HIER WOHNTE
CHAIM HERMANN
ASKANAS
JG. 1868
DEPORTIERT 14.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 14.1.1943
Chaim Askanas, der sich mit dem Vornamen Hermann ansprechen und eintragen ließ, ist am 13. März 1868 in Plock (Polen) geboren. Er bewohnte seit 1931 mit seiner Frau Jenny Askanas, geb. Lappe, geboren am 1. November 1867 in Breslau, in der Karlsruher Straße 23 drei Zimmer mit Balkon und einer Kammer für 73,50 RM Miete. Allerdings benutzte sie – sicherlich aus wirtschaftlicher Not – nur einen Raum, denn zwei Zimmer hatten sie für monatlich 60 Reichsmark untervermietet an Fridaluise Thomsen. Aus zwei Vermerken, sie sei „arisch“ und „wandert nicht aus“, ist zu schließen, dass sie nicht zu den verfolgten Berliner Jüdinnen gehörte. Offenbar musste sie unter persönlich drängenden Umständen in diese Wohnung einziehen und überwies die Miete, wie ihr Sohn mit antisemitischem Unterton formulierte, „verständlicherweise nicht an die Juden Askanas“, sondern an den Hausverwalter.
1942, als Hermann und Jenny Askanas sich auf ihre Deportation vorbereiten mussten, waren sie in einer Jüdischen Gemeinschaftsküche in der Sächsischen Straße 72 angestellt, er als „Pflichtarbeiter“, wie er notierte, womit er offenbar den Begriff „Zwangsarbeiter“ umschrieb, und sie als Küchenhelferin. Hermann Askanas, der in den Jahren zuvor als Kaufmann im Adressbuch eingetragen war, verdiente nach eigenen Angaben dort nur 3 RM wöchentlich.
Jenny Askanas gab ihren Sohn Hans Lappe mit der Anschrift Wilmersdorf, Wilhelmsaue 3, an. Ein Mann dieses Namens ist weder unter dieser Adresse noch in den Deportationslisten nicht zu finden, also ist er offenbar mit dem Leben davongekommen. Hermann Askanas nannte eine Schwester: Margarete Damm, geb. Askanas, geboren am 7. Juni 1895 in Berlin, die in der Meraner Straße 5 in Schöneberg wohnte und am 5. September 1942 nach Riga deportiert wurde, wo sie erschossen worden ist.
Am 3.9.1942 musste das Ehepaar Askanas wie alle zur Deportation vorgesehenen Juden eine Vermögenserklärung ausfüllen, und die Nazi-Behörden zogen Bilanz: Es sei „keinerlei Vermögen vorhanden“. Wenige bescheidene Möbel wurden von der Händlerin Marie Bredow, Müllerstraße 16, auf 24,50 Reichsmark geschätzt und am 19.3.1943 an den Vollziehungsbeamten Roder übergeben. Die Wohnung war schon am 1.10.1942 beschlagnahmt worden.
Am 14. September 1942 wurden Hermann und Jenny Askanas, beide 74 Jahre alt, vom Bahnhof Grunewald ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie starb am 4. Dezember 1942 im Ghetto ausweislich des Totenscheins http://109.123.214.108/de/document/DOCUMENT.ITI.11573 an einer Lungenembolie, er kam ein Jahr danach am 14. Dezember 1943 ums Leben.
Die Behörde des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg hatte sofort nach der Deportation von Hermann und Jenny Askanas deren 64 Jahre alter Untermieterin gekündigt, vermutlich weil die Wohnung für Interesssenten gebraucht wurde. Aber der Sohn Winfried Thomsen protestierte und benutzte dafür einen Dienstbriefbogen mit dem Kopf „Der Bevollmächtigte Vertreter des Reichsbeauftragten der NSDAP für Altmaterialerfassung“ und Hakenkreuz-Aufdruck. Sollte die Kündigung aufrecht erhalten werden, drohte er am 9.11.1942, „so würde ich mich unverzüglich Beschwerde führend an die Kanzlei des Führers wenden“. Drei Tage später antwortete ein Beamter des Oberfinanzpräsidiums handschriftlich, er sei „ausdrücklich“ verpflichtet, „allen Untermietern in den Wohnungen der abgeschobenen Juden“ zu kündigen. Auch Fridaluise Thomsen selbst widersprach ihrem bevorstehenden Rauswurf: „… „werden Sie verstehen, dass ich nicht zufrieden bin“, warb sie um
Verständnis, verwies auf die Wohnungsnot und unterschrieb: „Heil Hitler!“ Am 3.8.1943 kaufte sie dann einige Gegenstände ihrer einstigen Vermieter: Küchenschrank und -tisch für 12 Reichsmark. Also war es ihr gelungen, in der Wohnung zu bleiben – mindestens bis zum 29.4.44, mit diesem Datum ist ein letzter Vermerk über ihre Miete in den noch vorhandenen Akten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam erhalten.
Hausbesitzerin war Agnes Fürstenau, Podbielskiallee 81. Hausverwalter war der Oberregierungsrat Erich Struck, von dem ein „Antrag auf Zahlung zum Teil längst überfälliger Mieten“ existiert: Vom Oberfinanzpräsidium erwarte er eine Nachzahlung für Oktober 1942 bis Januar 1943 von 54 Reichsmark für die ihm entgangene Miete, während „Frau Thomsen (arisch) monatlich Rmk 60,— bezahlt“.
