Rede der Bezirksstadträtin für Soziales, Gesundheit, Umwelt und Verkehr, Martina Schmiedhofer Enthüllung des Denkmals für im Verkehr verunglückte Kinder am 11.9.2006

Rede der Bezirksstadträtin für Soziales, Gesundheit, Umwelt und Verkehr, Martina Schmiedhofer

zur Enthüllung des Denkmals für im Verkehr verunglückte Kinder

am 11.9.2006, um 11.00 Uhr an der Bismarckstraße/Ecke Kaiser-Friedrich-Straße

Sehr geehrter Herr Temmes,
Sehr geehrte Frau Senatorin,
sehr geehrte Bezirksbürgermeisterin Thiemen,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des Kiezbündnisses Klausenerplatz,
liebe Kinder!

Ich bin sehr froh darüber, dass Sie alle heute hierher gekommen sind! Hier, an der Kreuzung Bismarckstrasse/Ecke Kaiser-Friedrichstrasse ist vor 2 ½ Jahren ein lebensfroher Junge von damals 9 Jahren auf dem Weg zur Schule – in Begleitung seiner Mutter – mit seinem Fahrrad bei Grün in den „toten Winkel“ eines abbiegenden Lkw geraten. Er starb noch an der Unfallstelle. Der zu frühe Tod eines Menschen ist immer furchtbar – der eines Kindes ist grausam, wider die Regeln der Natur, er lässt die Angehörigen, die Freunde, die Mitschülerinnen und –schüler, die Nachbarn fassungslos und verstört zurück.

Der Tod von Dersu, – seine Eltern gehören zur Künstlerszene des Klausenerplatzkiez – war ein Schock für den ganzen Kiez. Die Menschen trauerten mit den Eltern, gaben diesen Trost und fühlten mit ihnen den unerträglichen Verlust. Der ganze Kiez nahm in einer bewegenden Trauerfeier mit vielen Kindern Abschied von Dersu und trug ihn, wie der Vater später in der Kiezzeitung schrieb, „wie einen kleinen König zu Grabe“. Ein beeindruckendes Zeugnis von Solidarität und Verbundenheit in der Großstadt.

Es blieb aber nicht bei der Trauer. Es wurden Fragen gestellt, nach Verantwortung, nach politischem Versagen, in der eine Gesellschaft noch immer den Vorrang der ungebremsten Mobilität motorisierter Fahrzeuge vor ungeschützten Fußgängern und Radfahrern akzeptiert, nach Lkw’s, die mit – just-in-time-Lieferungen unter großen Zeitdruck durch die Städte brausen.
Warum werden fast 40.000 im Straßenverkehr verletzte Kinder hingenommen wie eine unvermeidbare Naturkatastrophe?
Warum war dieser Lkw nicht mit einem Zusatzspiegel ausgerüstet, der den toten Winkel minimiert? Warum dürfen große Lkw’s selbst durch Wohngebiete fahren?
Warum müssen Kinder lernen, sich an die Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit von Autos anzupassen? Warum wird unsere Verkehrspolitik nicht so ausgerichtet, dass sie den den schwächsten Verkehrsteilnehmern den Vorrang gibt?
Warum haben wir nicht den Mut, für die Verkehrspolitik das Ziel 0 Tote auszugeben?

Der Kiez und die Bezirksverordnetenversammlung nahmen den Unfalltod zum Anlass, bessere Sicherheitsstandards zu fordern, insbesondere die verbindliche Ausrüstung von Lkw’s mit Zusatzspiegeln zur Verringerung des toten Winkels. Herr Keune ließ den Worten sofort Taten folgen und sammelte private Gelder für die freiwillige Nachrüstung, die er an Speditionen weiterreichte. (Für diese beeindruckende Initiative erhielt er die Bürgermedaille des Bezirkes). Es gab die Versprechen der Bundesregierung im Rahmen der EU-Richtlinie alle Lkw’s zur Nachrüstung zu verpflichten. Leider wurde dies – trotz politischem Druck auf Bundesebene – bisher nur für die neu zugelassenen getan. Das ist nicht verständlich.

Unsere – eingeschränkten bezirklichen Möglichkeiten nutzen wir – die Unfallkreuzung selbst wurde technisch so überarbeitet, dass eine bessere Sicht und dadurch mehr Sicherheit besteht. In der Jugendverkehrsschule werden Kinder im Rahmen des Projektes „Verkehrssicherheit im Bezirk“ auch mit dem Umgang des „toten Winkel“ – geschult – eine verdrehte, aber leider unumgänglich Herangehensweise. Auf Bundesebene muss der Druck fortgesetzt werden, es können auch Anreize für Versicherungen geboten werden … ..

Das Denkmal, das aus der Mitte des Klausenerplatzkiezes gewachsen ist – wird von nun an zur unübersehbaren Mahnung, zur stetigen Verpflichtung sich nicht schulterzuckend abzufinden mit der Ist-Situation; es soll tägliches Nachdenken auslösen, bei allen die diese sehr befahrene Kreuzung passieren. Und es wird die Erinnerung aufrecht erhalten an den lustigen kleinen Dersu und die vielen anderen im Straßenverkehr verunglückten Kinder –

Ich danke allen, die an der Entstehung und Realisierung des Denk Mals mitgewirkt haben, besonders der Bildhauerin Rachel Kohn und dem Künstler Michael Stürenberg, den bekannten und unbekannten Spendern, den Aktiven aus dem Kiez Klausenerplatz. Ich gebe Ihnen mein Versprechen, den politischen Kampf für mehr Sicherheit im Straßenverkehr für junge und erwachsene Menschen verstärkt fortzusetzen.

Vgl. auch Denkmal für im Verkehr verunglückte Kinder Redebeitrag von Tim Roussey Übersicht über die Reden der Bezirksbürgermeisterin