Montag, 14. September 2020
Es geht los: Erwartet werde ich zu 9:00 Uhr, und erst kurz vor Abfahrt entscheide ich abschließend, welches Verkehrsmittel ich heute nutze: Wieder das Auto. Etwa 1,5 km vom Rathaus entfernt soll sich ein großer kostenloser öffentlicher Parkplatz befinden, und die aktuelle Wetterlage lädt förmlich dazu ein, von dort noch einmal 20 Minuten fußläufig bis zum alten Rathaus zurückzulegen (es gibt auch ein neues). Zur Ankunft erschrecke ich über die Auslastung. Der Parkplatz wird nach meiner Einschätzung überwiegend von Langzeitparkern genutzt und er ist offensichtlich voll; insbesondere Wohnmobile quetschen sich in die engen Lücken, und ich finde dann doch den tatsächlich augenblicklich letzten freien Platz. Nicht auszudenken, wenn das nicht geklappt hätte.
Das alte Rathaus befindet sich inmitten des zentralen Hauptplatzes von Linz, hat eine unscheinbare Fassade und sticht nicht wirklich aus dem flankierenden Gebäudeensemble hervor. Mit Betreten tut sich aber ein sehr modern gehaltenes Verwaltungsgebäude auf, und mich erinnert das ein wenig an Wismar. Dort wurden an vielen Stellen des zentralen Marktplatzes die alten Fassaden erhalten – was nach der Entnahme der angrenzenden Gebäudeteile teilweise wie Filmkulissen aussah – und dahinter hochmoderne Gebäude errichtet. Die unten stehenden Fotos bieten vielleicht den einen oder anderen Eindruck.
Herr Dr. Höfler empfängt mich sehr freundlich, und neben einer Vorstellungsrunde in Bereichen der Abteilung Personal und Zentrale Services zeigt er mir auch noch ein wenig das Haus selbst, damit ich mich für übliche Gänge zurecht finde. Einleitend erfrage ich, was es mit einem im Flur befindlichen Zettel auf sich hat, der beim Zeiterfassungsgerät hängt: Auf diesem wird angeboten, an zwei Zeiterfassungen teilnehmen zu können. In einer Vorveranstaltung zur Hospitation berichtete ein Teilnehmer, der Wien besucht hatte, Arbeitszeiten gäbe es dort nicht bzw. keine derartigen Kontrollinstrumentarien. Meine Erwartungshaltung tendierte daher in eine andere Richtung. Herr Dr. Höfler erläuterte, dass die vormaligen Anwesenheitspflichten nunmehr etwas gelockert wurden und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die freie Möglichkeit haben, am Vormodell oder am derzeit getesteten teilzunehmen. Die Lockerung bedeutete, von Montag bis Donnerstag von 6:00 bis 19:00 Uhr den Dienst
verrichten zu können, und Freitag war noch etwas früher Schluss. Da sind wir in Charlottenburg-Wilmersdorf also schon etwas weiter, und das Flex-Tage-Modell bestaunte man zumindest von Seiten der Mitarbeiterschaft etwas neidvoll. Diese durchweg positive Resonanz spiegelte sich nicht in gleicher Stärke zum späteren Besuch beim Linzer Bürgermeister :-)
Begleiten werde ich hier vornehmlich den Teil Personalauswahl und Personalentwicklung. Schon erste Zahlen deuten darauf hin, dass wir ähnlich aufgestellt sind: Linz hat 206.000 Einwohner und 1.450 Vollzeitäquivalente (heißt hier tatsächlich auch so), die direkt beim Magistrat beschäftigt sind. Darüber hinaus gibt es noch 1.000 VZÄ, die in ausgegliederten Bereichen arbeiten (zum Beispiel Kitas) – kennen wir mit den KiTa-Eigenbetrieben auch in der Berliner Verwaltung. Im Gespräch ergeben sich dann von Zeit zu Zeit Nachfragen, die dann doch Besonderheiten hervorbringen. “Eine Kollegin kann ich Ihnen heute noch nicht vorstellen, sie befindet sich in Altersteilzeit.” Ach so, schade, antworte ich und mich interessiert sogleich, ob denn in der Freistellungsphase auch nicht besetzt werden kann. Dieses Modell kennt man hier nicht; bei 80-90 Prozent der Bezüge kann man bis auf 60 Prozent der Arbeitszeit heruntergehen, und die freiwerdenden VZÄ können sofort besetzt
werden. Klingt zumindest interessant.
