Kiezspaziergang am 08.10.2005

vom S-Bhf Messe Süd über das Mommsen-Stadion zum S-Bhf Heerstraße

mit Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen am Samstag, dem 8.10.2005, von 14.00 bis 16.00 Uhr, Treffpunkt: S-Bhf Messe Süd

Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen beim Start am Bahnhof Messe Süd am 8.10.2005, Foto: KHMM

Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen beim Start am Bahnhof Messe Süd am 8.10.2005, Foto: KHMM

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich willkommen zu unserem Kiezspaziergang. Im goldenen Oktober geht es diesmal um zwei Jubiläen. Das 300jährige Jubiläum Charlottenburgs begleitet uns ja bereits das ganze Jahr. Heute kommt das 75jährige des Mommsenstadions dazu. Wir werden gleich im Mommsenstadion von einem seiner besten Kenner, dem Zeitzeugen und Ehrenpräsidenten des Sport-Clubs-Charlottenburg, Heinz Kluth einiges aus dieser 75jährigen Geschichte hören.

Zuerst aber wie immer der Hinweis auf unseren nächsten Spaziergang. Im November werde ich leider verhindert sein. Deshalb wird mich mein Kollege, Wirtschaftsstadtrat Bernhard Skrodzki, vertreten. Wie immer im November soll es auch in diesem Jahr vor allem um die Geschichte der jüdischen Bürgerinnen und Bürger in unserem Bezirk und um die Geschichte des Nationalsozialismus gehen. Dafür gibt es eine Reihe von Anlässen und historischen Orten zwischen dem Stuttgarter Platz und dem Theodor-Heuss-Platz.

Deshalb wird der Treffpunkt am Sonnabend, dem 12. November, um 14.00 Uhr der Stuttgarter Platz vor dem alten S-Bahnhof-Eingang an der Kaiser-Friedrich-Straße sein, also S-Bahnhof Charlottenburg, Ausgang Kaiser-Friedrich-Straße auf dem Stuttgarter Platz. Und es wird über den Amtsgerichtsplatz, vorbei am ICC und am Haus des Rundfunks bis zum Theodor-Heuss-Platz gehen.

Einen Veranstaltungstipp möchte ich Ihnen noch geben, bevor wir mit unserem heutigen Thema beginnen: Am morgigen Sonntag, um 16.00 Uhr gibt es ein besonderes Benefizkonzert zum 300jährigen Jubiläum Charlottenburgs im Konzertsaal der Universität der Künste an der Hardenbergstraße 33. Der bekannte Schauspieler und Rezitator Hans-Jürgen Schatz hat ein Benefizkonzert für die Musikschule Charlottenburg-Wilmersdorf gespendet. Gemeinsam mit dem Jugendorchester Charlottenburg unter der Leitung von Elke Mentges präsentiert er als Erzähler “Peter und der Wolf” von Serge Prokofiefff und “Paddington Bärs erstes Konzert” von Herbert Chappell. Das Konzert ist für Kinder ab 4 Jahren und auf jeden Fall für die ganze Familie geeignet. Eintrittskarten zum Preis von 7,50 EUR (ermäßigt 5.- EUR) gibt es noch an der Nachmittagskasse. Hans-Jürgen Schatz tritt ohne Honorar auf und lässt den Reinerlös des Benefizkonzertes der Musikschule zur Unterstützung ihrer Ensemblearbeit zukommen.

