Mecklenburgisches Tagebuch 1981

Das Schweriner Schloss in der Abendsonne

von Wolfgang Prietsch

Am Abend vor Herbstanfang, am Ende einer Zeit Glück, nach einem Weg über Land: Einen langen Blick über dies große Wasser. Eben noch Sonne, untergehend, glutrot. Drei Minuten nur vergangen vom Berühren der Baumwipfel bis zum Versinken hinter dem Wald. Da kommt der Nebel, er hat nur gewartet auf diese Stunde vor Nacht.

Bleibt zurück von dreizehn Tagen ein weites Hügelland, Acker – und Wiesenland.
Hohlformen sehe ich, wassergefüllt. Über Felder mein Blick, da stehen Eichen, einzeln, inmitten der Flur, Riesen knorrig, dem Wind halten sie stand.

Busch – und Baumstreifen teilen des Landes Weite. Welch ein Architekt (ungewollt)
das Pleistozän. Kenn´ ich die Schweiz auch nicht: Etwas ähnlich muss sie sein.
Märkisch nicht die Wälder, keine Kiefern – Monokultur. Mischwald, naturnah, Traubeneichen, Buchen: Das wächst im ökologischen Gleichgewicht. Und kleiner die Wälder, dahinter gleich wieder Feld oder See oder Wiese oder Moor.

Da ist noch Moor, die Torfstichzeit längst vorüber. Doch der Sumpfporst wächst,
Ledum palustre, ätherisch riechen die Blätter, wenn man sie reibt.
Trunkelbeeren gibt es, und ich sehe Sonnentau, rundblättrig, in natürlichem Biotop.

Großer Schwerin, Halbinsel, flach, nass, in die Müritz hinein. Rinder weiden, ein Gatter: Naturschutzgebiet, Betreten verboten. Für uns erlaubt, jetzt im Herbst, Brunstzeit vorüber. Da erfahren wir und werden aufmerksam gemacht und sehen:
Seeadler im Flug, brettförmig die Schwingen. Zwei Meter vierzig Flügelspanne hat unser Begleiter gemessen. Welch ein Flugbild! Und dann sitzt er da, auf einem kahlen Baum auf dem Steinhorn. Die Art wird immer seltener, vom Aussterben bedroht. Chemisierung der Umwelt!.

Kormorane, schwarz, der Schnabel gelb, fliegen vom Ufer auf. Erstmalig sahen wir sie hier in freier Natur. Und Graugänse, zu Hunderten, und eine Rohrweihe und eine Bekassine und.
Über den Wiesen nahe dem Moor (das Nachmittagslicht offenbart Form und Farbe)
der Rote Milan (Brandenburgs Wappentier): Rot die Oberseite der Schwingen,
der Schwanz keilförmig, und schwarz der Schwingen Rand. Weiß mit dunkler Zeichnung die Unterseite. Herr seines Reviers.

Kolkraben, dacht´ ich, sind ausgestorben. Da zeigt man uns ein Nest auf einem hohen Baum im Traubeneichen – Mischwald, verlassen, jetzt im September.
Und wir erfahren: Seit über zwanzig Jahren gibt es wieder eine große Population.
Über dem Malchiner See hören wir sein „korrk“, und durch das Glas
sehen wir ihn in der Luft, nicht weit entfernt von einem Roten Milan, jagend beide.

Großsteingräber, jungsteinzeitlich, auf Hügeln, ursprünglich unter Erdreich, im Jahre Dreitausend bis Achtzehntausend vor unserer Zeit angelegt. Da war zuerst der Urdolmen, vier Trägersteine, darüber ein Geschiebeblock. Später, für größere Gräber, der erweiterte Dolmen mit drei Trägersteinpaaren, und der Großdolmen endlich.

Wie bewegten die Menschen die Findlinge damals? Klein war die Sippe.
Bei Stuer auf dem Galgenberg ein Großsteingrab, mit einer Steinmauer umfasst,
dreieckig gerahmt: Magisches Zeichen? Auf einem Eckstein mehrere Einbuchtungen: Bearbeitungsfolgen aus der Bronzezeit für kultische Zwecke: Wie kamen die an ein Steinzeitgrab? Rätsel der Ur – und Frühgeschichte.

Lange suchten wir einen Urdolmen bei Zierow, auf der Karte ausgewiesen, die Lage mündlich mehrfach beschrieben. Erst beim dritten Anlauf: Mitten auf freiem Feld in einer Holunder-Hecke fanden wir ihn.

Burgen, Schlösser, Dorfkirchen, das niederdeutsche Hallenhaus (Siedler aus West – und Nordwestdeutschland brachten es mit) und das Ernhaus, brandenburgisch.
Die Burg derer von Flotow auf einem Turmhügel bei Stuer, verfallen. In Resten erhalten ein Wohnturm, quadratisch. In brauner Zeit war hier eine Jugendherberge. Uralte Eschen rings um die Burg.

Über Landwege, durch Schlamm, auf weichem Boden, über Nebenstraße und Feldweg (wer kommt hierher?) abseits von allem Schloss Ulrichshusen.
Renaissance – Bau, ein Edelstein an einfacher Schönheit auch damals noch. Diese Giebel, dieser Turm! Wappen, drei übereinander, Steinmetz – Arbeit, in den Backstein des Turmes eingesetzt.

Doch trostlos der Zustand: Verfall. Umwachsen wie ein Dornröschenschloss, man hat Mühe, den Giebel zu sehen. Tiefe Risse im Bau. Auf der Stirnwand noch heute erkennbar Inschrift in eisernen Lettern. Um das Schloss Morast, Schutt, Schlamm, Unkraut brusthoch. Eine Öllache.

Basedow, abseits der Fernstraße, auch Renaissance / Neorenaissance.
Ausgedehnte, unregelmäßige Dreiflügelanlage: Stammsitz der Grafen von Hahn.
Namenssymbole überall, schon am Eingang. Für den Architektur – Interessierten eine Freude, für den verantwortlichen Baumeister (der sprach uns an) eine schier unlösbare Aufgabe: Bausubstanz erhalten (Denkmalschutz) und nutzen (Wohnungen!). Meterdick die Wände, da muss man durch. Lichtleitungen, Wasser, Abwasser.

Schlösser und Katen. Katen und Herrenhäuser. Reiche Herren oder weniger reiche
(Gotthun): Das zeigen schon die Gutshäuser. Schönes Gutshaus in Alt –Schwerin,
zwei Treppen zum Mittelaufgang. Darunter der Karzer: Für Landarbeiter wegen geringer Vergehen, kleinen und großen. Seitlich eine schöne Allee.

Haus mit Uhr im Giebel (römische Zahlen), darüber zwei Glocken: Hier entschied sich Anfang und Ende des Arbeitstages: Gutsinspektoren – Kontrolle. An der Straße, ab vom Herrenhaus, außer Sichtweite, weil die Schönheit störend die Katen. Feldsteinbauten, langgestreckt, da ließen sich Menschen unterbringen.
Das Dorf ein Museum. Man kann sehen, welche Bedingungen vorhanden waren.
In den Katen und im Schloss.

Nachtrag:
Ein Morgen am Herbstanfang. Nach einer unruhigen Nacht ohne Schlaf. Da zeigt sich der Herbst in seiner Novembervariante. Landregen. Mecklenburg macht uns den Abschied etwas leichter.