Der Regisseur und bildende Künstler Sebastian Hirn untersucht in seiner Arbeit »mapping the past« deutsche Identitätskonstruktionen. In einer filmisch-körperlichen Annäherung werden vier monumentale Bauwerke vermessen. Die Denkmäler sind Ausdruck eines neu erwachten Nationalbewusstseins und setzten Wilhelm I und Wilhelm II als Nachfolger der mittelalterlichen Kaiser des Heiligen Römischen Reichs machtvoll und übergroß in Szene.
Der mächtigen Inszenierung ausgesetzt
In einer 3-Kanal-Videoinstallation treffen Tänzerinnen auf diese Monumente der Macht, die im Zuge der Deutschen Reichsgründung entstanden sind und nehmen Beziehung zu den Bauwerken auf. In der Begegnung zeigt sich die Fragilität der menschlichen Körper angesichts der gewaltigen Monumentalarchitektur und setzt die Bauwerke in ein neues Licht. Die Videos wurden am Kyffhäuserdenkmal, an der Hohenzollernbrücke in Köln, am Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica und am Deutschen Eck gedreht.
Das Filmmaterial kombiniert Sebastian Hirn mit Fotografien aus der ehemaligen Kolonie „Deutsch Südwestafrika“. Diese Bilder geben einen Eindruck von den internationalen Auswirkungen des wilhelminischen Herrschaftsanspruches.
Die Tänzerinnen Alessandra Defazio und Julia Keren Turban bespielen in »mapping the past« zudem live den ehemaligen Kirchenraum im Studio 1 des Kunstquartier Bethanien. Sie verlängern die Spielfläche des Videos in den realen Raum. Dabei wird das Bildmaterial zusammen mit dem Musiker Niko De Paula Lefort und Sebastian Hirn mit elektronischen Klängen und Live-Percussion neu befragt.
Am Ende öffnet sich der Raum für den Hererodichter und Performer Prince Marenga Kamaazengi, der in einem Gedicht den Waterberg besingt, wo 1904 deutsche „Schutztruppen“ in einer entscheidenden Schlacht die aufständischen Ovaherero stellten und zur Flucht in die Omaheke Wüste zwangen.
Eine Gigantomanie, in der der menschliche Körper verschwindet
Vor und nach Aufführung wird die Performance von einer Ausstellung mit Interviews gerahmt, die Sebastian Hirn zwischen 2022 und 2024 in Namibia geführt hat. Auf sechs Monitoren kann man verschiedene Stimmen aus Namibia über Kopfhörer verfolgen. Zu den Interviewten gehören u.a. ein Großgrundbesitzer und Nachkomme eines Schutztruppensoldaten, ein Nama und ein Herero-Chief, ein Minister für Bodenreform, ein Nachkomme der Hamburger Reedereifamilie Woermann und die Vorsitzende des Nama Genocide Technical Committee.
Sebastian Hirn konzentriert sich in seiner Arbeit auf Interview- und Rechercheprojekte. Dabei verwebt er Theater, Tanz, Film und Bildende Kunst. In »mapping the past. Deutschlandskizzen 2« setzt er sich zum zweiten Mal mit der Pathologie deutscher Identitätskonstruktion auseinander. In »reenacting the reenactment. Deutschlandskizzen 1« legte er den Fokus auf Suizide deutscher Dichter- und Schriftsteller*innen.