Heute geht es um einen ganz besonderen Charlottenburger Kiez. Hier am Bahnhof Messe-Süd treffen auf engstem Raum das Messegelände, die Deutschlandhalle, die Avus, und die Siedlungen Eichkamp und Heerstraße aufeinander. Hier sind die großstädtische Betriebsamkeit der Messe und die Idylle von kleinen Siedlungsgebieten direkt benachbart. Ein wenig ist es wie die Nachbarschaft von Vergangenheit und Zukunft. Und dieser Bahnhof ist dafür ein schönes Symbol

Bahnhof Messe-Süd (Eichkamp)

Der Bahnhof Eichkamp wurde 1927-30 von Richard Brademann gebaut. Das Empfangsgebäude ist ein mit roten Klinkern verblendeter Mauerwerkbau im Stil der neuen Sachlichkeit mit expressionistischen Elementen. 1935 wurde die Anlage im Zusammenhang mit dem Bau der in unmittelbarer Nachbarschaft errichteten Deutschlandhalle von Fritz Hane und Hugo Röttcher erweitert. Und bis 1946 trug der Bahnhof jetzt auch den Namen “Deutschlandhalle”.

Der Bahnhof ist Teil der ehemaligen Vorortbahn nach Spandau. Diese gesamte Bahn steht einschließlich Brücken und Bahnhöfen unter Denkmalschutz

Von 1980 bis 1998 war der S-Bahn-Verkehr auf dieser Strecke eingestellt. Seit sieben Jahren verkehren hier die Züge der Linie S5 Spandau/Strausberg Nord und S75 Spandau/Wartenberg. Im Juni 2002 wurde der Bahnhof umbenannt in “Messe-Süd”, was bei vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht auf Begeisterung stieß.

AVUS

Unmittelbar hinter dem Messedamm verläuft die AVUS. Die Abkürzung bedeutet Automobil-Verkehrs- und Übungs-Straße. Sie wurde von 1913 bis 1921 gebaut, und zwar als Privatstraße. Ursprünglich war die Strecke 10km lang und endete in zwei Schleifen. Die Tribüne wurde 1936 errichtet. Heute ist die AVUS Teil der Bundesautobahn. 1999 fand das letzte Rennen auf der AVUS statt.

Siedlung Eichkamp

Die Siedlung Eichkamp wurde nach dem Ersten Weltkrieg von 1918 bis 1929 von Max und Bruno Taut, Martin Wagner, Franz Hoffmann und anderen unmittelbar neben der AVUS angelegt und war als preisgünstiger Wohnraum für Angestellte und Beamte konzipiert. Benannt wurde sie nach der Revierförsterei Eichkamp im Forst Grunewald. Max Tauts Bebauungsplan hatte ursprünglich ein wesentlich größeres Areal zwischen Teufelssee Chaussee und Avus vorgesehen, im Westen vom Grunewald und im Osten durch einen Exerzierplatz begrenzt, das heutige Messegelände. Ludwig Marcuse sprach von “…einem lichten Berliner Dörfchen mit kindlich-schlichten Straßen und Häuschen…” Bei der Bildung von Groß-Berlin 1920 kam die Siedlung zum Bezirk Wilmersdorf. 1938 wurde sie bei einer Gebietsreform mit relativ geringfügigen Korrekturen dem Bezirk Charlottenburg zugeschlagen. Prominente Bewohner waren unter anderem Arnold Zweig, Ludwig Marcuse, Elisabeth Langgässer, Horst Krüger, Max Taut und die Erfinderin der Curry-Wurst, Herta Heuwer.

Heute lassen wir die Siedlung Eichkamp links liegen. Ich denke, wir werden sie einmal bei einem Kiezspaziergang besichtigen.

Auf dem Weg zum Mommsen-Stadion, Foto: KHMM

Auf dem Weg zum Mommsen-Stadion, Foto: KHMM

Jetzt gehen wir den Waldweg entlang der Bahntrasse Richtung Mommsenstadion, machen aber noch einmal einen Stopp, wenn wir einen guten Durchblick durch die Bäume zum Messegelände und zur Deutschlandhalle haben.

Messegelände
Vor allem die Automobilindustrie verlangte ein großes Messegelände und schlug vor, dieses unmittelbar im Anschluss an die seit 1913 gebaute AVUS anzulegen. Der “Verein Deutscher Motorfahrzeug-Industrieller” sicherte sich am heutigen Standort des Zentralen Omnibusbahnhofs nahe Kaiserdamm ein Gelände, auf dem er 1914 eine riesige Ausstellungshalle von 240 Meter Länge und 74 Meter Breite bauen ließ. In den Kriegsjahren wurde sie allerdings zunächst nicht genutzt.

