Die Senatsverwaltung organisiert regelmäßig in Kooperation mit der internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem eine Fortbildungsreise nach Israel. Wir sprachen mit Bettina Dettendorfer über die Reise und ihre Bedeutung für Pädagog/-innen und pädagogische Angebote.
Frau Dettendorfer, wie kam es zu der Kooperationsvereinbarung mit Yad Vashem?
Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Shoah sowie der Kampf gegen Antisemitismus nehmen in Schule und außerschulischer Bildung seit einigen Jahren einen immer wichtigeren Platz im Rahmen der Demokratiebildung ein. Um die Erinnerungskultur, die Gedenkstättenarbeit und die Prävention von Antisemitismus im Land Berlin zu stärken, schloss die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie eine Kooperationsvereinbarung mit der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel ab. Im Rahmen dieser Kooperation bieten wir zusammen mit der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz und der Berliner Landeszentrale für politische Bildung eine zehntägige Fortbildung für interessierte Lehrkräfte und Fachkräfte der außerschulischen Jugendbildung nach Israel an. 2022 wurde der Kooperationsvertrag erneuert, um die Zusammenarbeit mit Yad Vashem zu vertiefen und den Berliner Pädagoginnen und Pädagogen diese besondere Fortbildung zu ermöglichen. Der Kooperationsvertrag sichert
eine langfristige Umsetzung der gemeinsamen Bemühungen, das Lernen über die Shoah in Berlin nachhaltig zu stärken und ein Netzwerk pädagogisch qualifizierter Fachkräfte zu den oben angesprochenen Themen zu etablieren.
Welches Ziel verfolgt die Fortbildungsreise?
Schwerpunkt der Fortbildungsreise ist die pädagogische Vermittlung von Fragen jüdischen Lebens vor, während und nach der nationalsozialistischen Verfolgung. Zugleich soll ein Austausch mit Expertinnen und Experten der zentralen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem sowie anderen Vertreterinnen und Vertretern der israelischen Erinnerungslandschaft ermöglicht werden. Die Fortbildung soll zum besseren Verständnis unterschiedlicher Perspektiven auf die Geschichte der Verfolgung beitragen. Es sollen zeitgemäße Wege diskutiert werden, das Thema Holocaust im pädagogischen Kontext zu vermitteln, ein kritisches Geschichtsbewusstsein zu erzeugen und die Prävention von Antisemitismus zu stärken. Mit der Fortbildungsreise verbunden ist auch die Absicht, die Zusammenarbeit zwischen Berliner Schulen und außerschulischen Partnerinnen und Partnern in diesem Feld zu stärken und ein Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung zu etablieren. Inhaltliche Programmpunkte der Fortbildung sind
beispielsweise die Auseinandersetzung mit Konzepten der Erinnerungsarbeit und Bildung in Yad Vashem, die Nutzung von Biographien und persönlichen Geschichten als grundlegender methodischer Ansatz der Bildungsarbeit zur Vermittlung des Holocaust, die Auseinandersetzung mit den Implikationen des Holocaust nach 1945 sowie die Bedeutung des Holocaust als Identität stiftendes Moment in der israelischen Gesellschaft. Die Fortbildung weitet den Blick für Berliner Lehrkräfte sowie Pädagogen und Pädagoginnen, andere Perspektiven auf die Holocaust Education kennen zu lernen.
Wie ist das Thema Antisemitismus im Lehrplan verankert?
Das Thema Antisemitismus ist in verschiedenen Formen in den Rahmenlehrplänen verankert, sowohl in der Grundschule als auch in der Sekundarstufe I und II. Besonders prominent ist es natürlich im Geschichtsunterricht im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus, aber auch in anderen Fächern soll die Auseinandersetzung mit dem Jüdischen Leben und Alltag heute sowie die Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen und Diskriminierung stattfinden – als Teil der Demokratiebildung, die ein verpflichtendes fachübergreifendes Thema sowohl im Rahmenlehrplan 1-10 als auch im Rahmenlehrplan für die gymnasiale Oberstufe darstellt.. Je nach Jahrgangsstufe bieten beide eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten für die genannten Themen. Prinzipiell lassen sich diese in fast jedem Fach und in jeder Jahrgangsstufe einbinden, auch ein fächerverbindender Zugang ist denkbar. Die Prävention von Antisemitismus ist als eine übergreifende Bildungs- und
Erziehungsaufgabe in allen Schulen im Sinne einer demokratischen Schulkultur zu sehen.
Was gibt es für Projekte gegen Antisemitismus in Schulen?
An den Berliner Schulen gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Projekte gegen Antisemitismus und zur Stärkung der Erinnerungskultur. So finden beispielsweise am 27. Januar und am 9. November in jedem Jahr in vielen Schulen Projekte zum Gedenken an die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden statt. Schülerinnen und Schüler nehmen an Stolpersteinverlegungen teil, begeben sich auf Spurensuche zu Berliner Gedenkorten oder beschäftigen sich mit den Biographien von Opfern des Holocaust. Seit mehr als 15 Jahren beteiligen sich Schulen am „Blumenstraußprojekt“, bei dem Schülerinnen und Schüler Überlebende der Shoa treffen, ihre Erfahrungen hören und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mit einem Blumenstrauß und/oder persönlichen Briefen würdigen. Andere Schulen nutzen die Möglichkeit und organisieren selbsttätig eine Gedenkstättenfahrt, um sich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen und den Schülerinnen und Schülern die Bedeutung
der Lehren aus der Geschichte für die Gestaltung unseres heutigen Miteinanders zu verdeutlichen.
