Berlin - ein Name, viele Gesichter und Geschichten

_von Linda Dommes_

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Das kleinste Berlin der Welt ist heute ein Hotel auf der Südinsel Neuseelands. Auch viele Berliner aus Deutschland machen dort einen Zwischenstopp.

Berlin hat schon viel erlebt. Bei seiner Gründung im Jahre 1874 bestand es nur aus einer Post, die später zum Hotel umgebaut wurde. Glücklicherweise liegt es seit jeher an einer viel befahrenen Straße, sodass stets genug Übernachtungsgäste kamen. Durch die Nähe zu zwei Flüssen entpuppte sich Berlin im wahrsten Sinne des Wortes zur Goldgrube, sodass um 1906 die höchste Einwohnerzahl in der Geschichte erreicht wurde: knapp 400 Bürger. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Hotel durch ein Feuer schwer beschädigt, aber mit vereinten Kräften wieder aufgebaut. Später waren die beiden Inhaber des Hotels lange Zeit die einzigen Bewohner Berlins, bis sich 1996 die Bevölkerung mit der Geburt ihrer Tochter schlagartig um 50 Prozent erhöhte.

Wie Sie sicherlich bereits vermutet haben, handelt es sich nicht um die deutsche Hauptstadt, sondern um ein Berlin auf der Südinsel Neuseelands. Gegründet wurde es von John Berlin, der aus Göteburg stammte und nach Neuseeland ausgewandert war. Mittlerweile hat das Hotel mehrmals den Eigentümer gewechselt, zuletzt im Jahre 2004. Damit erhöhte sich die Einwohnerzahl auf sechs Personen. Den Eingangsbereich des Hotels schmücken eine „Berlin-Fahne“ und zahlreiche „Berliner Bären“ – Mitbringsel von Touristen aus der deutschen Hauptstadt. Dieser Ort ist einer von circa 120 Namensvettern in aller Welt.

Ein anderes Berlin liegt in Argentinien, genauer gesagt in der Provinz Jujuy. Hier liegt Berlin im Alti Plano der argentinischen Anden auf einer Höhe von 4.300 Metern. Damit ist es das höchste Berlin weltweit. Ursprünglich war es eine Bergarbeitersiedlung. Später kamen deutsche Auswanderer, um nach Gold zu suchen. Heute leben dort zwischen fünf und zehn Indios in zwei Lehmhütten. Außerdem gibt es noch eine Ruine, die als Unterstand für die Lama- und Alpakaherden dient sowie eine Feuerstelle. Für Europäer wäre ein Leben dort wahrscheinlich kaum möglich, denn das Klima ist extrem und die Luft sehr dünn.

In Bolivien gibt es auch mehrere Namensvetter. Die Gründung eines kleinen Örtchens geht auf eine Gummiplantage am Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Der Besitzer warb damals Arbeiter aus Übersee an. Darunter waren viele Deutsche, die sich dort ein besseres Leben erhofften. Sie erhielten in der Nähe der Plantagen ein Stück Land, auf dem sie sich ansiedeln durften. Auch den Namen für ihre Siedlung durften sie selber wählen. Der heutige Besitzer kaufte das Land von einem direkten Nachfahren der ersten Einwanderer. Die Bewohner leben nach wie vor von selbstangebauten Produkten wie Mais, Reis, Papaya und Baumwolle.

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Neuseeland – So sah das kleinste Berlin kurz nach seiner Gründung aus.

Nur wenige Kilometer entfernt liegt das „Estancia Centro Berlin“. Dort leben 15 bis 20 Familien und bestreiten ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit Viehzucht und Ackerbau. Letzterer ist durch das wüstenähnliche Klima zwar nur beschränkt möglich, dennoch wird in diesem Ort ein Großteil der 800 verschiedenen Kartoffelsorten (das Hauptanbauprodukt des Landes) gezüchtet. Familien, die sich neben Alpakas und Lamas auch noch Milchkühe, Ziegen oder Schafe halten können, gelten als wohlhabend.