Aber bald nach dem Ersten Weltkrieg, 1921, präsentierte die Automobilindustrie ihre erste Ausstellung in “Halle l”. Die Existenz dieser Halle und des freien Geländes in ihrer Nachbarschaft gab schließlich den Ausschlag dafür, dass die Wahl für den Ausbau des Berliner Ausstellungsgeländes auf Charlottenburg fiel. Auf Anregung der Berliner Wirtschaft veranlasste Oberbürgermeister Böß 1923 die Gründung der gemeinnützigen Berliner Messe- und Ausstellungsgesellschaft” mit dem Zusatz “Berliner Messe-Amt”, wie es bereits 1924 hieß.

Noch im gleichen Jahr entstanden zwei neue Ausstellungshallen, die “Automobilhalle II” auf dem genannten Gelände und südlich davon am Messedamm die “Halle der deutschen Funkindustrie”, in der gleich nach ihrer Fertigstellung im Dezember 1924 die erste “Große Deutsche Funk-Ausstellung” durchgeführt wurde. Die Halle baute man ganz aus Holz, um Störungen des Sende- und Empfangsbetriebs zu vermeiden.

Daneben entstand nach den Plänen des Architekten Heinrich Straumer das 138 Meter hohe Stahlskelett des Funkturms, der am 3.9.1926 zur dritten Großen Deutschen Funkausstellung eröffnet wurde. Die 400 Tonnen schwere Stahlrahmenkonstruktion enthält in 55 m Höhe ein zweigeschossiges Restaurant und in 125 m Höhe eine Aussichtsplattform. Der “Lange Lulatsch” ist ein Wahrzeichen des Messegeländes und ganz Berlins. Als Sendemast wird er heute nur noch für den Polizeifunk genutzt.

1926 fand in den Hallen am Kaiserdamm erstmals die Grüne Woche statt, 1929 und 1930 wurden zwei weitere Hallen von Martin Wagner und Hans Poelzig gebaut. 1935 vernichtete ein Brand die hölzerne Funkhalle. Im gleichen Jahr eröffnete man weiter südlich die Deutschlandhalle, die als Sporthalle und Veranstaltungsstätte das Messegelände ergänzen sollte. Von den Nationalsozialisten wurde sie für Massenveranstaltungen genutzt.

Richard Ermisch baute an der heutigen Masurenallee die monumentale 32 Meter hohe Ehrenhalle, die 1937 fertig wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Messehallen stark beschädigt. Die beiden Automobilhallen nördlich der Neuen Kantstraße und Masurenallee wurden später abgetragen und machten Platz für die Stadtautobahn und den Zentralen Busbahnhof.

Schon 1945 begann der Wiederaufbau der Hallen südlich der Masurenallee, und 1948 fand erstmals wieder eine Grüne Woche statt. Zur Ersten Deutschen Industrieausstellung im Oktober 1950 wurden bereits neue Hallen fertig gestellt. Aber erst 1957 hatte man wieder die gleiche Ausstellungsfläche wie in der Vorkriegszeit erreicht. In diesem Jahr konnte auch die wieder aufgebaute Deutschlandhalle eröffnet werden.

Die in Charlottenburg ansässige Messe Berlin GmbH, wie sie heute heißt, gilt als Berlins größter Initiator von Geschäftsreisen. Sie stellt einen Konzern dar, der zu den zwölf umsatzstärksten Messegesellschaften der Welt zählt. Die Messe Berlin organisiert und veranstaltet regionale, nationale und internationale Messen, Ausstellungen, Kongresse und sonstige Ereignisse. Zusammen mit den jährlich rund 600 Tagungsveranstaltungen im ICC bringen diese Ausstellungen über zwei Millionen Menschen im Jahr nach Berlin.

