missverständnisse“. Also wurde den Juden recht gegeben und nicht dem preußischen Beamten. Stand hinter dieser Entscheidung des Kammergerichts etwa Gerechtigkeit oder beugte es sich der Raffgier der Finanzbehörden?

1969 machte aus den USA eine „Geschädigtengemeinschaft Lewy/Ehrmann“ Lastenausgleich geltend. Bis 1987 waren Ämter in Berlin mit diesem Verfahren beschäftigt. Die Akten sind zur öffentlichen Einsicht nicht freigegeben.

Stolperstein Gertrud Lewy

Stolperstein Gertrud Lewy

HIER WOHNTE
GERTRUD LEWY
GEB. FRAENKEL
JG. 1879
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 3.12.1941

Stolperstein Klara Liebmann

Stolperstein Klara Liebmann

HIER WOHNTE
KLARA LIEBMANN
GEB. FREIBUSCH
JG. 1886
DEPORTIERT 29.11.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Henriette Rosenthal

Stolperstein Henriette Rosenthal

HIER WOHNTE
HENRIETTE
ROSENTHAL
GEB. TRAUBE
JG. 1869
DEPORTIERT 21.7.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 21.9.1942
TREBLINKA

Über die beiden anderen einstigen Hausbewohnerinnen ist so gut wie nichts bekannt. Im Berliner Adressbuch von 1937 war Klara Liebmann unter dieser Adresse mit dem Zusatz „Frau“ eingetragen. Außerdem war Rosenthal, L., Rentner verzeichnet – er muss bald darauf gestorben sein, denn bei der Volkszählung am 17.5.1939 wurde er nicht mehr registriert.
Henriette Rosenthal hat die letzte Zeit vor ihrer Deportation wohl woanders verbracht, es ist aber nicht bekannt, wo. Akten sind nicht erhalten. Beide wurde jedenfalls ins Sammellager Hamburger Straße 26 verschleppt und dann vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald an ihre Todesorte deportiert.

Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam; Entschädigungsamt Berlin; Archiv des Kammergerichts Berlin; Gottwald/Schulle: Die Judendeportationen, Wiesbaden 2005
Recherchen und Texte: Helmut Lölhöffel