Die Situation bei der Unterbringung und Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten ist weiterhin angespannt. Wir sprachen mit Jugendstaatssekretär Aziz Bozkurt über die aktuelle Situation in den Berliner Unterkünften und den Besonderheiten der Unterbringung und Betreuung minderjähriger Geflüchteter.
Herr Bozkurt, als Staatssekretär für Jugend, Familie und Schuldigitalisierung sind Sie in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie maßgeblich an der Koordinierung der Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten beteiligt. Aus welchen Ländern kommen aktuell unbegleitete minderjährige Geflüchtete nach Berlin?
Insgesamt wurden in diesem Jahr unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus über 50 verschiedenen Staaten erfasst, sodass die Ukraine nicht die einzige größere Gruppe darstellt. Fast 80 Prozent der als unbegleitete minderjährige Geflüchtete erfassten jungen Menschen geben eine ukrainische, afghanische, türkische oder syrische Staatsangehörigkeit an.
Wie ist die aktuelle Situation in den Berliner Unterkünften?
Durch die Entwicklung der Zugangszahlen mussten seit Ende 2021 in einem immer schnelleren Tempo Unterkünfte bereitgestellt werden. Gerade in Bezug auf minderjährige Geflüchtete muss eine sozialpädagogische Betreuung rund um die Uhr gewährleistet sein. Bislang gelang dies in Kooperation mit den freien Trägern der Jugendhilfe unter enormen Kraftanstrengungen. Dennoch stehen aktuell nur wenige Plätze zur Verfügung, so dass die Auslastung aller Unterkünfte hoch ist und wir im Prinzip jede Woche eine Einrichtung mit über 70 Plätzen aufbauen.
Wie haben sich die Kapazitäten zur Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten in den letzten Jahren entwickelt?
Die Anzahl der in Obhut zu nehmenden Jugendlichen schwankte sehr stark in den letzten Jahren und damit die Anzahl der zur Verfügung stehenden Unterbringungs- und Betreuungskapazitäten. Bis Anfang des Jahres war unser System auf ein bis zwei ankommende Jugendliche pro Tag ausgelegt. Wir waren so aufgestellt, dass wir bis Mai das System geräuschlos vervierfachen konnten. Dank der Erfahrungen aus den Jahren zuvor. Mittlerweile ist das System aber verachtfacht.
Mit Stand Ende Oktober 2022 sind 882 Plätze vorhanden, wir planen einen weiteren Ausbau, um dem Bedarf möglichst zu decken. Alle beteiligten Kolleginnen und Kollegen leisten in dieser herausfordernden Situation beeindruckende Arbeit unter Einsatz all ihrer vereinten Kräfte. Die Frage nach Räumlichkeiten, aber insbesondere nach Fachkräften stellt uns aktuell gleichzeitig vor schwierige Herausforderungen.
Worauf wird bei der Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten Wert gelegt, welche besondere pädagogische Betreuung ist hier gefragt?
Die pädagogische Betreuung unbegleiteter Minderjähriger Geflüchteter verlangt besondere Kompetenzen und Engagement. Alle unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten werden vorläufig nach §42a und anschließend nach §42 SGB VIII in Obhut genommen. Dafür ist eine pädagogische Betreuung rund um die Uhr notwendig, um trotz Sprachbarrieren die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Wir müssen danach prüfen, ob eine bundesweite Verteilung der oder des Jugendlichen dem Kindeswohl entgegensteht. Verbleiben die Minderjährigen in Berlin, ist im anschließenden Clearingverfahren die Situation der Kinder und Jugendlichen zu klären.
Ziel ist dabei, dass eine geeignete und notwendige Anschlussunterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe gefunden wird. Während des gesamten dreimonatigen Prozesses sind im Rahmen der Betreuung zahlreiche Behörden- und Beratungstermine zu leisten. Auch der Umgang mit einzelnen traumatisierten Jugendlichen gehört zu den besonderen Aufgaben der Inobhutnahme von unbegleiteten Minderjährigen.
Wo ist der Unterschied zur Unterbringung von erwachsenen Geflüchteten?
In der täglichen Arbeit liegt der größte Unterschied in der intensiven sozialpädagogischen Betreuung im Clearingverfahren, sowie anschließend in der Jugendhilfe. Darauf haben die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten Anspruch und nur auf diese Weise lässt sich eine Kindeswohlgefährdung in ihrer Situation ausschließen.
Unabhängig davon trifft uns bei Minderjährigen natürlich immer eine größere moralische Verantwortung. Wir müssen uns vergegenwärtigen: Diese Menschen haben in ihren jungen Jahren Dinge erlebt, durchlebt, gesehen und erfahren, die sich viele von uns nicht einmal vorstellen können. Dies zu verarbeiten ist für jeden Menschen schwer, für Kinder und Jugendliche ganz besonders. Hinzu kommt immer: Sie sind ohne Eltern hier und haben damit in der Regel eine ihrer engsten Personen verloren oder zumindest zurückgelassen. Diese Kinder und Jugendlichen kommen mit einem großen Rucksack an Sorgen, und Verletzungen, aber auch an Träumen und Sehnsüchten. Ich sehe es als unsere Aufgabe an, ihnen hier einen sicheren Ort zu schaffen und ihnen die nötige Unterstützung und Begleitung zu geben.