Inzwischen ist das Charlottenburger Ausstellungsgelände auf 26 Messehallen, darunter mehrere Doppelhallen mit insgesamt 160.000 Quadratmeter Hallenfläche angewachsen, zu denen ein Freigelände von 100.000 Quadratmetern gehört. 2003 wurde das Areal durch den Haupteingang Süd ergänzt. Die Veranstaltungen der Messe sind ein wichtiger Bestandteil der Funktion Berlins als Kommunikations- und Handelszentrum.

Deutschlandhalle
Die Deutschlandhalle wurde 1935 von Franz Orthmann und Fritz Wiemer zu den Olympischen Spielen von 1936 für 10.000 Zuschauer als “größte Mehrzweckhalle der Welt” in einer Stahlkonstruktion errichtet. Sie diente der nationalsozialistischen Partei für Massenveranstaltungen und zur Durchführung diverser olympischer Disziplinen. Im Dezember 1935 gab es das erste Radrennen auf der 206 m langen Holzpiste. Es gab Boxturniere, aber auch Vorführungen mit einem Sportflugzeug. 1943 schlugen während einer Vorstellung von “Menschen Tiere Sensationen” Bomben ein.

Nach der Kriegszerstörung wurde die Deutschlandhalle als Spannbetonbau wieder aufgebaut und 1957 neu eröffnet. Musik-, Show- und Sportveranstaltungen fanden statt, darunter “Holiday on Ice” und Sechstagerennen. Am 1. Januar 1998 wurde die Deutschlandhalle wegen Baufälligkeit geschlossen und zum Abriss vorgesehen. Im April 2001 wurde sie als Ersatz für die abgerissene Eissporthalle umgebaut zu einer temporären Eissportarena bis zur Fertigstellung eines neuen Quartiers für den Eishockeyklub Capitals. Seit diesem Jahr wird wieder darüber diskutiert, die Deutschlandhalle abzureißen und auf dem Gelände ein neues Kongresszentrum für 63 Mio Euro zu bauen, das “Deutschlandhallen Convention Center”. Wir im Bezirk sind mit dieser Vorstellung nicht glücklich. Wir wollen die Deutschlandhalle gerne erhalten.

Im Mommsen-Stadion, Blick von der Tribüne, Foto: KHMM

Im Mommsen-Stadion, Blick von der Tribüne, Foto: KHMM

Mommsenstadion
Das Mommsenstadion feiert in diesem Jahr sein 75jähriges Bestehen, und ich freue mich sehr, dass der langjährige Präsident des Sport Clubs Charlottenburg SCC, Heinz Kluth, zu uns gekommen ist und uns einiges aus der Geschichte dieses Stadions erzählen wird. Er kann dies überwiegend aus eigenem Erleben, und ich danke Ihnen, Herr Kluth, dass Sie sich zur Verfügung stellen, obwohl Sie sich erst vor wenigen Tagen einer Herzoperation unterziehen mussten. Der Vizepräsident des SCC, Jörg Wischhusen, hat ihn zu Hause abgeholt und hierher gebracht. Herzlichen Dank auch dafür, Herr Wischhusen.

1910 hat der Sportclub Charlottenburg SCC seinen ersten Sportplatz am heutigen Standort des ICC eröffnet – mit sechs 400-m-Rundbahnen mit überhöhten Kurven – damals eine Sensation. 1920 gründete der SCC eine eigenständige Leichtathletikabteilung, die in den folgenden Jahrzehnten bei nationalen und internationalen Wettkämpfen für viele Erfolge sorgte. Seit 1926 war der SCC im damaligen Stadion an der AVUS zu Hause, das später für das Messegelände aufgegeben wurde. Am 17. August 1930 schließlich wurde das SCC-Stadion vom Charlottenburger Bezirksbürgermeister Karl Augustin an den SCC übergeben. Die Baumaßnahmen waren vom SCC und seinen Mitgliedern gemeinsam mit dem Bezirksamt finanziert und ausgeführt worden. Seitdem sind das Stadion, das Stadiongebäude, die drei Sportplätze für Hockey, Handball und Fußball und die wenig später in Eigenarbeit entstandene Tennisanlage Heimat des SCC.