In den letzten Jahren hat sich viel im Bereich Personal getan, was auch wesentlich von der so genannten Linzer Aktenaffäre beeinflusst wurde. Anzeigen führten zu Einschätzungen, dass durch Unterlassen der Behörden Missstände provoziert und begünstigt wurden. Auch die Personalauswahl und Personalentwicklung wurde zurückliegend etwas aufgestockt. Viele Stichpunkte konnte ich mit Herrn Dr. Höfler anreißen und das eine oder andere im laufenden Geschäft mitnehmen. So wurden wir für eine Stellenausschreibung unterbrochen; diese sollte noch heute zur internen Veröffentlichung freigegeben werden. Berge von Papier wurden dafür nicht bewegt: Das Ersuchen holte er sich mit einer Fachsoftware auf den Bildschirm, befand die Inhalte für freigabewürdig und klickte
auf den entsprechenden Button. Erledigt! Auf meine Frage, wie lange es denn von dem Ersuchen bis zur Veröffentlichung dauert, antwortete Herr Dr. Höfler, dass es schon manchmal eine Woche für die Genehmigung dauern könnte, in eiligen Fällen ist man natürlich schneller. Insgesamt dauert es vom Ausschreibungsersuchen bis zu den Auswahlgesprächen regelmäßig nicht länger als 1,5 Monate. Intern wird an jedem 1. und jedem 15. veröffentlicht. Stellen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des normalen Verwaltungsdienstes werden ausschließlich intern ausgeschrieben. Probleme mit Nachbesetzungen gibt es nach Aussage von Herrn Dr. Höfler für diesen Bereich nicht. Angerissen wurde auch das Thema “Beschreibung des Arbeitsplatzes”, vergleichbar mit unserer Beschreibung des Arbeitskreises (BAK). Generell richtet sich die Eingruppierung nach einem Dienstpostenplan und diese Eingruppierung wird zunächst nicht infrage gestellt. Zunehmend stellt man aber auch in Linz
fest, dass das Interesse an Überprüfungen vorhandener Eingruppierungen zunimmt.
Der Linzer Magistrat ist aber für die vorhandenen Beschreibungen von Arbeitsplätzen geringfügig besser aufgestellt als unsere Abteilung im Bezirksamt: knapp DDR-Verhältnisse, 100 Prozent Planerfüllung, jeder Arbeitsplatz hat eine Beschreibung! Die Beschreibung meines Gastgebers wurde mir netterweise zur Verfügung gestellt, diese umfasst 2,5 (!) Einzelseiten, und auf meine kritische Nachfrage, ob das alles ist, gab mir Herr Dr. Höfler zu verstehen, dass Menge nicht Inhalt ersetzt. Es gibt aber auch Teilbereiche, die sich in ihren Beschreibungen ergießen und Bedeutungsspektrum mit Anzahl der verwendeten Zeichen gleichsetzen. Diese landen dann (tatsächlich) schon mal bei 5 Einzelseiten. Inhaltlich sind diese Beschreibungen des Arbeitsplatzes bei uns mit abgespeckten Anforderungsprofilen vergleichbar. Hier muss ich aber noch einmal nachhaken, da ich nicht ausschließen kann, auch falsch verstanden worden zu sein. Ich bin in der mir zur Verfügung gestellten Beschreibung
nicht ansatzweise auf eine inhaltliche Unterlegung von unbestimmten Rechtsbegriffen gestoßen. Auch in Linz arbeitet man mit Unterstützung eines Bewertungsmodells (Hay Group Guide); die Broschüre habe ich mir aber nur kurz anschauen können, vielleicht kann ich bei anderer Gelegenheit noch einmal darauf zurückkommen.
Entsprechende Stellenausschreibungen veröffentlichen auch nur den formal notwendigen Teil – unser Trallalla und Hopsassa mit vollständigem Anforderungsprofil und noch mal hier aufbereitet, und hier und da, diese und jene Wiederholung, spart man sich in Linz. Was ich noch ergattern muss, ist ein Auswahlvermerk, der auch deutlich kleiner ausfallen und von geringem Aufwand sein soll. Bei der Vorstellungsrunde war ich auch kurz im zentralen Recruiting-Bereich, und weil das thematisch so nahe lag, erbettelte ich förmlich die Teilnahme an einem Auswahlgespräch. Die zunächst vorhandenen datenschutzrechtlichen Bedenken konnten bereits zurückgestellt werden, und man wird versuchen, mich bei nächster Gelegenheit teilnehmen zu lassen. Darauf bin ich wirklich gespannt, auch weil ich bei aller gebotenen Zurückhaltung glaube, dass unser abteilungsinterner Büroleitungsbereich für unser Haus schon maßstäblich agiert.
