Seit vielen Jahren kooperiert die vhs Tempelhof-Schöneberg erfolgreich mit dem Theater Strahl. Das Theater Strahl wurde 1987 als freie Theatergruppe gegründet und spielt seit 1990 auf zwei festen Bühnen im Bezirk Schöneberg und seit 2013 auch am Ostkreuz. Das Ensemble hat sich insbesondere der künstlerischen Arbeit mit Jugendlichen verpflichtet und ist als Kulturbetrieb im Bezirk Schöneberg fest verwurzelt.
Spiegelreflex
Bild: Sara Klatt
Das „Ensemble Angestrahlt“ ist der Theater-JugendClub des Hauses und wird gemeinsam von Theaterpädagog*innen und Kursleitungen der vhs geleitet. Jedes Jahr im Herbst bildet sich eine neue Gruppe, oft mit neuer Leitung und mit unterschiedlichen künstlerischen und thematischen Schwerpunkten.
So auch im Herbst 2021: Gerade als sich einige Jugendliche im Probenraum zu den ersten Proben trafen, meldeten sich die „Omas on stage“ – eine Untergruppe der bundesweit aktiven Plattform „Omas gegen rechts“ – mit dem Wunsch nach einem gemeinsamen Projekt. Nachdem der TheaterJugendClub positiv auf die Anfrage reagiert hatte, konnten die Proben mit Alt und Jung beginnen.
Bild: Sara Klatt
Rasch entschied sich die Gruppe für das Leitthema „Spiegeln“. Im Fokus stand die Frage: Wie können sich Generationen gegenseitig einen Spiegel vorhalten? Grundlage bildeten die Erkenntnisse zu den Spiegel- oder Empathieneuronen. Sie wurden in den 1990ern im Rahmen eines Experiments entdeckt und sorgen kurz gesagt dafür, dass wir Aktionen erkennen und das Verhalten unseres Gegenübers inhaltlich nachvollziehen können.
In den wöchentlichen Proben näherten sich die Darsteller*innen diesem Thema und erarbeiteten eine künstlerische Umsetzung. Sie übten, sich synchron zu bewegen, sie lernten einander kennen, entdeckten Unterschiede und Gemeinsamkeiten, sie lernten sich gegenseitig zu spiegeln.
Durch die große Altersspanne des Ensembles (14 bis 87 Jahre) wurden die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Teilnehmenden schnell zum Alltag: Die Senior*innen lernten, den Leistungsdruck der Jugendlichen zu verstehen oder dass sie trotz ihrer Jugend oft müde und wegen vieler Prüfungen in der Schule überfordert sind.
Bild: Sara Klatt
Die Jugendlichen wiederum berücksichtigten körperliche Einschränkungen der Älteren beim Tanzen, Lesen oder Hören. Die Lage der Pandemie führte zudem zu vielen Gesprächen darüber, wie aufeinander Rücksicht genommen werden könnte: Beschwerliches Atmen unter der Maske bei starken Bewegungen, regelmäßige Tests, der Impfstatus und Risikofaktoren spielten eine besondere Rolle.
Aber auch unterschiedliche religiöse Prägungen und Hobbys oder verschiedene Musikgeschmäcker führten zu angeregten Diskursen und neuen Perspektiven. Und natürlich ging es auch immer wieder um das Alter: Welche Vor- und Nachteile hat es, jung oder alt zu sein? Aus Sicht der Kursleitung war vor allem der alltägliche Umgang miteinander hilfreich, um Methoden und Anleitungshaltungen zu überprüfen. Denn viele Barrieren werden erst bewusst, wenn man die Situation selbst erfährt oder miterlebt.
Bild: Sara Klatt
Die Senior*innen beschrieben die Probezeiten als einen wichtigen Energieschub, der gute Laune und alltagsfit machte. Bei den Jugendlichen wurde spürbar, wie sehr sie es schätzten, mit älteren Menschen in Kontakt zu sein, die nicht ihre Verwandten oder Pädagog*innen sind. In der wichtigen Phase des Erwachsenwerdens erhielten sie so eine größere Auswahl vorgelebter Lebenswege, die zum Beispiel bei der Beantwortung von relevanten Identitätsfragen wie „Wie will ich leben?“ unterstützend wirken kann.
„Spiegelreflex“ feierte am 23.4.2022 in der Probebühne des Theater Strahl Premiere und hatte nach der Premiere noch zwei weitere erfolgreiche Vorstellungen. Das nächste Projekt steht bereits in den Startlöchern: Der TheaterJugendClub der Spielzeit 2022/2023 wird ein inklusives Projekt sein. Die Arbeiten daran beginnen im September 2022 unter der Leitung von Jannina Brosowsky.
Formate: video/youtube