In guter Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt wurden die Sportanlagen seit 1945 immer wieder saniert, modernisiert und ergänzt. Drei Plätze wurden mit Flutlichtanlagen versehen, zwei Kunstrasenplätze geschaffen, die Kunststofflaufbahn und die Fassade des Hauptgebäudes überholt und die Sanitäranlagen modernisiert. Der neue Hockeyplatz ist zusammen mit der von der Hockeyabteilung selbst errichteten Hockeybaude und der erweiterten Terrasse ein Vorzeigestück für die beiden Hockey-Bundesligamannschaften.

Das Stadion mit einem Fassungsvermögen von rund 14.000 Zuschauern, davon 1775 überdachte Sitzplätze, ist inzwischen nicht nur die Heimstätte des SCC, sondern auch des Berliner Tennis-Clubs Borussia e.V., auch bekannt unter dem Namen Tennis Borussia Berlin (TE BE). Beide Vereine haben im Jahre 2002 ihr 100-jähriges Vereinsbestehen gefeiert. Im Vergleich dazu ist das Mommsenstadion ja noch ein “recht junges” Stadion.

Waldschulallee
Die Waldschulallee erhielt ihren Namen 1925. Der Name hängt zusammen mit dem großen sozialen Engagement der früheren Stadt Charlottenburg und ihrer Bürgerinnen und Bürger. Bereits am 1. August 1904 errichtete der Charlottenburger Magistrat für gesundheitlich schwache Schüler aus den engen Mietshäusern der Stadt die erste deutsche Waldschule in der Nähe des damaligen Sachsenplatzes, des heutigen Brixplatzes in Westend. Als das Gelände dort für die Stadterschließung gebraucht wurde, verlegte man die Schule hierher in den Grunewald. Heute befinden sich am Ende der Waldschulallee zwei Waldschulen, eine Grundschule und ein Gymnasium. Wir werden diese Schulen bei einem späteren Kiezspaziergang besichtigen.

Links das Sportgelände des Tennisclubs des SCC, und dahinter sind sehr nahe die Radartürme vom Teufelsberg zu sehen. Auch sie erinnern uns daran, dass wir uns hier im Grunewald befinden.

Siedlung Heerstraße
1914 wurde der Gutsbezirk Heerstraße aus einem Teil des Gutsbezirkes Grunewald-Forst gebildet. Er kam 1920 zu Groß-Berlin, und Berlin errichtete hier von 1920 bis 1926 die Gartenstadtsiedlung zwischen Heerstraße und Waldschulallee nach einem Bebauungsplan von Bruno Möhring. Wie die Siedlungen Eichkamp und Ruhleben wurde auch die Siedlung Heerstraße mit ein- und zweigeschossigen Häusern nach Plänen von Max Taut und Frank Hoffmann bebaut. Die Siedlung samt den beiderseits der Heerstraße verlaufenden Alleen wird ihrer Straßennamen wegen auch “Ostpreußenviertel” genannt.

Kurzgeschichte der Siedlung Heerstraße (von Ronald Hartung, Vorsitzender des Siedlungsvereins)

