1,5 Meter
1,5 Grad
1,5 Atomkoffer
2 x 1,5 Atomkoffer
Ich meine, jetzt kommt ja hoffentlich nächste Woche nicht noch was. Ich meine, was soll denn eigentlich noch kommen? Atomare Bedrohung haben wir, Klimakatastrophe haben wir. Pandemie haben wir – es kann nur noch ein Meteorit, Außerirdische – es kann höchstens Gott zu uns wirklich, persönlich sprechen. Oder du kommst zu mir zurück.Da würde ich heulen, sofort.Ja, also weißt du, das mein ich. Das ist doch noch alles drin!
Ich seh die zukünftigen Generationen nicht, ich seh die Gesichter nicht, die ja sofort ein Gesprächsangebot wären. Aber es könnte sein, dass mich das Ganze an etwas erinnert: Ich seh dich ja auch nicht. Eine Rakete, ein Krieg, der mir sagt, ich kann nicht mehr nur über uns beide reden. Aber ist in deinem Gesicht nicht, und in dem Gesprächsangebot das es mir sofort macht, SOFORT, die Gerechtigkeit, Mitleid, Liebe auch für abstrakt bleibende künftige Generationen aller Wesen auf diesem Planeten zu finden?
Vor einem Kind sitzend, erwägt man vielleicht wenigstens eine oder zwei zukünftige Generationen, warum nicht eine dritte und vierte, die diese Augen nicht mehr sehen wird? Und eine fünfte, die nie von uns gehört hat? Ist es unvorstellbar? Oder aus welcher Enge unserer Selbstsucht müssten wir da heraus, um das zu verstehn?
Hat von denen, die noch nicht geboren sind, überhaupt jemand noch Lust, sein Gesicht, seinen Körper so sehr in diese Welt zu setzen, so sehr, dass man nicht an ihm vorbeikommt? Wird sich von den Ungeborenen noch jemand aufmachen wollen, um hier zu stören? Wird irgendeine DNA noch die unvorstellbar unendlichen Kopiervorgänge auf sich nehmen wollen, um sich aus dem Fenster zu lehnen?
Man muss die Zukünftigen die Welt mitgestalten lassen. Sie werden sicher nicht das sein, was wir erwartet haben, und deshalb sollten wir auch nicht das sein, was sie grobfahrlässig dann erwartete.
So wie es jetzt ist, ist die Zukunft vorhersehbar. Man müsste sie wieder unvorhersehbar machen. Wir sollten wieder das werden: die zukünftige Generationen höflich Fragenden. So wie es jetzt ist, ist die Zukunft ein ausgetretener Pfad.
Meine Therapeutin hat ja auch gesagt: Du kommst nicht wieder. Und sie kennt ja alle Geschichten mit dir. Und ich soll mich statt um dich, jetzt lieber um mich selber kümmern. Aber ich denke mal, das lässt sich genauso gut umbiegen auf zukünftige Generationen. Ich weiß ja, wie es ist, in Gesichter nicht reinschießen zu können, sondern eigentlich sofort und automatisch jedes Gesicht als ein Gesprächsangebot zu sehen. Nur eben jetzt auch Gesichter, die noch nicht geboren worden sind. In die schießt ja jeder von uns rein gerade. Wie an einem Strand ein Gesicht aus Sand formen zu wollen, der mit Mikroplastik verseucht ist, das ist ja wie in jedes Gesicht reinzuschießen, das noch nicht geboren ist. Du hast das Gesicht fertig an einem Strand und dann siehst du wie zerschossen das ist, noch bevor es die nächste Welle wegspült. Das Gesicht im Sand wird nicht vergehen.
Die Maske sagt ja dem, der sie trägt, der Planet hier hat keine Atmosphäre. Und die hat er ja wirklich nicht. Wir sind damit wie Fremde auf einem anderen Planeten. Und die Maske sagt ja denen, die sie sehen, zwei Fremde können mit ihr nicht jene Vorleistung des Vertrauens erbringen, die im demonstrativen Verzicht auf Tarnung und Bewaffnung besteht. In Kyiv ja auch nicht.
Jetzt sitzen die mit Masken da und *schnipps*, sitzen die vielleicht gleich mit Gasmasken da.
In keinem Krieg sind so viele so einsam gestorben.
AN DIE NACHGEBORENEN (UND DIE VERANTWORTUNG NEU KALIBRIEREN)
Wirklich. Ich wünschte, ich würde in gegenwärtigeren Zeiten leben.
Der eigentliche Hochseilakt ist ja,sich nichts schönzuredenNicht nur die Botoxstirn ist unempfindlichDie Stirn, als sie sich noch in Falten legte, und so sehr sie es tatWar auch unempfindlich
Was sind das für Zeiten,In denen die Feiern des Lebens im Hier und JetztUns nicht gegenwärtig genug erscheinen?Weil sie die Sorge für die zukünftigen Gesichter ausschließen,Die wir noch nicht kennen!
