Vor die Tür gesetzt

Ausstellung über verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder 1933-1945

_von Christine Fischer-Defoy
Vorsitzende des Vereins Aktives Museum_

Stuehle

Stühle erzählen die Geschichte der einzelnen Berliner Stadtverordneten

Die Ausstellung „Vor die Tür gesetzt – Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder 1933–1945“ zeigte im vergangenen Jahr im Berliner Rathaus und ab 8. Juni 2006 im Berliner Abgeordnetenhaus die Geschichte der verfolgten Parlamentsmitglieder.
Der Verein Aktives Museum entstand 1983 aus dem Kreis von Verbänden und Institutionen heraus, die Ausstellungen und Veranstaltungen zum 50. Jahrestag von 1933 organisiert hatten. Es ist ein Museum ohne Haus, das seit über 20 Jahren mit wechselnden Partnern Projekte zur Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus, Widerstand und Emigration in Berlin organisiert. Dass wir eines Tages mit einer Ausstellung im Berliner Rathaus landen würden, haben wir jedoch vor 20 Jahren nicht zu träumen gewagt.
Es lag nahe, dass uns irgendwann der Abschlussbericht einer Arbeitsgruppe der Freien Universität Berlin in die Hände fiel, die Ende der 1980er Jahre auf Initiative der Alternativen Liste und auf Beschluss des Abgeordnetenhauses die Geschichte der verfolgten Berliner Stadtverordneten und Magistratsmitglieder zu erforschen begann. Oft konnten wir durch Hinweise aus Wiedergutmachungsakten Kontakte zu Kindern der Verfolgten aufnehmen, die unsere Arbeit um weitere Materialien, Fotos und persönliche Dokumente bereichert haben.
Und als dann eines morgens um halb acht Uhr Manfred Adler, der Sohn von Leonhard Adler, vor der Tür stand – er war 86-jährig mit dem Nachtzug aus Meran angekommen, um zu sehen, wer sich da für die Geschichte seines Vaters interessiert – dann entschädigt ein solcher bewegender Moment für alle mühevollen Formalitäten eines Lotto-Antrags und alle Ängste um seine Bewilligung.
Aus der Fülle von über 350 bewegenden Biografien haben wir uns für die Ausstellung auf 32 Lebensgeschichten beschränken müssen. Diese Auswahl ist unter rein rechnerischen Gesichtspunkten nicht repräsentativ. Denn danach stehen 43 Verfolgten aus den bürgerlichen Parteien 335 aus den Linksparteien gegenüber. Wir hätten uns also politisch auf die Linksparteien konzentrieren müssen, und Frauen wären dann in unserer Ausstellung überhaupt nicht vorgekommen. Wir haben uns demgegenüber dafür ent schieden, Biografien auszuwählen, die uns besonders spannend und oft ungewöhnlich erschienen – aber wir haben auch den Typ des „Parteisoldaten“ aufgenommen. Wir haben unterschiedliche Verfolgungskriterien berücksichtigt und den weiblichen Abgeordneten breiteren Raum gegeben. In der damaligen Zeit bedeutete es noch mehr als heute, als Frau in die Politik einzusteigen und ihre Verfolgungsschicksale berührten uns besonders.
Und wenn ich jetzt konkret auf einige dieser vielen Geschichten eingehe, dann möge mir meine Arbeitsgruppe verzeihen, dass ich über drei meiner Abgeordneten sprechen werde, weil diese Biografien mir besonders ans Herz gewachsen sind.
Da ist zum einen die wechselvolle Geschichte des Stadtbaurats für Verkehr Leonhard Adler, geboren als Jude in Italien, in Berlin zunächst zum Protestantismus, dann zur Katholischen Kirche konvertiert, von dem es hieß: „Wenn man einem Katholiken in Köpenick auf den Fuß tritt, schreit der Adler im Magistrat.“ Zusammen mit Ernst Reuter war er verantwortlich für den Bau des Flughafens Tempelhof und die Gründung der BVG. Er emigrierte 1936 nach Italien, wurde als Verkehrsexperte Berater bei FIAT und Alfa Romeo, begründete den städtischen Autobusbetrieb in Tripolis und war von 1948 bis 1953 Verkehrsstadtrat in Mailand. Nach der Pensionierung ging er ins Kloster, wurde 1956 zum Priester geweiht und las die erste Messe vor seinen früheren Kollegen im Mailänder Straßenbahndepot. Sein Nachlass liegt in einem Kloster in Mailand, auch dort gibt es mittlerweile E-mail, und der rührige Archivar Pater Abele hat uns all seine Schätze für diese Ausstellung zuVerfügung gestellt.

