FAQ - Häufig gestellte Fragen zum Afrikanischen Viertel

Warum gibt es ein Projekt zum Afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding?

Rednerin auf der Kick-off-Veranstaltung

Rednerin bei der Kick-Off-Veranstaltung zum Projekt Afrikanisches Viertel im April 2013

Am 19.6.2012 wurde vom Bezirksamt Mitte auf der Basis der Zukunftswerkstatt Parkviertel vom 23. März 2012 die Programmmittelverwendung 2013 Aktionsraum
plus mit der integrierten Maßnahme „Lern- und Erinnerungsorte Parkviertel“ beschlossen.

Mit Drucksache Nr. 2110/III „Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel“ forderte zuvor am 19.5.2011 die Bezirksverordnetenversammlung Berlin
Mitte das Bezirksamt auf, „einen Prozess einzuleiten, das Afrikanische Viertel zu einem Lern- und Erinnerungsort über die Geschichte des deutschen Kolonialismus,
seiner Rezeptionsgeschichte sowie über den Unabhängigkeitskampf der Afrikanischen Staaten zu machen und den Senat von Berlin aufzufordern, eine
Kommission unter Beteiligung interessierter Personen und Organisationen zur Entwicklung eines Konzeptes für einen Lern- und Erinnerungsort Afrikanische Viertel
als Beginn einer gesamtstädtischen Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus einzusetzen.“

Anfang 2013 stimmte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt einer Verwendung von Mitteln aus dem Programm AktionsraumPlus für das
Projekt Lern- und Erinnerungsort zu.

zurück zur Hauptseite “Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel”:

Was haben Straßennamen mit Kolonialgeschichte zu tun?

Mit seinen Straßennamen erinnert das Afrikanische Viertel in Berlin-Mitte an verschiedene Phasen der deutschen Geschichte, die vom Streben nach Eroberung und Ausbeutung des afrikanischen
Kontinents geprägt waren. So wurden hier im Wedding während der Zeit des deutschen Kaiser- und Kolonialreichs – aber auch noch lange nach dessen Ende 1918/19 – zahlreiche Straßen nach dem von Deutschland beanspruchten oder begehrten „Kolonialbesitz“ in Afrika und nach seinen „Begründern“ benannt. In über 50 Jahren zwischen 1899 und 1958 sind für Straßen und Plätze im Afrikanischen Viertel immer wieder Namen mit Afrika- und Kolonialbezug ausgewählt worden. Insofern spiegelt die Geschichte des Viertels den Blick auf den afrikanischen Kontinent aus vier Epochen
deutscher Geschichte wider. An das Afrikanische Viertel schlossen sich weitläufige Grünflächen und Wälder an: Die Rehberge und die Jungfernheide. In den Rehbergen plante Carl Hagenbeck die entwürdigende Ausstellung von Menschen aus Kolonien in so genannten Völkerschauen.* Als formale Kolonialmacht trat Deutschland vergleichsweise spät auf die weltgeschichtliche Bühne und im Bewusstsein vieler Deutschen spielt die koloniale deutsche Vergangenheit eine nachgeordnete Rolle, was der Bedeutung und dem Ausmaß des deutschen Kolonialismus nicht gerecht wird, denn der Kolonialismus war ein gesamteuropäisches Phänomen und als solches waren immer auch Deutsche daran beteiligt.** Auf Einladung des damaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck kamen 1884/85 die Gesandten der europäischen Mächte, der USA und des Osmanischen Reichs in Berlin zusammen, um sich über die weitere Kolonialisierung Afrikas durch die Europäer zu verständigen.

*Am 8.6.2012 wurde eine Stele zur Erinnerung an die kolonialgeschichtliche Vergangenheit des Afrikanischen Viertels am U-Bahnhof Rehberge in Berlin-Wedding aufgestellt. Die beiden Texte auf dieser Stele dokumentieren die Sichtweisen der Nichtregierungsorganisation und der BVV. Dieser Abschnitt zitiert aus beiden Texten. **Eine gute Einführung in den aktuellen Forschungsstand zur Geschichte des europäischen und deutschen Kolonialismus sowie der damit verbundenen Erinnerungskultur geben die Beiträge in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ 44–45/2012)

zurück zur Hauptseite “Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel”:

Welche Aktualität hat der historische Kolonialismus für uns heute?

