Was brauchen junge Menschen, um sich zu engagieren? Darüber sprachen wir mit Peggy Eckert, Expertin für Demokratiebildung und Teilhabe der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS). Die Stiftunghat zum zweiten Mal engagierte und nicht engagierte junge Menschen befragt, welche Rahmenbedingungen sie für (ihr) freiwilliges Engagement brauchen.
Frau Eckert, in der kommenden Woche werden die Ergebnisse der zweiten u_count-Jugendbefragung zu Engagement und Freiwilligendiensten vorgestellt. Was ist der Hintergrund dieser Befragung? Wann und wie hat sie stattgefunden? Wer wurde befragt?
Wir erleben gerade, wie zunehmend Rechtsextremisten unsere Demokratie bedrohen. Umso wichtiger ist es, Kindern und Jugendlichen so früh wie möglich gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Dazu brauchen junge Menschen entsprechend Räume und Gelegenheiten, sich aktiv einbringen zu können. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) hat zum zweiten Mal engagierte und nicht engagierte junge Menschen befragt, welche Rahmenbedingungen sie für (ihr) freiwilliges Engagement brauchen. Das waren rund 1.000 junge Menschen zwischen 13 und 26 Jahren. Dabei nahmen 818 Jugendliche und junge Erwachsene an einer Online-Befragung und 164 an acht analogen, bundesweit verteilten qualitativen Workshops teil. Hier entwickelten sie außerdem Ideen, wie Engagement gefördert werden kann und formulierten Handlungsempfehlungen für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Wir haben bei dieser Befragung auch nach Veränderungen im Engagement während der Corona-Pandemie gefragt sowie nach dem
Themenbereich „Mitbestimmung und Beteiligung“.
Wie hat sich die Bereitschaft, sich zu engagieren, unter jungen Menschen seit der letzten Umfrage verändert?
Die erste u_count-Jugendbefragung haben wir 2019 durchgeführt – also vor der Corona-Pandemie. Während des Lockdowns war es ja für junge Menschen nicht möglich, sich analog zu treffen oder sich etwa in Schule oder Verein zu engagieren. Erstaunlicherweise hat das jedoch die Engagementbereitschaft der Jugendlichen nicht beeinflusst: Weit mehr als 90 Prozent der im Rahmen von u_count 2022/23 Befragten engagieren sich, haben sich bereits früher engagiert oder können sich ein Engagement zukünftig vorstellen. Zudem werden Freiwilligendienste von den jungen Menschen als großer persönlicher Mehrwert empfunden. Auch die Bekanntheit der Freiwilligendienste stieg gegenüber der letzten u_count-Erhebung von 2019.
Welches sind die wichtigsten Faktoren für junge Menschen, wenn es um freiwilliges Engagement geht?
Junge Menschen wünschen sich, dass sie ernst genommen und aktiv beteiligt werden, egal ob in der Vereinsarbeit, im Umweltschutz oder im Rahmen der Schule. Für ihr Engagement wünschen sich mehr Wertschätzung und Anerkennung, zum Beispiel in Form von Zertifikaten, die sie in ihre Bewerbungsmappen aufnehmen können. Sie wünschen sich eine bessere Sichtbarkeit für junges Engagement. Die Vereinbarkeit von Engagement und mangelnden zeitlichen Ressourcen sind die Hauptgründe, die junge Menschen nennen, die sich (noch) nicht engagieren. Aber auch Rahmenbedingungen wie fehlende oder unzureichende ÖPNV-Verbindungen sind Hürden für freiwilliges Engagement. Und Engagement muss finanziell so ausgestattet sein, dass es allen jungen Menschen möglich ist, sich zu engagieren.
In welchen Bereichen sind Jugendliche und Heranwachsende vor allem aktiv und welche Bedeutung geben Sie diesem Engagement in ihrer eigenen Entwicklung?
Junge Menschen engagieren sich besonders gern und oft für ihre eigenen Themen und orientieren sich dabei an ihrer jeweiligen Lebenswelt. So bringt sich fast die Hälfte der in den vergangenen 12 Monaten freiwillig engagierten Befragten in der außerschulischen Jugend- und Bildungsarbeit ein, also dort, wo sie auch Teil der Zielgruppe dieser Angebote sind. Es folgen Freizeitangebote und Sport, die Gestaltung des Lern- und Lebensorts Schule sowie der Klima- und Umweltschutz. Sich in politischem Rahmen, etwa in Gremien oder einer Partei, zu engagieren, gaben 11,6 Prozent der Befragten an. Als Motivation für ihr Engagement nennen die jungen Menschen am häufigsten die Faktoren „Spaß haben“, „etwas Neues lernen“, „anderen helfen“ und „mitbestimmen und -gestalten zu können“. Aber auch die im Engagement erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sind für sie relevant, denn sie helfen ihnen im Hinblick auf Ausbildung und Beruf.
