Ein Gespräch mit Angelika Sauermann, Kindertagespflegeperson und Vorsitzende des Landesverbands Kindertagespflege e.V., über die Vorteile der Betreuung in kleinen Gruppen und die Folgen der Corona-Pandemie anlässlich des 7. Tages der offenen Tür der Berliner Kindertagespflege.
Frau Sauermann, wie dürfen wir uns Ihre Kindertagespflegestelle vorstellen?
Ich arbeite mit einem Kollegen im Verbund, gemeinsam betreuen wir zehn Kinder im Alter von eins bis sechs Jahren, wobei jeder von uns entsprechend der Pflegeerlaubnis fünf Kinder unter Vertrag hat. Wir haben drei große Räume auf circa 120 Quadratmetern. Ein Raum dient als Bastelraum mit Tischen und einem großen Materialschrank. Darin befindet sich auch eine Hochebene für ältere Kinder inklusive Bällebad. Im zweiten Raum befindet sich ein Kletterregal für alle Altersgruppen, in dem auch unser Morgenkreis und Bewegungsspiele stattfinden. Der dritte Raum dient als Schlafzimmer, wird vor und nach der Mittagsruhe aber auch für sportliche Aktivitäten genutzt werden. Wir haben eine eigene Küche, in der wir täglich frisch kochen und gemeinsam essen.
Wann und warum haben Sie entschieden, sich als Kindertagespflegeperson selbständig zu machen?
Ich arbeite seit 1984 – kurz nachdem mein zweites Kind geboren wurde – in der Kindertagespflege. Diese Arbeit hat mir von Anfang an viel Spaß gemacht. Als 1990 Zwillinge dazukamen, wollte ich für meine Kinder da sein, aber auch weiterarbeiten können. Das war hier möglich. Deshalb sehe ich meine Tätigkeit auch als Berufung, die ich mit meiner privaten Situation verbinden kann. Das hat mich motiviert, mich in der Kindertagespflege weiterzuentwickeln. Ich habe die Pflegeelternschule absolviert, um auch Kinder mit besonderen Betreuungsbedarf aufnehmen zu können, und die Anerkennung als staatlich anerkannte Erzieherin nachgeholt. Ins Betreuungsfeld der selbständigen Kindertagespflege bin ich hineingewachsen. Und weil mir die Belange der Kindertagespflege sehr wichtig sind, engagiere ich mich im Landesverband.
Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile der Kindertagespflege?
Aus Sicht der Kindertagespflegeperson ist es ein großer Vorteil, nicht von einem großen Team und Träger abhängig zu sein. Man kann auch mal individuell einen Tagesplan ändern, wenn es die Umstände erfordern. Diese individuelle und flexible Alltagsplanung macht die Arbeit interessant. Die Familien, mit denen man zusammenarbeiten will, kann man sich zudem meist selbst aussuchen. Kindertagespflegepersonen sind in der Regel sehr motivierte und engagierte Personen, weil sie eine gute Betreuung bieten wollen.
Woran können sich Eltern orientieren, wenn sie unschlüssig sind, ob sie ihr Kind in einer Kita oder in einer Kindertagespflegestelle betreuen lassen wollen?
Die Kindertagespflege ist eine der zwei Säulen in der Berliner Kindertagesbetreuung und ein gleichwertiges Betreuungsangebot zu den Kitas, mit den gleichen Kosten für die Eltern. Die können sich frei für eine der beiden Betreuungsformen entscheiden. Ich sehe in der Kindertagespflege für die Familien aber fast nur Vorteile: die Kindertagespflege ist individuell, professionell und familiennah. Das Kind kann sich auf eine kontinuierliche Bezugsperson verlassen, bei der es sich durch die enge Bindung optimal entwickeln und ausprobieren kann. Durch die fachliche Kompetenz, Empathie und Zuverlässigkeit von Kindertagespflegepersonen können sich Eltern sicher sein, ihr Kind in gute Hände zu geben.
Wie haben Sie die vergangenen zwei Jahre als Kindertagespflegeperson erlebt?