Diskussion auf der Kick-Off-Veranstaltung

Diskussionsteilnehmer/-innen bei der Kick-Off-Veranstaltung zum Projekt Afrikanisches Viertel

Das letzte halbe Jahrtausend europäischen Kolonialismus’ haben das Denken und das Weltbild in der westlichen Welt in nachhaltiger und tiefgreifender Weise geprägt. Während in den vergangenen 500 Jahren in den europäischen Staaten im Wege eines umfassenden emanzipatorischen Prozesses zunehmend Verfassungen und Menschenrechte durchgesetzt wurden, überwog Gewalt, Zwangsarbeit, Rassismus und die Missachtung von Rechten den Alltag und das Leben in den europäischen Kolonien. Der transatlantische Sklavenhandel zwang viele Millionen Afrikaner in die
Sklaverei und der Kolonialismus brachte Millionen von Menschen in Afrika den Tod.

Die koloniale Herrschaft in Afrika wurde durch eine Zivilisationsideologie gerechtfertigt, die besagte, dass „die kolonisierten Afrikaner zu primitiv seien, um sich selbst regieren zu können, jedoch zur Besserung fähig“.* Zivilisierung im Gewand des Kolonialimus, so das Rechtfertigungsschema, tat daher Not.**

In Stereotypen wie „Wilde“ und „Zivilisierte“ sowie in Diskursen über Chaos und Schmutz, Entwicklung und Modernität, Rationalität und Natürlichkeit liegen die
langwierigsten Folgen des Kolonialismus.5 So deuten beispielsweise noch heute viele Menschen die Entwicklung der Welt aus eurozentristischer Perpektive und betrachten nichteuropäische Kulturen als minderwertig oder als eine Vorstufe der
europäischen Kultur.

Ein noch wirksamer, alltäglicher Rassismus gegen Menschen afrikanischer Herkunft hat seine Wurzeln im Kolonialismus und im transatlantischen Sklavenhandel, an dem eben auch das Deutsche Kaiserreich beteiligt war. Bei dem hier in Rede stehenden Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel soll es daher
nicht nur um einen „Erinnerungsort“ für deutsche Kolonialpolitik vergangener Zeiten gehen , sondern auch darum, das verborgene Fortleben kolonialer und rassistischer Denkmuster zu entschlüsseln und aufzuarbeiten, denn nur so entfaltet der „Erinnerungsort“ seine Wirkungen als „Lernort“.

*Andreas Eckert: Rechtfertigung und Legitimation von Kolonialismus in: APuZ 44–45/2012, S.30-38 **ebd.

zurück zur Hauptseite “Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel”:

Welche Aktivitäten zum Afrikanischen Viertel hat es bisher gegeben?

Auf Initiative der Vereine der Afrikanischen Community Global Afrikan Congress, Afrikarat und Internationale Liga für Menschenrechte begann 2004 ein Prozess in der Bezirksverordnetenversammlung
(BVV) Mitte, den deutschen Kolonialismus aufzuarbeiten. Zunächst ging es um die Forderung der Entfernung von rassistischen und den Kolonialismus verherrlichenden Straßennamen. Daraufhin folgte eine lange und kontroverse Debatte in der BVV und ihren untergeordneten Gremien, woraufhin die BVV ein Forum „Kolonialismus und Rassismus im öffentlichen Straßenbild des Bezirks Mitte von Berlin“ gründete, um die begonnene Debatte zu vertiefen und auf das Afrikanische Viertel auszuweiten und in die Öffentlichkeit zu tragen. Das Forum nahm seine Arbeit auf, lud Experten zu seinen
Sitzungen ein und diskutierte über deutschen Kolonialismus, dessen Hauptakteure und Begründer der deutschen Kolonien, insbesondere über die, die im Bezirk mit Straßennamen geehrt wurden.

Später gründete sich das „NGO-Bündnis“, das aus Afrika-Rat, Africavenir, Berlin Postkolonial und Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag (BER) bestand. Dieses Bündnis leistete eine langwierige
Arbeit in der BVV und ihren Gremien, die zur Errichtung einer Gedenk-Stele am 8. Juni 2012 führte.

zurück zur Hauptseite “Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel”:

Was ist neu an dem Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel?

Teilnehmer der Kick-Off-Veranstaltung

Teilnehmer an der Kick-Off-Veranstaltung präsentiert die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe

In Weiterentwicklung der bisherigen Projekte zum Thema soll das Projekt des Amtes für Weiterbildung und Kultur zusammen mit der Schwarzen Community* und unter Einbeziehung von Institutionen und Gruppen im Quartier sowie mit Beratung wissenschaftlicher Experten gestaltet werden. Die Einbeziehung der Institutionen vor Ort soll den sozialen Zusammenhalt in der Nachbarschaft stärken und das quartierbezogene Image qualifizieren.