Der erste Bebauungsentwurf zwischen den Vorortbahnhöfen Heerstraße, Eichkamp und Grunewald fertigte Max Taut 1919 für die “Märkische Heimstatten GmbH” an – dieser wurde nicht ausgeführt. Es gab zu viele Teilhaber und Ideen zu den Jagen 79 & 80 im Dauerwald / Grunewald: Wilmersdorf, Charlottenburg, Domäne Dahlem und Teltow.
Noch 1919 wurde mit Beteiligung der Stadt Charlottenburg die “Gemeinnützige Baugesellschaft Berlin-Heerstraße” gegründet um Wohnraum für städtische Beamte und Lehrer zu schaffen – durch Beschluss vom 14.7.1920.
Ein neuer Bebauungsplan (für den nördlichen Teil des Gartenstadtentwurfs von Max Taut) mit etwa 200 Siedlungshäusern vom Architekten Bruno Möhring, wurde schon 1920 vom Charlottenburger Tiefbauamt umgesetzt – mit Billigung durch den Wohnungsverband Berlin, sowie dem Preußischen Landwirtschaftsminister. Im Herbst desselben Jahres begann die Straßenanlegung in der zukünftigen Siedlung Heerstraße nach dem Möhringschen Bebauungsplan und bis 1926 wurden 252 Häuser (meist Doppelhaushälften) errichtet.
Der südöstliche Teil der Marienburger Allee (ab Nr. 42) wurde zwischen 1935 und 37 privat errichtet.
Die ältesten Häuser in der heutigen Siedlung – in der Boyenallee 1a bis 4 – baute die “Königliche Preußische Eisenbahnverwaltung” schon 1909.
Keine Gartenstadt ohne Siedlungsverein.
Der Verein Siedlung Heerstraße feiert im Dezember 2006 seinen 85. Geburtstag – einer der ältesten Siedlungsvereine Deutschlands. Seinerzeit war die wichtigste Vereinsaufgabe: Nachbarschaftshilfe bei der Siedlungserrichtung! Heute gilt sie der Nachbarschaftshilfe zu Schutz, Erhalt und Pflege unserer Siedlung, die seit 1995 (als Gesamtanlage) unter Denkmalschutz steht!

Harbigstraße
Die Straße erhielt 1958 ihren Namen. Davor war es die Straße Nr.58. Rudolf Harbig wurde 1913 in Dresden geboren. Er starb schon 1944 im Zweiten Weltkrieg. Als Leichathlet wurde er der zu seiner Zeit beste Mittelstreckenläufer. !939 hielt er die Weltrekordzeit über 400 Meter mit 46,0 Sekunden und über 800 Meter mit 1 Minute 46,6 Sekunden: Dieser Weltrekord von Rudolf Harbig über 800 Meter blieb 16 Jahre lang, bis 1955, bestehen. 1941 lief er über 1.000 Meter die Weltrekordzeit von 2 Minuten, 21,5 Sekunden. 1950 wurde der Rudolf-Harbig-Preis gestiftet, der seither jährlich bei den Deutschen Leichtatlethikmeisterschaften dem würdigsten Sportler als Wanderpreis verliehen wird. Im letzten Jahr ging er an Frank Busemann, der bei den Olympischen Spielen 1996 im Zehnkampf die Silbermedaille gewann.

Harbigstraße 14
Internationales Studentenwohnheim Eichkamp.
Die Studentensiedlung wurde vom Studentenwerk Charlottenburg in den Jahren 1950, 1958/59 und 1967 gebaut. Die Architekten waren Hans Christian Müller, Georg Heinrichs und Ludwig Leo. Fünf viergeschossige Wohnbauten wurden gruppiert um einen Zentralbau mit einer Mensa inmitten einer weitläufigen Parkanlage. Es gibt ein Clubhaus und ein Ateliergebäude. Die Fassaden sind teilweise mit gelbem Backstein verblendet, teilweise dunkelrot verputzt. Bemerkenswert ist die Trennung von Schlaf- und Arbeitsbereich: Es gibt Doppelzimmer mit Schlafgalerie und Einzelzimmer mit Arbeitspodest. Diese Anordnung ist auch von außen ablesbar.

Marienburger Allee 43
1988 wurde hier die Berliner Gedenktafel für die Brüder Klaus und Dietrich Bonhoeffer enthüllt:

BONHOEFFERHAUS
Elternhaus der Brüder Klaus und
Dietrich Bonhoeffer.
Mit ihnen starben im Widerstand gegen
den Nationalsozialismus
die Männer ihrer Schwestern
Rüdiger Schleicher und Hans von Dohnanyi
im April 1945

In unserem Bezirk gibt es weitere Gedenktafeln, die an Dietrich Bonhoeffer und seine Familie erinnern. In der Kolonie Grunewald an dem Haus Wangenheimstraße 14, wo die Familie Bonhoeffer von 1916 bis 1935 lebte und am Walther-Rathenau-Gymnasium, dem ehemaligen Grunewaldgymnasium an der Herbertstraße 2-6, wo Dietrich Bonhoeffer die Schule besucht und sein Abitur gemacht hat.

