„Auch der Weinverkauf ist ein sehr starker gewesen“

Vor 150 Jahren wurde im Ratskeller des Roten Rathauses das erste Bier gezapft. Eine Berliner Institution im Wandel der Zeit.

von Amelie Müller, Senatskanzlei Berlin

Die Räumlichkeiten des Ratskellers waren mit zahlreichen Bildern, Ornamenten und Trinksprüchen geschmückt

Historische Darstellung des Berliner Ratskellers

Der Bau des Roten Rathauses war noch nicht vollendet, als am 5. Oktober 1869 der Ratskeller feierlich eröffnet wurde. Es war ein gesellschaftliches Großereignis. Die Berliner Gerichts-Zeitung bilanzierte wenige Tage später: „Der neueröffnete Rathskeller ist noch immer von Neugierigen überfüllt. Schon morgens um 9 Uhr finden sich schaarenweise die Gäste ein, und Nachts um 12 Uhr, zu welcher Zeit der Keller stets geschlossen wird, ist noch kaum ein Stuhl leer. Am Eröffnungstage haben nach der ungefähren Zählung des Wirths gegen 80,000 Menschen den Keller passirt, 81 Tonnen Bier sind ausgeschenkt und 4100 Portionen Essen verkauft worden. Auch der Weinverkauf ist ein sehr starker gewesen.“

Der Ratskeller machte ein Viertel des Untergeschosses aus und erstreckte sich entlang der Vorderfront des Gebäudes an der damaligen Königsstraße. Er war in ein Weinlokal und ein Bierlokal unterteilt. Beide boten ein vielfältiges Angebot, im Bierlokal etwa konnte der Gast zwischen 70 verschiedenen Biersorten wählen. Verbunden waren die beiden Lokale über ein reich verziertes Rondell, den Glanzpunkt des ganzen Ratskellers, in dem je nach Wunsch Bier oder Wein genossen werden konnte.

Neben zahlreichen Wandbildern und Ornamenten waren alle Räume auch mit Sinn- und Trinksprüchen verziert, die der Humorist und Schriftsteller Rudolf Löwenstein zusammengestellt hatte. Sie fanden großen Beifall und gingen teilweise in den Volksmund über. Einige Beispiele: Gut gekaut ist halb verdaut. – Man steht doch nicht auf einem Bein, drum schenk das zweite Glas dir ein. – Alle wissen guten Rath, nur der nicht, der ihn nöthig hat.

Berliner Gerichtszeitung über die Eröffnung des Ratskellers am 5.10.1869

Die Berliner Gerichtszeitung über die Eröffnung des Ratskellers am 5.10.1869

Der König besuchte den Keller im Dezember 1869 und viele illustre Gäste sollten in den nächsten Jahrzehnten folgen. Der Chronik ist zu entnehmen, dass sich hier namhafte Berliner Persönlichkeiten am Stammtisch trafen, zum Beispiel der berühmte Arzt Rudolf Virchow und die Maler Adolph Menzel und Max Liebermann.

Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Dekoration des Ratskellers mehrmals verändert, ohne den urig-humoristischen Charakter zu verlieren. 1922 wurden beispielsweise Wappen von 84 deutschen Städte angebracht, die mit scherzhaften Sprüchen und Darstellungen der jeweiligen Stadt umschmückt waren. Unter den Nationalsozialisten wurde der Ratskeller 1934 vollständig renoviert, wobei die vielen Reime und Trinksprüche überstrichen wurden.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Rathaus durch Luftangriffe und Artilleriebeschuss schwer beschädigt und zur Ruine. Der Wiederaufbau als Sitz des Ost-Berliner Oberbürgermeisters dauerte bis 1955. Danach vergingen noch mehrere Jahre, bis 1964 auch das Ratskeller-Restaurant seine Pforten wieder öffnete – weiterhin unterteilt in Bier- und Weinrestaurant. Ein traditionelles Berliner Lokal, gutbürgerliche Küche, gehobene Ausstattung, allerdings mit sozialistischen Preisen. Dort kochte der Koch persönlich am Tisch, ob für Arbeiter oder Professor.

1991 wurde der Ratskeller als solcher geschlossen. 1999 wurde eine Hälfte des Kellers mit der Hotel Akademie Berlin als Kantine der Senatskanzlei wiedereröffnet. Seit 2004 wird sie von der gemeinnützigen Union Sozialer Einrichtungen geführt, die mit ihrem inklusiven Profil behinderten und benachteiligten Menschen einen Arbeitsplatz gibt. Montags bis freitags werden 450 bis 500 Personen mit Mittagessen versorgt, darunter viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Senatskanzlei. Auch Klassiker stehen gelegentlich auf dem Speiseplan: Senfeier, Königsberger Klopse, Kasslerbraten.