Recherchen und Texte: Helmut Lölhöffel
PS 2021: Ein Zeitgenosse, der durch die Recherche nach seiner Familiengeschichte auf den Stolperstein für Jenny Askenas aufmerksam wurde, ist sich sicher, in dem in dieser Biographie genannten Winfried Thomsen seinen Vater erkannt zu haben. Er tut sich schwer mit der Vorstellung, dass seine Großmutter – Untermieterin bei Jenny und Hermann Askenas – von deren Deportation profitiert haben könnte, ohne sich je über deren weiteres Schicksal Gedanken gemacht zu haben. Ein “familiäres Erbe”, mit dem sich viele Nachkommen der sog. “2. Generation” auseinandersetzen (müssen).
Ergänzung im Januar 2022
Der Sohn des Ehepaares Jenny und Chaim Askanas, Hans Lappe, hat den Holocaust überlebt. Das Landgericht Berlin hatte am 7. April 1941 entschieden, „dass der Beklagte nicht das eheliche Kind des Kaufmanns Chaim Wolfgang Askanas ist.“ Die Mutter des Prüflings habe „in der gesetzlichen Empfängniszeit, in der die Eheleute getrennt gelebt hätten, keinen Geschlechtsverkehr gehabt…“. Das „Reichssippenamt“ verweist am 12. August 1941 auf eine „erb- und rassenkundliche Untersuchung bei der Poliklinik für Erb- und Rassenpflege“ in Berlin-Charlottenburg. Dabei hätten der Sohn, die Mutter und der „gesetzliche Vater“ zur Verfügung gestanden. Ergebnis: „Eher wäre anzunehmen, dass ein anderer, bisher nicht untersuchter und zwar deutschblütiger Mann der Erzeuger des Prüflings war.“
Der 44-jährige Hans Askanas führt ab jetzt – als uneheliches Kind – den Namen seiner Mutter, geb. Lappe. Er ist nur noch „jüdischer Mischling“ – eine vermutlich lebensrettende Einstufung.
Die Eltern von Hans Lappe wohnten zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung in Schöneberg. Dort wird Hans Askanas, später Lappe, am 21. Juni 1897, geboren. Im Jahr 1912 beginnt er eine kaufmännische Lehre und arbeitet danach in verschiedenen Betrieben. Ab 1927 ist er Vertreter und technischer Volontär bei der Großdruckerei H.C.H. Fasbaender GmbH in der Rigaer Straße. Im April 1933 wird ihm, wie vielen jüdischen Angestellten, fristlos gekündigt. Einen Monat später kauft Lappe mehrere Druckereimaschinen, Schriften, Setzregale und anderes Zubehör und stattet damit den Kleinbetrieb des Buchdruckers Gustav Masannek in der Schützenstraße 12 aus. Der Betrieb kann in wenigen Monaten stark expandieren. Lappe ist stiller Teilhaber. „Ich konnte Kundschaft besuchen und hatte unter meiner Eigenschaft als Jude kaum zu leiden“, schrieb er später. Er hat inzwischen geheiratet und lebt in einer 4 ½-Zimmerwohnung in der Nassauischen Str. 31. Zeugen bezeichnen ihn später als wohlhabend.
Er habe Perserteppiche, einen Kraftwagen und ein Motorboot besessen. Doch bereits Anfang 1934 ändert sich fast alles. Die jüdischen Kunden aus der Konfektionsbranche brechen weg, Lappe darf keine Hausbesuche mehr machen, wird ausspioniert und zusammengeschlagen. Im Mai 1939 wird seine Teilhaberschaft endgültig aufgelöst, er verliert alle Ansprüche an die Firma und ist für einen geringen Lohn als Arbeiter in der Druckerei beschäftigt.
September 1941. Hans Lappe ist nun offiziell „Mischling 1. Grades“. Das Arbeitsamt vermittelt ihn als kaufmännischen Hilfsarbeiter an die Rüstungsindustrie. Lappe steigt schnell zum inoffiziellen Abteilungsleiter der Fluggeräte-Baufirma Filter & Mann in Berlin SO 36 auf. Arbeitet 12-14 Stunden pro Tag. Am 14. September 1942 werden seine Eltern, Jenny und Chaim Askanas, nach Theresienstadt deportiert. Im Januar 1945 wird Lappe von der „Organisation Todt“, zusammen mit Kriegsgefangenen, zwangsverpflichtet. Die Arbeit hält er nur kurze Zeit durch. Bei einer Körpergröße von 1,77 m wiegt er nur noch 93 Pfund. Bis Kriegsende bleibt er krank und ohne Einkommen zu Hause.
Bereits im April 1945 pachtet er eine Druckerei. Und ab 1948 ist er Inhaber der Firma Hans Lappe OHG, Buchdruckerei, Berliner Straße 42/43, zuletzt, nach eigener Angabe, mit einer Belegschaft von „21 Mann“. Hans Lappe wurde 63 Jahre alt.
Recherche und Text: Gudrun Küsel
Quellen: Berliner Adressbücher, Akten des Entschädigungsamtes Berlin