Gibt es Erkenntnisse über Zusammenhänge von Fachkräftemangel und jungem Engagement?
Je mehr Gelegenheiten wir jungen Menschen für Engagement geben und je besser wir die Bedingungen gestalten – auch für Freiwilligendienste –, desto mehr Kenntnisse und Erfahrungen können die jungen Menschen sammeln. Engagement in Jugendorganisationen, Freiwilligenarbeit oder anderen gemeinnützigen Aktivitäten fördert die persönliche Entwicklung: Jugendliche lernen wichtige soziale Fähigkeiten wie Teamarbeit, Kommunikation und Führung, die ihnen später im Berufsleben zugutekommen. Indem Jugendliche sich engagieren, erhalten sie Einblicke in verschiedene Berufe und Tätigkeitsfelder und entwickeln so eine bessere Vorstellung von ihren eigenen Interessen und Stärken. Dies kann ihnen bei der Berufswahl helfen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie sich für Berufe entscheiden, in denen sie ihre Fähigkeiten am besten einsetzen können. In Sachsen zum Beispiel ist die DKJS Träger des FSJ Pädagogik. In ihrem Freiwilligendienst lernen aktuell 230 junge Menschen an
Schulen den Lehrberuf kennen und haben die Möglichkeit herauszufinden, ob dieser Beruf wirklich zu ihnen passt. Zudem können Unternehmen, die Jugendengagement unterstützen oder selbst fördern, als sozial verantwortlich wahrgenommen werden. Dies kann die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber steigern und dazu beitragen, qualifizierte Fachkräfte anzuziehen. Weiterhin können die jungen Menschen wichtige Kontakte knüpfen und potenzielle Arbeitgeber kennenlernen.
Welche Wünsche und Bedürfnisse drücken junge Menschen mit Ihrem Engagement aus?
Die Betroffenheit der jungen Menschen in den gegenwärtigen Krisen zeigt sich im Wunsch nach Mitbestimmung bei Themen wie Verteilung von Geld und Löhnen, Steuerpolitik und Spritpreisen. Besonders wichtig ist jungen Menschen auch eine Mitbestimmung im Bereich des Verkehrs, insbesondere die Ausgestaltung des öffentlichen Nahverkehrs und von Fahrradstrecken sowie beim Klimaschutz. Viele der Teilnehmenden stehen einem Wahlrecht ab 16 Jahren positiv gegenüber und wünschen sich auch, früher als mit Eintritt der Volljährigkeit bei Petitionen mitreden zu dürfen. Junge Menschen wollen mitbestimmen, Einfluss nehmen und sind bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Was ist die Quintessenz aus der Befragung? Welche Strukturen und Wege müssen etabliert und ausgebaut werden, um junges Engagement zu ermöglichen?
Nach wie vor fehlen jungen Menschen ausreichende Informationen – insbesondere in den Social-Media-Kanälen – und Aufklärung darüber, wo junge Menschen sich überall engagieren können und was ihr Engagement bewirken kann. Die Folge ist, dass junge Menschen nur wenige Möglichkeiten der Mitbestimmung gut kennen und nutzen. Die Entwicklung von jugendgerechten und zeitgemäßen Beteiligungsformaten gemeinsam mit den Jugendlichen wäre ein guter Weg, um mehr Menschen dauerhaft zu beteiligen und für Engagement zu gewinnen. Damit Jugendliche aktiv werden können, brauchen sie zudem bestimmte Voraussetzungen – von der Vereinbarkeit von Schule oder Ausbildung und Engagement bis hin zu finanzieller Unterstützung sowie Wertschätzung und Anerkennung durch Zertifikate. Das gilt insbesondere für junge Menschen in sogenannten Risikolagen. Vor dem Hintergrund angespannter Haushaltslagen sind deshalb neue Lösungsansätze und das gemeinsame Handeln aller Akteure gefragt, um die
Bedingungen für junges Engagement zu verbessern und zu unterstützen.