Die Gedenkstätte Hohenschönhausen hat im Rahmen des Bundesprogramms „Jugend erinnert“ ein neues Bildungsangebot in Form von Workshops entwickelt. Das Programm „Jugendkulturen im Blick der Staatssicherheit“ bietet virtuelle Exkursionen und 3D-Rundgänge durch die ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit. Über diesen neuen Weg, Wissen über die Jugendkulturen in der DDR zu vermitteln, sprachen wir mit der Projektleiterin, Katharina Lütz.
Frau Lütz, Sie befassen sich mit verschiedenen „Jugendkulturen im Blick der Staatssicherheit“. Im Mittelpunkt stehen Punks, die Umweltbewegung und Rechtsextreme in der DDR. Was verbindet diese Gruppen und welche Bezugspunkte gibt es zur Gedenkstätte Hohenschönhausen?
Alle Angehörige der drei Gruppierungen verbindet, dass sie sich gegen die Normen des sozialistischen Systems gestellt haben und sich von diesem auf ihre Art und Weise, auch politisch, abgrenzen wollten. Während Punks in den frühen 1980er Jahren von den Behörden wegen ihres Aussehens, Verhaltens und der Musik kriminalisiert wurden, wurde die Umweltbewegung verfolgt, da sie auf die Umweltkatastrophen im eigenen Land aufmerksam machte und damit an der Heile-Welt-Fassade des SED-Regimes kratzte. Bei den Rechtextremen war die Situation freilich anders gelagert. Lange Zeit wurde die Existenz rechtsextremer Strukturen in der DDR von den Behörden ignoriert oder gar vertuscht.
Viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen kamen wegen „Rowdytum“ oder „Staatsfeindlicher Hetze“ bei der Staatssicherheit in Untersuchungshaft. In Berlin kamen die meisten von ihnen in die Keibel- und Kissingenstraße, einige aber nach Berlin-Hohenschönhausen. Prominente Mitglieder der Berliner Umweltbibliothek waren kurzzeitig in dieser Untersuchungshaftanstalt inhaftiert und nach dem Ende der DDR maßgeblich am Aufbau der Gedenkstätte beteiligt.
Warum ist die Auseinandersetzung mit der staatlichen Beobachtung und Verfolgung dieser Jugendkulturen heute noch wichtig.
Mit den ausgewählten Themen knüpfen wir an die Lebensrealität junger Menschen an und schlagen Brücken zwischen Geschichte und Gegenwart. Wir verhandeln mit den Punks, der Umweltbewegung und den Rechtsextremen Themen, die junge Menschen heute beschäftigen: Anderssein und sich von den Erwachsenen abgrenzen und rebellieren, in welcher Form auch immer. Die drohende Klimakatastrophe, die junge Menschen weltweit auf die Straße treibt und zunehmend von konservativen Kräften kriminalisiert wird. Oder auch der Rechtsruck der letzten Jahre mit rechtsextremistischen Anschlägen und dem Erstarken rechter Parteien in ganz Europa.
Gerade in der Corona-Pandemie war zu beobachten, wie viele Menschen sich im Deutschland des 21. Jahrhunderts in einer Diktatur wähnen. Solchen geschichtsvergessenen Narrativen etwas entgegenzusetzen und die Aufklärung über die SED-Diktatur weiterzuführen, ist damit weiterhin eine wichtige Aufgabe.
Die Workshops finden als virtuelle Exkursion statt. Wie können wir uns so eine virtuelle Exkursion vorstellen? Müssen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen dafür vor Ort sein oder ist das ein rein digitales Angebot?
Eine virtuelle Exkursion ist ein rein digitales Angebot. Wir möchten damit jungen Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht zu uns in die Gedenkstätte kommen können, die Möglichkeit geben, den historischen Ort von überall aus der Welt virtuell zu erfahren. Der Exkursionscharakter entsteht durch die selbstständige Erkundung eines 3D-Modells des Untersuchungsgefängnisses. Darin gibt es für die Teilnehmenden eine Vielzahl multimedial aufbereiteter Erläuterungen und Geschichten zu entdecken, die über Haftgründe, die Erfahrungen der Inhaftierten und die Arbeitsweise der Stasi informieren. Die Themenmodule, die sich mit Punks, der Umweltbewegung und den rechtsextremen jungen Menschen beschäftigen, sind als interaktive Workshops angelegt, die im virtuellen Raum stattfinden, aber von einer pädagogischen Fachkraft live angeleitet werden. Mit diesen methodenvielfältigen Formaten wollen wir die Teilnehmenden informieren und mit ihnen in Diskussion gehen.
Die Jugendkulturen in der DDR sind zum Teil von heute renommierten Fotograf/-innen der Ostkreuz-Schule festgehalten worden. Spielen deren Arbeiten auch eine Rolle?
Das stimmt, einige Bilder der DDR-Opposition verdanken wir Fotograf/-innen, die inzwischen sehr berühmt sind, Harald Hauswald zum Beispiel. Uns war wichtig, die Stimmung und das Lebensgefühlt in den 1980er Jahren in der DDR einzufangen, um für die Teilnehmenden diese Zeit greifbar werden zu lassen. Insofern sind die Onlineworkshops reich bebildert mit historischen Fotografien und Filmaufnahmen, die wir aus diversen Archiven und Datenbanken zusammengesammelt haben. Den roten Faden der Workshops, zumindest bei den Punks und der Umweltbewegung, bilden Erfahrungsberichte von Zeitzeug/-innen aus der Szene. Und natürlich spielen Dokumente aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv eine Rolle, da sie sehr gut veranschaulichen, mit welcher geradezu paranoiden Angst das MfS auf die eigene Jugend blickte, und hinter jedem Irokesenhaarschnitt feindliche westliche Einflussnahme witterte.
Ein Aushängeschild der Gedenkstätte Hohenschönhausen ist die Arbeit mit Zeitzeug/-innen? Was macht deren Beitrag so wertvoll?
In der Tat ist die Gedenkstätte bekannt dafür, dass Zeitzeug/-innen Führungen anbieten, die zu DDR-Zeiten selbst politisch verfolgt wurden. Durch ihre Erfahrungsberichte bekommen die Besucher/-innen ein eindrückliches Bild von den Haftbedingungen an diesem Ort und der Art und Weise, wie das SED-Regime mit Menschen umgegangen ist, die es für politische Gegner/-innen hielt. Die virtuellen Exkursionen verfolgen ebenfalls einen biografischen Ansatz. Kontextualisierte Biografien bilden den roten Faden, anhand dessen wir die breiteren gesellschaftlichen Hintergründe und historischen Begebenheiten erzählen. In mehreren Jugendbildungswochen mit Schulklassen vor Ort in der Gedenkstätte sind die Interviews dafür entstanden. Die Teilnehmenden haben dafür selbst Fragen erarbeitet und die Zeitzeug/-innen filmisch interviewt.
Wie können sich interessierte Klassen oder Jugendgruppen unterschiedlicher Altersgruppen für die Workshops anmelden?
Das Angebot richtet sich an Gruppen ab der 9. Jahrgangsstufe. Alle nötigen Infos zur Anmeldung findet man auf unserer Website.