Es wird folgender Beschluss gefasst:
Sachverhalt:
Sehr geehrter Herr Bezirksverordnetenvorsteher,
die Bezirksverordnete Marion Kheir (Die Linke) hat gemäß § 26 GO BVV die folgende Kleine Anfrage gestellt:
„Ich frage das Bezirksamt“:
- Welche quantitativen Kriterien liegen im bezirklichen Jugendamt der Entscheidung zum Anspruch auf Unterhaltsvorschuss bei Alleinerziehenden zu Grunde und ab wann?
2. Ist es zulässig, ein Gerichtsurteil für einen konkreten Einzelfall (VG Berlin vom
27.09.2016 (21K111.16) auf andere Fälle anzuwenden, ohne dass eine
höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zu vergleichbaren
Fallkonstellationen vorliegt?
3. Wie genau erfolgt die Prüfung der qualitativen Kriterien im Einzelfall, bei welchem
Elternteil der Lebensmittelpunkt des Kindes und somit die überwiegende
Erziehungsverantwortung und Befriedigung der elementaren Lebensbedürfnisse liegt?
4. Wie werden die faktische Betreuungsintensität und andere Aspekte (z. B. Geldgaben)
bei der Einzelfallprüfung berücksichtigt?
5. Wie wird somit die Richtlinie zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes
beachtet?
6. Ist das neue Unterhaltsvorschussgesetz, das am 01.07.2017 in Kraft treten sollte,
inzwischen in Kraft?
7. Liegt in diesem Zusammenhang eine Anpassung der Richtlinien zur Durchführung des
Unterhaltsvorschussgesetzes im Vergleich zur Richtlinie des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der Fassung vom 16. Juli 2015 (Stand
11/2015) vor?
8. Ist darin ggf. eine neue Definition von "alleinerziehend" vorgenommen worden?
9. Wie sieht das Jugendamt Reinickendorf einschließlich der Unterhaltsvorschussstelle
seine Rolle bei der Unterstützung von Alleinerziehenden?
10. Was ist nach Auffassung des Jugendamtes der Unterschied zwischen der Funktion von
Wohngeld und der Funktion von Kindesunterhalt?
Die Kleine Anfrage wird wie folgt beantwortet:
Zu Frage 1:
Im Unterhaltsvorschussgesetz sind keine quantitativen Kriterien zur Entscheidung des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss festgelegt.
Die Anspruchsvoraussetzungen, die das Land Berlin, vertreten durch die Unterhaltsvorschussstelle in den Bezirken zu prüfen hat, ergeben sich aus § 1 UVG.
Zu Frage 2:
Die Unterhaltsvorschussstellen arbeiten auf Grundlage des Unterhaltsvorschussgesetzes, sowie der durch das Bundesfamilienministerium herausgegebenen Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes. Die Richtlinien dienen einer möglichst einheitlichen Arbeitsweise der Jugendämter, stellen jedoch kein Gesetz dar.
In den bis zum 31.12.2017 geltenden Richtlinien gab es unter der Nr. 1.3.1 einen Hinweis des Bundesministeriums auf ein Verwaltungsgerichtsurteil (VG Berlin, Urteil vom 27.09.2016, Aktenzeichen 21 K 111.16), der zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen „alleinerziehend“ herangezogen werden sollte.
In den Richtlinien in der ab 01.01.2018 geltenden Fassung wurde dieser Hinweis durch das Bundesministerium gelöscht und um den Satz: “Lebt das Kind bis zu einem Drittel der Zeit beim anderen Elternteil, ist jedenfalls Alleinerziehung gegeben“, ergänzt.
Zu Frage 3:
Die Prüfung im Rahmen der Einzelfallentscheidung „alleinerziehend“ im Sinne des §1 Abs. 1 Nummer 2 UVG erfolgt ausführlich durch persönliche oder schriftliche Befragung der Beteiligten. Betreut der andere Elternteil das Kind zu mehr als einem Drittel und weniger als hälftig (50%), erfolgt im Rahmen einer Einzelfallentscheidung eine Würdigung aller Umstände hinsichtlich der Betreuungszeiten sowie der überwiegenden Erziehungsverantwortung.
Zu Frage 4:
Die faktische Betreuungsintensität und unterhaltsrelevante Leistungen, die sich aus den Richtlinien Nrn. 1.5.6 ff. ergeben, werden einer Einzelfallprüfung unterzogen. Bei der Beantragung der Leistung auf Unterhaltsvorschuss gilt neben der Vorlage von Nachweisen das Erklärungsprinzip.
Zu Frage 5:
Die Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes dienen der Gewährleistung einer bundeseinheitlichen Verwaltungspraxis.
Zu Frage 6:
Mit Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 17.08.2017 ist das „Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse
oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz)“ rückwirkend zum 01.07.2017 in Kraft getreten.
Zu Frage 7:
Zum 01.07.2017 erfolgte eine Anpassung der Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes, geändert durch Artikel 23 des Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften vom 14. August 2017 in der ab 01.07.2017 geltenden Fassung.
Zum 01.01.2018 erfolgte eine Anpassung der Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes zuletzt geändert durch Artikel 23 des Gesetzes vom 14.08.2017 (BGBl. I S. 3122) in der ab 01.01.2018 geltenden Fassung.
Zu Frage 8:
Nein, es gibt in den Richtlinien vom 01.01.2018 keine neue Definition von „alleinerziehend“.
In der aktuellen Richtlinie vom 01.01.2018 wurde der einschränkende Hinweis auf das Verwaltungsgerichtsurteil VG Berlin, VG Urteil vom 27.09.2016, AZ 21 K 111.16, gelöscht und um den Satz: “Lebt das Kind bis zu einem Drittel der Zeit beim anderen Elternteil, ist jedenfalls Alleinerziehung gegeben“, ergänzt.
Siehe auch Antwort zu Frage 2.
Zu Frage 9:
Die Unterhaltsvorschussleistung ist eine Unterhaltsersatzleistung, sie stellt für alleinerziehende lediglich eine monetäre Unterstützung dar.
Innerhalb des Jugendamtes Reinickendorf ist eine Unterstützung der Alleinerziehenden bezüglich der Feststellung der Vaterschaft sowie der Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen durch die Kindschaftsrechtliche Beratung und Vertretung, Bereich Beistandschaften, gegeben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unterhaltsvorschussstelle des Jugendamtes Reinickendorf verweisen bei Antragstellung auf diese Möglichkeit.
Zu Frage 10:
Der Unterhaltsanspruch eines Kindes ist ein zivilrechtlicher Anspruch gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der gegen den anderen Elternteil, der seiner Unterhaltsverpflichtung nicht durch Pflege und Erziehung nachkommt, geltend gemacht und vor dem Familiengericht durchgesetzt werden kann.
Das Wohngeld ist ein öffentlich-rechtlicher Leistungsanspruch (Verwaltungsakt), der bei Vorliegen der Voraussetzungen als Leistung für eine Haushaltsgemeinschaft gewährt und vor dem Verwaltungsgericht durchgesetzt werden kann.
Wohngeld ist von seiner Zweckbestimmung ein Zuschuss zur Miete (§ 1 Wohngeldgesetz). Es soll die Aufwendungen für die Mietkosten zum Teil senken.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Bezirksverordnetenvorsteher, diese Antwort an die Bezirksverordnete Marion Kheir (Die Linke) weiterzuleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Frank BalzerTobias Dollase
BezirksbürgermeisterBezirksstadtrat
Vertagung