Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, dass dieser Begriff nur positive Emotionen wecken kann. Wie sieht es aber in Bezug auf den Deutschunterricht aus?
Ich unterrichte seit fast 20 Jahren Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Da meine Kursteilnehmenden aus allen Kulturen und Ländern der Welt stammen, erlebe ich Vielfalt – besonders im gesellschaftlichen und kulturellen Sinne – in jedem Unterricht. Meine Erfahrungen mit Vielfalt sind überwiegend positiv. Es gibt nichts Schöneres als eine Gruppe, in der jede*r Kursteilnehmer*in aus einem anderen Land kommt. Der Deutschunterricht bietet die Möglichkeit, nicht nur die Sprache zu lernen, sondern auch Sitten und Bräuche, Alltagskultur, Musik, Kino, Geschichte oder sogar Kochrezepte verschiedener Länder kennenzulernen. Im Idealfall erlebt man mit solch einer bunten Mischung viel Positives und lernt voneinander.
Manchmal assoziiere ich Vielfalt aber auch in negativem Sinne. Und zwar immer dann, wenn es um schwierige Lebenserfahrungen meiner Schüler*innen geht.* In den letzten Jahren habe ich viele tragische Geschichten gehört.* Eines der Schicksale möchte ich hier schildern. Es ist die Geschichte von Marzieh; Schülerin in einem berufsbezogenen B2-Sprachkurs, die im letzten Jahr erfolgreich die telc B2 Prüfung bestanden hat.
„Ich musste vor sieben Jahren aus dem Iran nach Deutschland fliehen,“ erzählte Marzieh. „Ich habe meinen Mann verlassen, da er mich regelmäßig erniedrigt und geschlagen hatte. Außerdem wollte ich nicht mehr muslimisch sein, sondern katholisch werden. Im Iran ist es aber verboten, da die Frauen solche Entscheidungen nicht treffen dürfen.“ Marzieh betonte, dass sie in Deutschland Ruhe und Glück gefunden habe. „Die Erinnerungen werden für immer in mir bleiben, aber ich freue mich darüber, dass ich hier andere Menschen mit ähnlichen Erfahrungen kennengelernt habe. Wir tauschen uns regelmäßig aus und diskutieren über gute und schlechte Erlebnisse.“ Weiter beschrieb sie: „Ein Freund von mir kommt aus Afghanistan. Er ist homosexuell. Als seine Eltern es erfuhren, wollten sie ihn töten.
Er musste fliehen und hat es nach vier Monaten geschafft, nach Deutschland zu kommen. Ich habe zusammen mit ihm am Integrationskurs teilgenommen. Als er seine Geschichte im Unterricht erzählte, zeigte sich, dass es in unserer Gruppe viele gab, deren Verwandte und Bekannte ähnliche Erlebnisse hatten. Dieses Thema wurde mehrmals während des Unterrichts diskutiert“, ergänzt Marzieh.
So negativ die Erlebnisse von Marzieh und ihrem Schulfreund sind, tragen sie doch dazu bei, dass die Teilnehmer*innen des Deutschunterrichts über Themen wie Frauenrechte, Ausgrenzung oder Homosexualität diskutieren und sich darüber austauschen. Auch das ist Vielfalt und zeigt, dass der Deutschunterricht nicht nur dazu dient, die Sprache zu erlernen, sondern auch eine Schlüsselrolle bei der Integration spielt.