Kindertagespflegepersonen sind in den vergangenen zwei Jahren vor große Herausforderungen gestellt worden. Die Angst vor einer Ansteckung haben sie jeden Tag in Kauf genommen, insbesondere im privaten Haushalt mit Familienangehörigen. Und weiterhin ist eine Ansteckung mit all ihren existenziellen Folgen möglich. Das belastet Kindertagespflegepersonen in ihrer Selbständigkeit sehr. Die enormen Anforderungen der Hygiene- und Schutzmaßnahmen haben zudem viel Zeit und finanzielle Mittel in Anspruch genommen.
Wie hat sich die Pandemie auf die Kinder und Ihre Arbeit ausgewirkt?
Durch das Wegfallen von pädagogischen Angeboten haben die Kinder wesentliche Tagestrukturen verloren, die den Wochenalltag begleiteten. Spielplätze konnten zeitweise auch nicht besucht werden. Die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne von Kindern hat in dieser Zeit sehr abgenommen. Diese wiederaufzubauen bedarf einer intensiven Förderung. Manche Kinder, die nicht aus systemrelevanten Familien kamen, durften die Kindertagespflegestelle nicht betreten. Dadurch verloren sie sämtliche sozialen Kontakte. Schon erreichte Sozialkompetenzen wurden wieder abgebaut. Kontaktaufnahme zu fremden Personen, etwa bei der Eingewöhnung, verläuft gerade viel schwieriger. Einige Kinder hatten Schlafprobleme, das haben wir natürlich auch im Alltag bemerkt. Und letztlich hat sich auch die intensive Zusammenarbeit und der Austausch mit den Eltern verändert, weil die Übergabe der Kinder immer schnell gehen musste.
Als Vorsitzende des Landesverbandes Kindertagespflege in Berlin kennen Sie Ihre Branche. Wie geht es Ihren Kolleg:innen nach zwei Jahren Corona-Pandemie?
Leider müssen wir feststellen, dass sich die Zahl der Kindertagespflegepersonen und der von ihnen betreuten Kinder reduziert hat. Hatten wir Ende 2019 noch über 1.600 Kindertagespflegepersonen in Berlin, sind es jetzt weniger als 1.500. Wir wissen, dass viele Kollegen/-innen aus Angst vor Ansteckung aufgehört haben. Wir wissen auch, dass einige Kindertagespflegepersonen mit Long Covid kämpfen müssen. Das in die Kindertagespflegestelle zu integrieren, fordert den Betroffenen sehr viel ab. Dadurch haben meine Kolleg/-innen große Zukunftsängste, weil sie nicht wissen, wie sich alles entwickelt.
Mit den Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine folgt nun nahtlos die nächste Herausforderung. Wie gehen Sie und Ihre Kolleg/-innen damit um?
Es gibt in der Kindertagespflege viele betreute Kinder mit Migrationshintergrund. Grundsätzlich besteht die Bereitschaft, Kinder aus der Ukraine zu betreuen. Ich weiß, dass es bei einigen Kollegen/-innen schon Anfragen gab und Kinder aus der Ukraine aufgenommen wurden. In manchen Fällen hören wir von vernetzten Kollegen/-innen, die die russische Sprache sprechen, die dann die Kindertagespflegeperson und die ukrainischen Familien unterstützen.
Was lieben Sie an Ihrem Beruf am meisten?
Die tägliche Herausforderung und die Unterschiedlichkeit der Kinder. Ich freue mich, wenn Kinder mit Spaß und Begeisterung lernen und sich entwickeln können. Es ist mir wichtig, dass Kinder glücklich und zufrieden sind. Die Eltern sollen spüren und wissen, dass es ihrem Kind bei mir gut geht. Den Kindern biete ich eine liebevolle Atmosphäre. Die immer neuen Herausforderungen, um den Alltag zu meistern, machen die tägliche Arbeit interessant. Ich halte mich sehr gerne in der Natur auf. Dass ich in meinem Beruf pädagogische Angebote im Freien sowie viele Ausflüge machen kann, macht meine Arbeit besonders schön und wertvoll.