Das, was zwischen uns beiden konkret gelingt,Ist wohl nicht tauglichfür eine Sorge für die, die uns abstrakt bleiben:die Nachgeborenen
Man denkt an ein Gesicht und man will ja auch, dass das Gesicht an einen denkt.Es gibt ja den Wunsch, dass der andere an einen denkt.Und es müsste ja den Wunsch geben, kein abstraktes Verhältnis zu Gesichtern zu haben, die es noch nicht gibt.An die nicht zu denken ist und die an einen noch nicht denken.
Es ist wahr: Ich hatte einen Schlüssel zum HausFür das Miteinandersein war der Schlüssel die GegenwärtigkeitUnd wäre die nicht auch ein Schlüssel für den Umgang mit der Welt?Für den Umgang mit dem festen Boden unter den Füßen
Die Liebe, der Sinn für Gerechtigkeit, der in uns schlummert,kann abgerufen werden im konkreten MiteinanderWarum ruft nichts von dem Vieleneine Sorge für die abstrakten künftigen Wesen hervor,Die wir noch nicht kennen
Die Idee der Verantwortung war uns bekannt, wenn wir zusammen auf dem Sofa saßenLichtjahre voneinander entfernt,aber bekannt war sie uns wenigerfür diesen Planeten
Aber immerhin die Idee der Verantwortung war uns bekanntEs begegnete uns im Verhältnis zu einem Kind eine Sorge,Die scheinbar über alle Unmittelbarkeit hinausIn eine gar nicht mehr eigene Zukunft reicht.Das gar nicht mehr Eigene, in das etwas von uns reicht oder alles
Die Gegenwärtigkeit muss bis in eine nicht mehr eigene Zukunft reichen,Sonst ist sie keine Feier des Lebens.
Natürlich geht es um eine Sorge für die Gesichter,In die wir noch nicht sehen können,die uns aber – wie jedes Gesicht – ein Gesprächsangebot machen.So wenig er auch auf der Hand liegt dieser Satz an die Nachgeborenen:Das Hier und Jetzt ist der Schlüssel für den Umgang mit der Welt
Warum sich nicht unmittelbar an die abstrakten zukünftigen Menschen wenden? D a s ist doch Gegenwärtigkeit.
Das Interesse am Hier und Jetzt ist ja gutDas verwöhnte Jetztinteresse muss sich nur ein wenig umorientierenDenn es werden auch zukünftige MenschenIm Hier und Jetzt lebenMan sagt ja: Lebe im Hier und Jetzt!Aber ich schätze, die sind ohne Gegenwärtigkeit, die fragen:Warum soll denn das Spätere überhaupt sein?
Ich sehe doch, alles was zwischen uns ist, geht über in eine kosmische DimensionIch sehe es an den Millionen Lichtjahren zwischen uns auf dem Sofa
Und sind da oben im Kosmos auf engstem Raumnicht auch zwei Russen und ein AmerikanerUnd wem gehört da oben denn die oder das MIR?
Macht ist nur schlecht, wenn sie erkennbar das Ganze gefährdet.Wir müssen denen in die Augen sehen, die noch nicht da sind.
Gegenwärtige Zeiten feiern das Leben, indem sie es achtenzugunsten der Gesichter, die noch nicht geboren sindMan feiert doch das Leben, indem man es achtet. Ja, für eine Gegenwärtigkeit sorgen zugunsten der Gesichter, die noch nicht geboren sind.
Gedenkt uns, denn es war besser, von der schlechtesten Prognose auszugehen,um überhaupt Verantwortung zu übernehmen.Was den kompletten Planeten betrifft, waren wireine Gefahr für jeden anderenund jeder andere für uns.
Dabei wissen wir:Es kann nicht mehr um Nächstenliebe gehen.Wir brauchen eine Sorge für den Nächsten,die bis in die ferne Zukunft reicht.
Ich will Verantwortung übernehmen für ein Gesichtin der Zukunft,in die das eigene Leben nicht mehr hineinreicht.Es geht um die Sorge für ein Gesicht, in das wir noch nicht sehen können.
Was geht den Nachgeborenen gerade durch den Kopf?Was für eine Chance gibt es für jemanden wie mich, als die: auf der Welt zu sein.Ich könnte irgendwo sein, und verloren, ja, aber ich will auf die Welt.
Ja, wie man den Menschen gegenübertritt, aber auch der Welt. Wie man der Welt gegenübertritt.
Also ich würde sagen, zum Verfassungsschutz der Grundrechte des Einzelnen ein Verfassungsschutz der Grundpflichten des Ganzen gegenüber der Zukunft.
Künstler/Beteiligte: Afrikan Voices, Berlin Breaks, Katrin Brack, Tabea Braun, Bulgarian Voices Berlin, Klaus Dobbrick, Fabian Hinrichs, Johanna Kobusch, Frank Novak, René Pollesch, Johannes Zotz, Pollesch/Hinrichs (Autor/in), Fabian Hinrichs (mit), Afrikan Voices (mit), Bulgarian Voices Berlin (mit), Berlin Breaks (mit), René Pollesch (Text), Katrin Brack (Bühne), Tabea Braun (Kostüme), Frank Novak (Licht), Johannes Zotz (Licht), Klaus Dobbrick (Ton), Johanna Kobusch (Dramaturgie)