Mehrsprachigkeit ist eine besondere Fähigkeit, die viel zu selten gewürdigt wird. Über die Junge Weltlesebühne besuchen erfahrene Literaturübersetzer/-innen Berliner Schulen. Wir sprachen mit der Organisatorin Heike Brandt über das Angebot der Jungen Weltlesebühne, das Geschenk sprachlicher Vielfalt und wie die Veranstaltungen sowohl den Deutsch- als auch den Sprachunterricht in den Grund- und weiterführenden Schulen ergänzen.
Frau Brand, wer oder was ist die Junge Weltlesebühne?
Wir sind Übersetzerinnen und Übersetzer von Kinder- und Jugendliteratur aus Berlin und machen in Schulen und Bibliotheken Werkstatt-Lesungen aus von uns ins Deutsche übertragenen Büchern. Unsere Veranstaltungen werden von der Senatsverwaltung für Kultur und vom Deutschen Übersetzerfonds finanziert, so dass interessierten Schulen und Bibliotheken keine Kosten entstehen.
Was bieten Sie genau an?
Wir präsentieren von uns ins Deutsche übersetzte Literatur aus dem Arabischen, Englischen, Finnischen, Französischen, Italienischen, Japanischen, Norwegischen, Polnischen, Russischen, Schwedischen, Slowakischen, Spanischen, Tschechischen und erzählen von den abenteuerlichen Wegen, die von einer Sprache in die andere führen, von den Entdeckungsreisen in andere Ausdrucks- und Lebensformen und dem Schatz der Kenntnis verschiedener Sprachen.
Unsere Veranstaltungen eigenen sich besonders für den Deutsch- bzw. Literaturunterricht, in allen Klassenstufen, es geht ja um das Schaffen eines deutschsprachigen Textes. Da es in Berliner Schulen viele Kinder und Jugendliche gibt, die zwei- und mehrsprachig aufwachsen, sind unsere Veranstaltungen gerade für diese Kinder eine Bestärkung ihrer sprachlichen Vielfalt, eine Fähigkeit, die leider zu selten gewürdigt wird – dabei ist gerade sie eine Voraussetzung für unsere Tätigkeit.
Wir gehen aber auch gerne in den Fremdsprachenunterricht der jeweiligen Sprache und bieten praktische Übersetzungsübungen an. Spannend ist auch das Thema Recherche und die Möglichkeiten, die sich durch das Internet ergeben. Und immer wieder die Frage: Kann man nicht einfach Google-Übersetzer nehmen?
Auch unsere Arbeitsweise und unsere Arbeitsbedingungen kommen in unseren Veranstaltungen zur Sprache. Wir geben einen Einblick in unseren Berufsalltag. Häufige Fragen sind: Wie lange brauchen Sie für ein Buch? Wieviel Geld bekommen Sie dafür? Woher bekommen Sie Ihre Aufträge? Wie wird man Übersetzerin oder Übersetzer?
Wie läuft so eine Veranstaltung ab?
Wir kommen in die Schulen, entweder direkt in eine Klasse oder in die Schulbibliothek, so es eine gibt. Einen normierten Ablauf gibt es nicht: Wir Übersetzenden sind so unterschiedlich wie unsere Texte und unsere Sprachen, aber alle sprechen wir über unsere Arbeit, unsere Texte, „unsere“ Sprachen – allgemein und an Hand von praktischen Beispielen. Außerdem lesen wir längere Passagen aus den von uns übersetzten Büchern, über die natürlich auch gesprochen werden kann. Uns ist in jedem Fall wichtig, mit den jungen Menschen ins Gespräch zu kommen – daher möchten wir auch nicht mehr als eine Klasse pro Veranstaltung, für die wir etwa ein bis eineinhalb Zeitstunden brauchen.
Bekommen Sie Rückmeldungen, ob sich Ihr Angebot langfristig auf den Unterricht auswirkt?
Wir bekommen so gut wie immer sehr positive Rückmeldungen – sowohl von den Schülerinnen und Schülern als auch von den Lehrkräften. Die Begegnung mit „lebendiger“ Literatur ist für die Allermeisten etwas sehr Besonderes und ausgesprochen anregend. Es gibt bei unseren Veranstaltungen in der Regel sehr wenig Unruhe, sehr wenig Unaufmerksamkeit in den Klassen. Die Nachfrage ist jedes Jahr größer als unsere Kapazitäten – nur von Oberstufen gibt es leider wenig Resonanz. Warum das so ist, können wir uns nicht erklären, denn die Veranstaltungen, die wir gemacht haben, sind sehr gut gelaufen. Für dieses Kalenderjahr können wir deshalb noch vier Lesungen an die Oberstufe vergeben. Interessierte Schulen beziehungsweise Klassen sollten sich bis möglichst 5. Oktober per E-Mail an uns wenden. Bislang nutzt nur eine Gesamtschule regelmäßig unser Workshop-Angebot für die Oberstufe in Spanisch. Eine Bereicherung für alle Beteiligten, auch für unsere Kollegin – was
übrigens für alle unsere Veranstaltungen gilt. Wir lernen jedes Mal mindestens genauso viel wie die Zuhörenden.
Sarah Wildeisen von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin schrieb uns in diesem Jahr: „Die Art und Weise, wie die Veranstaltungen der Jungen Weltlesebühne Einblick in andere Sprachen in Verbindung mit dem Thema Übersetzungen bieten, ist einzigartig und hat gerade auf die vielen nicht muttersprachig deutsch aufwachsenden Schüler:innen eine deutlich spürbar empowernde Kraft. Es ist häufig das erste Mal, dass Kinder erkennen, dass verschiedene Sprachen zu können eine besondere Fähigkeit darstellt. Sowohl Kinder als auch Jugendliche erkennen, dass Übersetzen ein eigener und wichtiger Beruf ist. Ich würde mich freuen, wenn wir auch in 2023 Veranstaltungen der Jungen Weltlesebühne in unseren Räumen anbieten könnten.“
Was brauchen Sie von den Schulen?
Am Anfang jeden Jahres schicken wir unser Angebot mit der Liste aller übersetzten Titel unseres Programms an alle Interessierten, deren Adresse wir haben – wenn Sie noch nicht in unserem Verteiler sind, schreiben Sie uns eine E-Mail und wir nehmen Sie auf. Wenn Sie nach Erhalt der Ausschreibung an einer Veranstaltung interessiert sind, melden Sie Ihren Wunsch bis zu dem von uns gesetzten Termin an. Danach nehme ich die Verteilung der Lesungen vor – im Jahr 2022 waren es insgesamt 48 –, wobei ich versuche, möglichst viele Wünsche zu erfüllen und gleichzeitig alle Kolleginnen und Kollegen angemessen zu berücksichtigen. Sobald Schulen oder Klassen die Zusage von uns haben, können sie den Termin und alles Weitere direkt mit den Übersetzenden ausmachen, die zu ihnen kommen. Manche Kolleginnen und Kollegen wollen Bilder zu ihren Texten zeigen, andere etwas auf eine Flipchart schreiben, die meisten brauchen zumindest ein Glas
Wasser. Und alle freuen sich über ein inspirierendes und interessiertes Publikum.
Kontakt:
Heike Brandt
Tel. +49 30 7854124
heike.brandt@kreuzberg75.de
www.weltlesebuehne.de