Kolumbien hält nicht nur den Weltrekord mit dem torgefährlichsten Torwart (der 34-jährige Rogério Ceni vom FC Sao Paolo schoss insgesamt 64 Tore), sondern auch in Sachen Berlin: In keinem anderen Land der Welt gibt es mehr Orte und Einrichtungen gleichen Namens. Bisher sind mindestens 40 mit dem Namen Berlin recherchiert worden.

So ist Berlin auch der Name eines Gefängnisses, welches sich 400 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bogotá befindet. Nach einem Umbau im Jahre 1946 wurde es „Carcel Berlin“ genannt. Mittlerweile hat sich um das Gefängnis eine Ortschaft gebildet, in der etwa 200 Menschen leben.

In Europa ist Berlin als Ortsname nicht so verbreitet. Angeblich gibt es Berlin in Schweden in der Nähe des Hjärmaren Sees. Dieser See ist das viertgrößte Gewässer des Landes und grenzt an die Provinzen Västmanland, Södermanland und Närke. Jedoch ist dort noch niemand auf der Suche nach Berlin fündig geworden. Möglich ist, das dieses Berlin vor mehreren Jahren vom See „verschluckt“ wurde.

Eine andere kleine Ortschaft liegt in der Provinz Cundiamarca. Die Schule ist der Mittelpunkt des kulturellen Lebens der 400 Seelen Gemeinde. Vor 10 Jahren wurde die „Escuela Nueva Berlin“ als Gemeinschaftsschule gegründet und zurzeit besuchen sie rund 150 Schülerinnen und Schüler. Täglich nehmen die Kinder weite Wege für den Unterricht auf sich, denn einen öffentlichen Personennahverkehr gibt es dort nicht. Ein paar Kilometer weiter befindet sich die Milchfarm Berlin. Auf einer Fläche von 100 Hektar und auf einer Höhe von 2.700 Metern erstrecken sich riesige Weideflächen. Der Besitzer ist ein ehemaliger Physikprofessor. Heute bewirtschaftet er sein Anwesen zusammen mit 10 Mitarbeitern.

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Die „Skyline“ des Örtchens Berlin im US-Bundesstaat New Hampshire.

In Kolumbien befindet sich auch ein flüssiges Berlin: Der kleine Bach „Quebrada Berlin“ („die Schlucht Berlin“) fließt durch eine Landschaft, die Ähnlichkeit mit dem Allgäu aufweist.

In Uruguay liegt das Dörfchen „Nuevo Berlin“, das 1875 von einer deutschen Einwandererfamilie gegründet wurde. Die Familie betrieb dort eine große Farm und baute rund herum für ihre Mitarbeiter Wohnhäuser und eine Kirche. Die heute 2.500 Einwohner sind besonders stolz auf ihre drei Schulen und auf ein Krankenhaus. Es wird von Werner Forker, der aus Deutschland stammt, geleitet. Wenn der F. C. Berlin Fußballturniere veranstaltet, versammelt sich das ganze Dorf zum Anfeuern seiner Mannschaft.

Auch in Südafrika befindet sich ein Berlin. Hier liegt der Namensvetter 20 Kilometer nördlich von der Hafenstadt East London entfernt. 1854 wurde ein deutsches Söldnerheer von England angeheuert, um gemeinsam mit den Briten gegen Russland zu kämpfen. Als die Legion jedoch in England ankam, war der Krieg bereits beendet. Deshalb wurde den Söldnern angeboten, sich als Kolonisten in Südafrika niederzulassen. Dazu erklärte sich auch der Gründer des dortigen Berlins, ein ehemaliger Offizier der britischdeutschen Legion, bereit. Sein Haus ist das älteste Gebäude der mittlerweile 1.500 Einwohner zählenden Stadt. Bis 1970 war Berlin eigenständig, danach wurde es in den Kreis East Londons eingemeindet. Der Gemeindeverwalter ist deutschstämmig. Eine Besonderheit des Ortes: hier gibt es keine Arbeitslosigkeit! Etwa 300 der Bewohner arbeiten in der ortsansässigen Industrie oder im Einzelhandel und die anderen gehen in East London ihrer Arbeit nach.

In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es sehr viele Orte, deren Namen auf deutsche Städte zurückgehen. Neben Hamburg, Minden und Germantown gibt es natürlich ebenso viele Berlins. Eines davon befindet sich im „sunshine state“ Florida. Es handelt sich um einen Ortsteil der Großstadt Jacksonville im Norden des Staates. Hier leben 100 Menschen in 60 Häusern. Zwar geht der Ortsteil auf einen deutschen Einwanderer zurück, der hier ein Gelbfieber-Krankenhaus gründete, doch heute leben dort keine Deutschen mehr.

Das Berlin in New Hampshire liegt am Androscoggin River. Die Stadt kam bei der letzten Volkszählung auf über zehntausend Einwohner. Am Rande des „White Mountain“ gelegen reichen die Stadtgrenzen bis in den „White Mountain Nationalpark“ hinein. Das Stadtmotto lautet: „The city that trees build“ und verweist auf die traditionelle Bedeutung der Holzindustrie. Von den drei Papiermühlen ist heute nur noch eine in Betrieb. Mehr und mehr setzt die Stadt auf den Tourismus.

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Diese Postkarte zeigt das alte Fernmeldeamt Berlins in New Hampshire.

In Polen ist der Name „Berlinek“ (oder auch „Barlinek“) eine Ortsbezeichnung. Fünfmal kommt er vor. Einmal liegt er an der östlichen Grenze Polens. Ab 1908 wurde der dortige Gutsbezirk „Berlinek“ mit Teilen des Gutsbezirks Milewo und Hasenau zusammengefasst. „Berlinek“ bedeutet übrigens nicht direkt Berlin, sondern die verniedlichte Form „Berlinchen“. Von hier stammt auch der erste und bislang einzige deutsche Schachweltmeister: Emanuel Lasker. Er wurde dort am 24. Dezember 1868 geboren und verstarb 1941 in New York City. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten flüchtete er 1933 aus Deutschland. 27 Jahre lang blieb er Schachweltmeister und ist damit der längste Träger dieses Titels in der Geschichte.

Ein Berlinchen gibt es auch in unmittelbarer Nähe der deutschen Hauptstadt: es befindet sich im Landkreis Ostprignitz-Ruppin im nördlichen Brandenburg. 200 Einwohner zählt der von zahlreichen Wiesen, Wäldern und Seen umgebene Ort. Vier Straßen und eine Kirche prägen das Bild des Dorfes.

Das älteste aller Berlins befindet sich in Schleswig-Holstein. Gegründet 1215 von der Fürstin Berolin, gelegen im Landkreis Segeberg zwischen der Landeshauptstadt Kiel und Lübeck. Seit der Weimarer Gemeindereform 1927 gehört es zur Ortschaft von Seedorf. In diesem Berlin gibt es übrigens auch einen „Kurfüstendamm“, eine „Wilmersdorfer Straße“, einen „Potsdamer Platz“ und einen Weg namens „Unter den Linden“. Diese Namen wurden von Einwohnern vergeben, nachdem sie zur Kaiserzeit in Berliner Regimentern an der Spree gedient hatten.

In den USA befindet sich das mit Abstand gruseligste Berlin: eine Geisterstadt im Bundesstaat Nevada. Im Jahre 1900 wurde sie gegründet, um dort Kohle zu fördern. Heute erinnern nur noch Weinflaschen und alte Bücher an die Zeit, zu der hier noch Arbeiter gelebt haben. Manchmal machen Touristen, die auf dem Weg von Los Angeles nach Las Vegas sind, einen Zwischenstopp. Das beliebteste Fotomotiv ist der Überrest eines Förderturms. Die Autorin bevorzugt dann doch lieber die quicklebendige deutsche Hauptstadt.


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Die Autorin studiert deutsche und englische Philologie an der Freien Universität Berlin und absolvierte ein Praktikum in der Redaktion von _aktuell_ .