Zu diesem Bonhoeffer-Haus wird uns jetzt der Leiter der Erinnerungs- und Begegnungsstätte, Pfarrer (? oder der Mitarbeiter Knut Hämmerling) etwas erzählen. Herzlichen Dank dafür.

Dieses Haus wurde 1935 von Jörg Schleicher für die Eltern Dietrich und Klaus Bonhoeffers als Alterssitz erbaut. Hier fanden konspirative Gespräche des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten unter maßgeblicher Beteiligung von Familienmitgliedern statt.

Nach einer Zwischennutzung durch die Evangelische Studentengemeinde wurde das Haus umgebaut. Seit 1987 ist es eine “Erinnerungs- und Begegnungsstätte” in Trägerschaft der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Es steht nach telefonischer Rücksprache für Besuche und Klausurtagungen offen und bietet eine ständige Ausstellung über Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers, eine Präsenzbibliothek und eine Videothek an.

Dietrich Bonhoeffer wurde am 4.2.1906 als Sohn des berühmten Psychologen und Nervenarztes Karl Bonhoeffer geboren. Er wurde ein bedeutender evangelischer Theologe und Leiter des Predigerseminars der Bekennenden Kirche.

Als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus war er aktiv im Widerstand tätig. 1943 wurde er aus diesem Haus heraus von der Gestapo verhaftet und am 9.4.1945 im KZ Flossenbürg erhängt.

Dichtrich Bonhoeffers älterer Bruder Klaus wurde am 5.1.1901 geboren. Als Jurist wurde er Syndikus der Lufthansa und war ebenfalls als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus aktiv. Er war in die Attentatspläne der Verschwörer um General Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler eingeweiht. Im Oktober 1944 wurde er verhaftet und in der Nacht vom 23. zum 24.Apirl 1945 auf einem Ruinengelände vor dem Gestapo-Gefängnis in Berlin-Tiergarten erschossen.

Marienburger Allee
Die Straße wurde 1925 nach der westpreußischen Kreisstadt Marienburg benannt, heute liegt die Stadt in Polen und hat den polnischen Namen Malbork.

Vor der Heinz-Galinski-Schule, Foto: KHMM

Vor der Heinz-Galinski-Schule, Foto: KHMM

Waldschulallee 73
Heinz-Galinski-Schule
Vor 10 Jahren, am 15. September 1995 wurde hier der erste Neubau einer jüdischen Schule in Deutschland nach dem Holocaust eingeweiht. Der israelische Architekt Zvi Hecker gruppierte sechs miteinander verbundene Gebäude kranzförmig um einen Innenhof. Der Grundriss der gesamten Anlage entspricht den Umrissen einer Sonnenblume. Die Architektur wirkt stark dynamisch.

Rund 250 jüdische und nichtjüdische Schülerinnen und Schüler besuchen diese jüdische Grundschule. Sie wurde benannt nach dem langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Ehrenbürger der Stadt, Heinz Galinski.

Heinz Galinski wurde am 28. November 1912 im westpreußischen Marienburg geboren. Es ist schon ein erstaunlicher Zufall, dass sich jetzt unmittelbar gegenüber der Marienburger Allee die Heinz-Galinski-Schule befindet. Kein Zufall ist es, dass diese jüdische Schule nach ihm benannt wurde. Der Textilverkäufer Heinz Galinski zog Ende der 30er Jahre von Rathenow nach Berlin, weil er glaubte, in der anonymen Großstadt weniger antisemitischen Angriffen ausgesetzt zu sein. Seine gesamte Familie wurde 1943 verhaftet, seine Mutter und seine Frau in Auschwitz ermordet, sein Vater starb auf der Polizeistation. Heinz Galinski selbst überlebte als Zwangsarbeiter in Auschwitz, wurde von sowjetischen Truppen verschleppt und schließlich von britischen Soldaten im KZ Bergen-Belsen befreit.