Eine Besucherin informiert sich über die damalige Situation

Eine Besucherin informiert sich über die damalige Situation

Da ist zum zweiten die Geschichte des sozialdemokratischen Verlegers Hugo Heimann, der 1898 seine Verlagsbuchhandlung in Berlin verkaufte, um sich ganz der Politik zu widmen. Mit dem Verkaufserlös stiftete er 1899 eine öffentliche Bibliothek. Als sozialdemokratischer Berliner Stadtverordneter baute Hugo Heimann 1901 acht Wohnhäuser im Wedding, deren Besitz er an Sozialdemokraten übertrug, die damit nach dem Dreiklassen-Wahlrecht als Grundbesitzer zu Stadtverordneten gewählt werden konnten. Hugo Heimann, seit 1926 Ehrenbürger Berlins, emigrierte im Juli 1939 zusammen mit seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen über England in die USA. „Von Johanna, unserer Tochter, geleitet und mit zehn Mark in der Tasche als Rest unseres gesamten Hab und Guts bestiegen wir dann in Hamburg einen Dampfer, der uns wohlbehalten nach Southampton brachte. Am Weihnachtsabend 1939 betraten wir amerikanischen Boden.“ 1942 wurde sein Vermögen beschlagnahmt. Hugo Heimann lebte in seinen letzten Lebensjahren in einem Altersheim in New York wo er 1951 starb.

Wir wollen den Besuchern dieser Ausstellung Menschen nahe bringen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen verfolgt wurden, und wir wollen über die Ausstellung hinaus Spuren ihrer Geschichten hinterlassen. Im Treppenaufgang des Berliner Rathauses steht ein öffentlich zugänglicher Computerterminal, der nach und nach die Biografien aller verfolgten Berliner Stadtverordneten und Magistratsmitglieder enthalten wird.
In diesem Jahr, wenn die Ausstellung ab 8. Juni noch einmal im Berliner Abgeordnetenhaus gezeigt wird, erscheint mit Unterstützung Walter Mompers ein Gedenkbuch, das alle Biografien sowie weitere Dokumente und Materialien enthalten wird. Und geplant ist darüber hinaus, für alle ermordeten Stadtverordneten und Magistratsmitglieder jeweils einen Stolperstein an ihrer Wohnadresse anzubringen.

Zum dritten möchte ich Max Cassirer nennen, nicht zuletzt, weil seine Geschichte mich an die meiner Familie erinnerte: auch mein Urgroßvater Fritz Canthal war als jüdischer Unternehmer in meiner Geburtsstadt Hanau von 1883 bis 1906 Stadtrat – er hat die Jahre nach1933 zum Glück nicht mehr erlebt. Max Cassirer, der Berliner Baufabrikant und Besitzer mehrerer holzverarbeitender Betriebe – Finanzier der legendären Odenwaldschule und Ehrenbürger Charlottenburgs, – der es für eine demokratische Selbstverständlichkeit hielt, von 1893 an als Stadtverordneter in Charlottenburg und später in Berlin zu wirken, wurde von den Nationalsozialisten enteignet. Es hat ihm nichts genützt, dass er am 27. April 1938 an den Polizeipräsidenten zu Berlin schrieb: „Ich habe die Wünsche und Forderungen der Regierung und der Partei gewissenhaft erfüllt, und es erscheint mir fast als eine Unmöglichkeit, in meinem hohen Alter auszuwandern. Ich möchte in dem Lande, in dem ich geboren bin, auch mein Leben beenden.“ Der Wunsch Max Cassirers wurde nicht erfüllt, er starb 85-jährig verarmt im englischen Exil. Seine umfangreiche Kunstsammlung lässt sich heute nur noch auf dem Papier erahnen, das wir im Entschädigungsamt fanden.


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