Beim Erinnern an die koloniale Vergangenheit geht es im Kern also nicht einfach nur um die Frage einer Aufarbeitung von Geschichte, sondern darum, Deutschlands Kultur zu dekolonialisieren und das hängt nicht zuletzt „von der Struktur der deutschen Kultur- und Wissenschaftslandschaft ab. Solange ihre Institutionen noch am Anfang interkultureller Öffnungsprozesse stehen, ist die Antwort absehbar.“ **
Die Perspektiven von Schwarzen Menschen errreichen bisher „im Regelfall nur Amateur- oder Betroffenenstatus.“ ***

Ebendies soll in diesem Projekt aufgebrochen werden, indem Partizipation in Richtung Schwarzer Community und in Richtung zivilgesellschaftlicher Akteure vor Ort gelebt werden soll. Daher gilt für dieses Projekt: Dekolonialisierung ist
Ziel und Weg zugleich.

~*Sollen Begriffe wie „weiß“ und „schwarz“ eine politische Kategorie mit rassenkonstruktivistischer Bedeutung ausdrücken, wird die Großschreibung verwendet.

~**Kien Nghi Ha: Die fragile Erinnerung des Entinnerten, Essay,in: APuZ 44–45/2012, S.54

~***ebd.

zurück zur Hauptseite “Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel”:

Wie wird in dem Projekt gearbeitet?

Im Rahmen von AktionsraumPlus soll das Projekt auf der Ebene der Bezirksverwaltung fachübergreifend arbeiten und auf der Ebene des Stadtraums gemeinsam mit den Nichtregierungsorganisationen und den Institutionen vor Ort Lösungen finden.

Im Amt für Weiterbildung und Kultur wurde ein Projektkoordination eingerichtet, die in enger Abstimmung mit den Fachbereichen des Amtes und anderen Bereichen des Bezirksamtes wie Jugendamt, Natur- und Glünflächenamt und anderen den Gesamtprozess koordiniert. Nach einem öffentlichen Interessebekundungsverfahren wurde für diese Koordinationsaufgabe der Politologe Yonas Endrias ausgewählt.

Erste und zweites Quartal 2013
Nach einer Phase der ersten Kontaktaufnahme mit allen Akteuren in der Bezirksverwaltung und mit Instituionen und Personen, die zu diesem Thema arbeiten, wird es eine zentrale
Eröffnungsveranstaltung des Projekts in Form einer „Kick-off-Veranstaltung zum Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel“ geben, auf der Ideen und Schwerpunkte zur Umsetzung des Projekts herausgearbeitet und die Erwartungen aller Beteiligten abgefragt und dokumentiert werden sollen. Hier sollen auch Kriterien für die Auswahl von Projekten gemeinsam entwickelt und festgelegt werden, sodass eine größtmögliche Transparenz gegeben ist. Über die Auswahl der Projekte entscheidet das Amt für Weiterbildung und Kultur, das in diesem Zusammenhang keine Interessensträger sind.

Das Spektrum denkbarer Projekte geht von Veranstaltungen wie z.B. Workshops, Vorträge, Lesungen, Stadtteilfeste, Rundgänge, Zukunftswerkstätten, Konferenzen, Projekttage oder Themenwochen über Formen einer internetbasierten Informationsbereitstellungen wie z.B. virtuelle Stadtrundgänge über Apps, QR-Codes vor Ort oder die Erstellung und/oder Anmietung von Ausstellungen bis hin zur Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien für Eltern und Kinder in Schulen und Kitas.

Drittes und viertes Quartal 2013
Nach der Eröffnungsversanstaltung wird ein Gremium zur laufenden Mitwirkung für alle Beteiligten geschaffen: der „Jour fixe Lern- und Erinnerungsort“. Dieses Gremium soll in regelmäßigem Rhythmus die Vernetzung der Akteure untereinander sicherstellen und eine optimale Partizipation gewährleisten. Die Beteiligten am Jour fixe erhalten regelmäßige Berichte über den Stand des Gesamtprojekts.

Das Amt für Weiterbildung und Kultur richtet einen Fachbeirat ein, der es in fachlich inhaltlichen Fragen berät. Über die Vergabe entscheidet das Amt für Weiterbildung und Kultur.

Eine weitergehende Festlegung der Projektphasen wurde nicht vorgenommen, um den Ergebnissen der „Kick-off-Veranstaltung zum Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel“ nicht vorzugreifen.

Text: Yonas Endrias, Michael Weiß

zurück zur Hauptseite “Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel”: