İlker Çataks Spielfilm „Das Lehrerzimmer“ wurde beim Deutschen Filmpreis mit fünf Goldenen Lolas ausgezeichnet . Im Mittelpunkt steht die engagierte Sport- und Mathematiklehrerin Carla Nowak, die ihre erste Stelle an einem Gymnasium antritt. Als es an der Schule zu einer Reihe von Diebstählen kommt, beschließt sie, der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei trifft sie auf empörte Eltern, rechthaberische Kolleg/-innen und angriffslustige Schüler/-innen. Je verzweifelter sie sich bemüht, alles richtig zu machen, desto mehr droht die junge Lehrerin daran zu zerbrechen. Regisseur İlker Çatak und Hauptdarstellerin Leonie Benesch sprechen über Motive und Herangehensweisen.
İlker Çatak, inwiefern haben Ihre Schulerfahrungen den Film geprägt?
Es gab in unserer Klasse zwei Jungs, die in ihren Freistunden Klassen aufsuchten, die gerade im Sportunterricht waren. Und dann stahlen sie aus den Jacken und Taschen dieser Schüler/-innen. Das ging eine ganze Weile so. Wir wussten das alle, haben aber nichts gesagt, weil keiner die Petze sein wollte. Ich erinnere mich noch ganz genau, als eines Tages – wir saßen gerade im Physikunterricht –, drei Lehrer hereinkamen und sagten: „Alle Mädchen raus, alle Jungs Portemonnaies auf den Tisch!“
Das hat sich im Vergleich zu Ihrer Schulzeit geändert.
Das würde es heute nicht mehr geben. Allerdings wäre ein solches Vorgehen erlaubt, wenn dazu gesagt wird, dass die Aktion freiwillig ist. Deswegen fällt in unserem Film häufiger der Nebensatz: „Das Ganze ist freiwillig, aber wer nichts zu verbergen hat, der braucht auch nichts zu befürchten.“ Das ist natürlich total perfide, weil ein solcher Vorgang nicht auf Augenhöhe zwischen Lehrer/-innen und Schüler/-innen stattfindet. Was sich im Vergleich zu meiner Schulzeit geändert hat, ist vor allem die Art der Kommunikation. Heute gibt es WhatsApp-Gruppen, die Eltern tauschen sich untereinander aus. Die Kommunikationswege sind viel kürzer. Wenn ein Problem auftritt, wird es schneller angegangen.
Worauf lag Ihr Hauptaugenmerk bei der Entwicklung der Geschichte?
Es geht um ein System, um ein Abbild unserer Gesellschaft. Schule ist ein gutes Spielfeld, weil sie unsere Gesellschaft als Mikrokosmos, als Modell zeigt: Es gibt das Staatsoberhaupt, Minister/-innen, ein Presseorgan, das Volk… Aber „Das Lehrerzimmer“ verhandelt viele verschiedene Themen. Ein zentraler Aspekt für mich ist die Wahrheitsfindung, die Wahrheitssuche oder wie man sich die Wahrheit zurechtlegt. Auch die Frage, woran man glaubt, wird gestellt. Fake News, Cancel Culture oder etwa das Bedürfnis einer jeden Gesellschaft nach einem Sündenbock – das sind weitere Themen.
Leonie Benesch, Sie spielen die engagierte und idealistische Lehrerin Carla Nowak. Haben Ihre eigenen Erinnerungen an Ihre Schulzeit geholfen, diese Figur zu gestalten?
Ich musste zurückdenken, was funktioniert hat in einem lauten Klassenzimmer, wie man Kinder zur Ruhe gebracht hat. Das hat viel mit einer Haltung und Geduld zu tun. İlker hatte aber auch schon Vieles sehr genau vorrecherchiert und im Drehbuch festgehalten beziehungsweise in Gesprächen erzählt. Darauf konnte ich mich stark stützen. Eine Grundregel mit Kindern ist, sie ernst zu nehmen und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Das habe ich versucht zu verfolgen in der Rolle und im Spiel.
Hatten Sie Bedenken, mit Anfang 30 eine Autoritätsperson wie eine Lehrerin zu spielen?
Dass ich für die Rolle zu jung sein könnte, beziehungsweise der Gedanke, ob man Lehrerinnenrollen erst spielen sollte, wenn man selbst älter ist, kam mir nie. Es gibt viele junge Lehrer/-innen Ende 20, Anfang 30, die entweder ihr Referendariat absolvieren oder gerade frisch in ihren Beruf starten – wie Carla Nowak, sehr idealistisch und unverbraucht ihre Laufbahn beginnen, mit viel Lust darauf, Dinge anders zu machen.
Was gefällt Ihnen an der Geschichte?
Ich glaube, „Das Lehrerzimmer“ ist ein Kommentar zu unserer Debattenkultur. Wir sehen mit Carla Nowak eine Person, die alles richtig machen will, aber immer wieder scheitert, aus unterschiedlichen Gründen. Das passiert durch ein absichtliches oder unabsichtliches Missverstanden-werden. İlker hat etwas Essenzielles unserer Gegenwart eingefangen.