Oma Krüger
Bild: Waltraud Käß
von Waltraud Käß
Wie eine Drohkulisse steht vor der Niederlausitz die weitere Erschließung eines Braunkohletagebaues – Welzow Süd II. Die Dörfer Proschim und Lindenfeld sowie ein Wohngebiet der Stadt Welzow sollen abgebaggert werden. Mehr als 800 Einwohner verlieren dadurch ihre Heimat.
Es sind nicht die ersten Gemeinden, ich denke nur an das Dorf Horno, um das es vor Jahren einen langen Kampf gab, der dennoch verloren wurde. Das Geschehen um dieses Dorf bildete die Grundlage für meine Kurzgeschichte. An Aktualität hat sie auch heute nicht verloren.
“Das wird ein schöner Tag heute”, denkt sie, als sie aus dem Fenster schaut. Die Sonne liegt warm auf dem Hof. In der Ecke des Vorgartens stehen die Malven in voller Blüte, sie hat die Farben beim Einpflanzen gemischt. Das ist ihr ganzer Stolz. Sie wird eine rote Malve schneiden, die wird sie mit ins Haus nehmen. Hinter den Zaun geht sie nicht mehr. Es ist niemand mehr in diesem Dorf, mit dem sie reden könnte.
“Ich muss die Hühner raus lassen”, überlegt sie, als sie das Kikeriki des Hahnes aus dem Stall hört. Dann läuft sie nach draußen, streut die Körner und sorgt dafür, dass sie bis morgen genug Futter und Wasser haben werden.
Körperlich spürt sie die Stille des Geisterdorfes. “Miez, Miez”, ruf sie, und erschrickt vor dem Klang ihrer Stimme. Minka kommt angemaunzt und streicht um ihre Beine. “Komm her”, sagt sie. “Wo warst du denn die ganze Nacht? Hast du viele Mäuse gefangen? Hier ist eine große Schüssel mit Milch. Lass es dir schmecken.”
Plötzlich wird die morgendliche Ruhe von einem Rasseln und Klirren zerrissen. Sie weiß, dass es die Bagger sind. Die Gefahr kommt näher, sie spürt es mit jedem neuen Tag.
“Lange habe ich gekämpft”, denkt sie. “Mit den Anderen. Wir haben Demonstrationen gemacht, wir haben Petitionen geschrieben. Wir haben Anklage erhoben. Wir waren hartnäckig. Nun bin ich die Letzte. Der Hof gehört mir nicht mehr. Das Landesbergamt hat mich enteignet.
Alles nur wegen der Kohle, die unter unseren Häusern liegt. Unser ganzes Dorf verschwindet von der Landkarte.”
Sie kann sich noch gut an die Verlockungen erinnern. “Sie bekommen ein neues Haus. Mit Fußbodenheizung. Zentrales Kalt- und Warmwasser.” “Aber es wäre nicht mein Haus. Es hätte nicht meine Erinnerungen”, denkt sie. Die Nachbarn haben aufgegeben. Sie nicht. Sie hat ihre Entscheidung getroffen.
Langsam geht sie hinein. Hier in diesem Haus ist sie geboren. Hier hat sie mit ihrem Mann glückliche Jahre verbracht. Dann besuchte sie ihn hin und wieder auf dem Friedhof. Gestern musste sie ihre Besuche beenden. Sie hat keinen Ort der Trauer mehr. Man hat ihn in das neue Dorf umgebettet.
“Hoffentlich gießt jemand die Blumen auf seinem Grab”, denkt sie, und dann noch “unsere drei Kinder sind hier geboren. Jetzt sind sie aus dem Haus. Einer der Jungs lebt sogar in England, hat dort endlich eine Arbeit gefunden. Lisa wohnt in Berlin, hat gestern wieder angerufen und gesagt: Mama sei doch nicht so stur.
Mach es Dir doch nicht so schwer.” Ja, die Kinder. Sie verstehen nichts. Sie weiß, sie meinen es gut, und doch, sie müssen ihre Entscheidung akzeptieren. Sie hat es ihnen erklärt.
Sie steckt ihre noch vollen, schneeweißen Haare zu einem Knoten zusammen und denkt dabei “Mich kriegt ihr nicht. Mich nicht.” Sie schaut sich um. Alles ist blitzblank. Der Brief liegt auf dem Küchentisch. Gestern hat sie nochmal die Betten bezogen. Alles soll frisch sein. Sie öffnet den Kleiderschrank.
“Das Schwarze mit dem weißen Spitzenkragen, das könnte passen”, denkt sie.
Dann legt sie die Malve auf ihr Kopfkissen. Sie lächelt, als sie nach den Tabletten greift.
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