Seit 1945 setzte sich Galinski für den Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde in Berlin ein, auch gegen großen Widerstand vieler Überlebender des NS-Regimes, die der Meinung waren, dass es in Deutschland niemals wieder jüdisches Leben geben könne, und die für die Übersiedlung aller überlebenden deutschen Juden nach Israel plädierten.

Heinz Galinski wurde 1949 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin und blieb in dieser Funktion 43 Jahre lang bis 1992. Er war eine unbestrittene moralische Autorität und er nahm auch immer wieder entschieden politisch Stellung. 1987 wurde ihm die Berliner Ehrenbürgerschaft verliehen. Von 1988 bis 1992 war er auch Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Am 19. Juli 1992 starb er in Berlin. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße beerdigt.

Siedlung Heerstraße, Foto: KHMM

Siedlung Heerstraße, Foto: KHMM

Neidenburger Allee
Die Straße wurde 1921 nach der ostpreußischen Stadt Neidenburg benannt, heute polnisch Nidzica.

Willenberger Pfad
Der Weg wurde 1935 nach der ostpreußischen Stadt Willenberg benannt, heute polnisch Wielbark.

Kurländer Allee
Die Straße wurde 1925 nach lettischen Landschaft Kurland benannt.

Boyenallee
Die Straße wurde 1925 nach dem preußischen General und Kriegsminister Leopold von Boyen benannt, der 1771 im ostpreußischen Kreuzburg geboren wurde und 1848 in Berlin starb. Nach dem von ihm ausgearbeiteten Gesetz wurde 1814 in Preußen die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. 1827 wurde er Ehrenbürger von Charlottenburg, 1842 wurde er 19. Ehrenbürger Berlins.

Auf dem Weg zum S-Bahnhof Heerstraße, Foto: KHMM

Auf dem Weg zum S-Bahnhof Heerstraße, Foto: KHMM

S-Bahnhof Heerstraße
Der Bahnhof Heerstraße gehört wie der Bahnhof Messe Süd zur ehemaligen Vorortbahn nach Spandau.

Ich gehe gleich von hier aus zu einer Ausstellungseröffnung, und wer dazu noch Lust hat, der kann gerne mitkommen: Um 17.00 Uhr wird in der Galerie Wigand in der Thrasoltstr.10 die Ausstellung “Charlottenburg Impressionen”, gezeichnet und gemalt von Barbara Ketterer eröffnet. Philippe Mascot spielt auf dem Akkordeon Musette dazu. Heute und morgen ist jeweils von 15 bis 20 Uhr geöffnet. Die Ausstellung wird bis zum 25.11.2005 gezeigt: Di, Do 16-18 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung unter Tel 3428379 oder 0177/7818748. Die Thrasoltstraße zwischen Richard-Wagner-Straße und Gierkezeile kreuzt die Wilmersdorfer Straße. Sie befindet sich ziemlich genau in der Mitte zwischen den U-Bahn-Stationen Bismarckstraße und Richard-Wagner-Platz.

Die Galeristin Regina Wigand hatte die Idee: Zum Jubiläum “300 Jahre Charlottenburg” könnte die gelernte Architektin und Künstlerin Barbara Ketterer Charlottenburg erkunden und zeichnen. Sie ist dafür prädestiniert, denn sie lebt in Charlottenburg, und sie hat Erfahrung mit Stadterkundungen. Bei ausgiebigen Erkundungsspaziergängen hat Barbara Ketterer in den letzten Monaten viele bekannte und unbekannte Ecken in Charlottenburg aufgestöbert und skizziert, also eine ziemlich spannende Ausstellung für Kiezspaziergänger.