Aber auch von uns geförderte Projekte außerschulischer Partnerinnen und Partner werden von den Schulen gut und gerne genutzt. Zu nennen sind hier etwa das Projekt „Geschichte vor dem Schultor“ des Anne Frank Zentrums, die Ausstellung „Susi – Vom Hinsehen und Wegeschauen“ des FEZ, das Projekt „meet2respect“ oder die „Praxisstelle Bildung und Beratung“ der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Diese und andere Projekte außerschulischer Kooperationspartner bieten mit ihrer je eigenen Expertise die Möglichkeit, in Workshops, Gesprächen, Exkursionen und anderen Formaten die Auseinandersetzung mit Themen der historisch-politischen Bildung und vor allem auch den Umgang mit und die Prävention von Antisemitismus in seinen verschiedenen Ausprägungen heutzutage zu stärken.
Wie setzen die Lehrkräfte die gewonnenen Informationen im Unterricht um?
Um das zu beantworten, zitiere ich einfach mal einige Rückmeldungen der Teilnehmenden zu möglichen weiteren Schritten der Umsetzung: „Jetzt habe ich mehr Anregungen für Gedenkstättenbesuche in Berlin: Stille Helden, Wannsee-Konferenz, Stelenfeld …“ „Vielleicht werde ich eigene Unterrichtsinhalte modifizieren: individuellere Zugänge, mehr mit Biographien arbeiten…“ „Als Multiplikator an der Schule will ich die unterschiedlichen Ansätze zur Holocaust Education vorstellen, inklusive Material, um Gedenktage oder den PW-Unterricht vorzubereiten.“ „Jetzt habe ich neue Ideen, um den Unterricht zum Thema zu konzipieren und vielleicht einen Seminarkurs zu planen.“ „Ich möchte die Idee einer deutsch-israelischen Schülerbegegnung verfolgen und einen Austausch mit einer israelischen Schule organisieren.“ „Ich werde im Unterricht mehr auf jüdische Perspektiven beziehungsweise Multiperspektivität achten.“ „Ich habe erste Projektideen nach der
Fortbildung mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus.“
Wie ist denn darüber hinaus die Resonanz der Teilnehmenden nach der Reise?
Auch hier würde ich einfach mal zwei Teilnehmende zitieren: Andreas Schwerdtfeger vom Droste-Hülshoff-Gymnasium, Lehrer für Geschichte und Politikwissenschaft sowie Fachseminarleiter, sagt: „Yad Vashem ist für mich der Ort, an dem sich alles Wissen über die Shoa ballt. Die Spezialistinnen und Spezialisten von hier stellen uns unterschiedlichste Ansätze ihrer Bildungsarbeit vor – Lernen und Austausch in einem besonderen und kontrastreichen Land.“
Désirée Galert, Leiterin der „Praxisstelle Bildung und Beratung” der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus war ebenfalls begeistert: „Aus der Perspektive der politischen Bildung ist es wichtig, einen Bezug zur Lebensrealität der Schüler:innen herzustellen. Insbesondere die Begegnung mit der Zeitzeugin Betsheva Dagan hat viele Möglichkeiten eröffnet, ihre Erfahrungen während der Shoah mit Heute zu verbinden und die Relevanz von Freundschaft, Solidarität und Sprache als verbindende Element von Menschlichkeit hervorzuheben.“
Darüber hinaus gab es generell sehr viel positives Feedback. Die Teilnehmenden sagte immer wieder, dass sie die Fahrt als persönlich bereichernde Erfahrung mit berührenden Begegnungen erlebt haben und lobten das breite Expertenwissen in den unterschiedlichen Programmpunkten, die sehr interessante Vertiefungen für ein umfassenderes Verständnis des Themas sowie didaktische Ansätze bieten. Die Teilnehmenden betonten zudem oft, dass sie noch mehr über Israel gelernt und neue Ansätze der Erinnerungsarbeit sowie den Umgang mit der Shoah bekommen haben. Dazu zählen die vielen Einblicke in die Komplexität der Israelischen Gesellschaft und in die Identität stiftende Rolle des Holocaust.
Viele äußerten auch den Wunsch, sich noch vertiefter auszutauschen, die gewonnenen Erkenntnisse in die konkrete Arbeit, vor allem auch mit diversen Schülergruppen zu überführen und sich vertiefter mit dem Nahostkonflikt auseinandersetzen wollen.
Wenn auch Sie Interesse an der Teilnahme an der Fortbildungsreise haben, wenden Sie sich bitte per E-Mail an Bettina Dettendorfer.