Sieger, Befreier, Besatzer

Deutsche Juden im Dienst der Alliierten

von Dr. Gundula Bavendamm, Direktorin des AlliiertenMuseums Berlin

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Eröffnungsgäste bei der Ausstellung Sieger, Befreier, Besatzer

„Ich habe geweint, als ich mein Gewehr bekam. Ich war nicht mehr wehrlos. Zum ersten Mal konnte ich mich verteidigen.“ So wie der berühmte Schriftsteller Stefan Heym (1913–2001) fühlten viele deutschjüdische Flüchtlinge, die auf der Seite der Anti-Hitler-Koalition gegen das nationalsozialistische Deutschland kämpften. Die Sonderausstellung „Sieger, Befreier und Besatzer:Deutsche Juden im Dienst der Alliierten“ im AlliiertenMuseum erinnert an diesen kaum bekannten Aspekt deutsch-jüdischer Geschichte.

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Celia Treitel (* 1925 in Berlin) bei der Civil Censorship Division der US-Militäregierung in Deutschland, um 1947

Die Lebensläufe in der Ausstellung entziehen sich bekannten und anerkannten Deutungen; sie ergänzen die Erzählungen über Leid und Opfer jüdischer Menschen im Zeichen nationalsozialistischer Vernichtungspolitik um Geschichten, in denen es deutschen Juden gelang, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und aktiv gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen. In mancher Hinsicht stehen die Biographien auch quer zur traditionellen Erfolgsgeschichte einer besonders engen Beziehung zwischen den westlichen Alliierten und den Deutschen nach 1945. Freilich war für die vormals verfolgten und geflohenen deutschen Juden die Rückkehr im Dienst alliierter Truppen eine hoch emotionale, oft auch widersprüchliche Erfahrung. Die meisten kehrten ihrem ehemaligen Heimatland nach dem Krieg für immer den Rücken. Trotz der notwendigen Beschränkung auf wenige Biographien ist die Breite des Spektrums erkennbar: mit Celia Treitel (*1925) ist zumindest ein Frauenschicksal dokumentiert. Stefan Doernberg (1924–2010), der schon als Kind mit seinen Eltern in die Sowjetunion emigrierte, später in der Roten Armee kämpfte und für die sowjetische Militäradministration in Mecklenburg tätig war, zeigt die unterschiedlichen politischen Präferenzen auch im deutschen Judentum. Bekannte Biographien wie die Henry Kissingers (*1923) stehen neben weitgehend unbekannten Schicksalen. Viele Lebensläufe haben einen Berlin-Bezug, aber es sind auch Biographien aus anderen Regionen Deutschlands dokumentiert.

Geschätzte 30.000 Menschen jüdisch-deutscher Herkunft kehrten ab 1944 im Dienst alliierter Truppen nach Europa und nach Deutschland zurück. Nach geglückter Flucht waren aufkeimende Freiheitsgefühle zunächst allerdings empfindlich gedämpft worden. Mit Kriegseintritt galten deutsche Juden ebenso wie Ausländer nichtjüdischer Herkunft als sogenannte „enemy aliens“, die teilweise sogar interniert wurden. Erst im Verlauf des Krieges erkannten die Truppenführungen im alliierten Lager das Potenzial gerade dieser Emigranten. Bis 1943 kämpften in allen alliierten Armeen auch deutsche Juden und Jüdinnen. Aus militärischer Perspektive verfügten sie durch ihre muttersprachlichen Fähigkeiten und intimen Kenntnisse des verfeindeten Landes und seiner Gesellschaft über wichtige Schlüsselkompetenzen. Es ist daher kein Zufall, dass viele deutsche Juden in der psychologischen Kriegsführung, bei den Geheimdiensten, für Abhöraktionen und Verhöre oder aber für Presse- und Rundfunk ausgebildet und eingesetzt wurden.

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Stefan Heym, Psychological Warfare Division, nach der alliierten Landung in der Normandie, 1944

Was bedeutete es für deutsch-jüdische Flüchtlinge, als Sieger, Befreier und Besatzer nach Deutschland zurückzukehren? Wir können es bestenfalls erahnen. Heimatgefühle waren längst abgestorben, viele hatten sich eine neue Identität geschaffen. Drei der Porträtierten mussten erkennen, dass sie die einzigen Überlebenden ihrer Familien waren – Walter Reed (*1924), Manfred Steinfeld (*1924) und Guy Stern (*1922). In besonders radikaler Form manifestierte sich der Rollentausch vom Opfer der Verfolgung zum Akteur der Anti-Hitler-Koalition, wenn deutsch-jüdische Flüchtlinge wie Manfred Steinfeld mit daran beteiligt waren, Konzentrationslager zu befreien.

Walter Reed hatte die Aufgabe, den Lehrkörper an der Universität Marburg zu entnazifizieren. Henry Kissinger spürte höhere Ränge des NS-Regimes auf, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. Doch die Politik der Alliierten änderte sich. Manche zeigten sich enttäuscht, dass im Zeichen des Kalten Krieges auf alliierter Seite die Bereitschaft zur Kooperation mit den Deutschen rasch wuchs. Nach Kriegsende kehrten die meisten Deutschland den Rücken. Und dennoch: einige entschieden sich bewusst, zu bleiben. Zu diesen zählte beispielsweise Ernst Cramer (1913–2010), der später die Geschicke des Axel-Springer-Verlages, des mit Abstand größten deutschen Zeitungsverlages, mit lenkte.

In der Ausstellung klingt an, wie sich die Lebensläufe unserer Protagonisten in der Nachkriegszeit entwickelten. Die meisten gründeten in den Aufnahmeländern eine Familie. Ehemalige deutsch-jüdische Flüchtlinge waren als Hochschullehrer und Verleger, in der Politik, als Textil- und Lebensmittelhändler erfolgreich tätig. Für eine große, internationale Ausstellung wäre es höchste Zeit.


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