An einer Stelle musste ich beim Einblick in die Unterlagen lachen. Es gibt eine Auflistung von Gehaltsstufen, und die unterste Stufe wird einleitend mit “arbeitsnahen” Tätigkeitsinhalten beschrieben. Dieses Adjektiv findet sich in keiner weiteren Gehaltsstufe, “arbeitsfern” habe ich aber ersatzweise auch nicht gelesen. Ich möchte nicht davon ausgehen, dass man das ab der zweitniedrigsten Gehaltsstufe unterstellt.
Gegen 14:00 Uhr kommen wir etwas zur Ruhe, ich bereite Stichpunkte für meine Aufzeichnungen vor und stelle noch einige Verständnisfragen. Gleich in den ersten Stunden ergaben sich noch weitere interessante Erkenntnisse: Benutzte Tassen stellt man im Linzer Magistrat in die Teeküche, und eigens dafür vorgesehenes Personal bereitet das Geschirr zur Wiederbenutzung auf. Wer mich kennt, wird ahnen, dass mir das sehr entgegenkommt. Gegen Mittag werden alle Klinken (wahrscheinlich durch die gleichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) mit Desinfektionsmittel gereinigt.
Zu 16:00 Uhr begebe ich mich zum Linzer Bürgermeister, und schon der Vorzimmerbereich ergibt ein imposantes Erscheinungsbild. Ausschließlich modernes Mobiliar, viel Glas und weiße Räumlichkeiten mit unaufdringlichen Kunstwerken aller Art und durchgehend ausgesucht freundliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dienender Betriebsamkeit. Gemeinsam mit Herrn Naumann und Herrn Herz begeben wir uns nunmehr direkt zu Herrn Luger. Im Vorfeld wurde er mir als sehr durchsetzungsfähig beschrieben, und Herr Luger bestätigt diese Einschätzung im Erleben. Er, Herr Naumann und Herr Herz knüpfen ohne große Anmoderation an bereits geführte Vorgespräche an, und alle drei steigen in Themenfelder ein, die _sie_ in der Politik und darüber hinaus _uns_ in der Verwaltung tagtäglich beschäftigen: Pandemie, hoher Altersdurchschnitt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, politische Übernahme von Verantwortlichkeiten, Nachbesetzungsprobleme im Fachkräftebereich, und auch das Leid mit eher
kontrolliert leistungsbereiten Personen aus der zahlreichen Mitarbeiterschaft blieb in diesem Austausch nicht gänzlich ausgespart. Auch ich konnte mich auf Bitte von Herrn Naumann zu dem einen oder anderen Themenbereich einbringen und schlussendlich gab es für eine Thematik Konsens im Rückblick: Einvernehmlich wurde bei allen vorhandenen Problemen festgestellt, dass der Lockdown bewiesen hat, mit welchem Tempo und mit welcher Kreativität durch Politik und Verwaltung im Schulterschluss in Ausnahmesituationen agiert werden kann. Nach 75 Minuten intensiven Austausches bückte sich Herr Naumann zum neben ihm stehenden Beutel, ergriff eine nett eingewickelte Flasche Gin vom Ku’damm und überreichte diese Herrn Luger. “Sie trinken doch Gin, oder?” “Ja, sehr gerne”, antwortete der Linzer Bürgermeister.
Auf Überreichungen ist man offensichtlich eingestellt und vorbereitet: Ohne zu zögern ließ sich Herr Luger sein Gegengeschenk in die Hand drücken, ein ca. 60×90 cm großes Bild, dessen Motiv ich leider für den Moment nicht erinnere. Damit verlief die Größe der Geschenke indirekt proportional zur Länge des alsbald anstehenden Heimweges. Herr Herz wusste um meine Art der Anreise, auch zum Hospitationsort selbst, und schlug noch im Kreise aller Teilnehmer vor, dass ich das ja mitnehmen könnte. Das ist grundsätzlich eigentlich kein Problem, nur machte ich mir Sorgen um die Sicherheit des Bildes. Das war eine Auftragsarbeit und naturgemäß zum Beschenken und dem damit verbundenen Pressefoto nicht mehr eingewickelt bzw. anderweitig geschützt. Man verstand mich und sicherte zu, alles gut zu verpacken, um damit meine Bedenken zurückstellen zu können. Im Verlauf der nächsten Woche kann ich mir das dann abholen. So kam ich zum Abschluss zu einem Dank von Herrn Naumann
für meine Bereitschaft der Mitnahme. Ich konnte noch ausführen, dass ich nicht ablehnend wirken wollte und dass sich selbstverständlich auch mir erschloss, dass die gefundene Lösung auch keine fernliegende ist.
Gegen 17:30 Uhr stehe ich etwas müde vor dem Rathaus und nehme nach kurzer Überlegung noch einen Dönerbecher als Abendmahlzeit zu mir. Der sich anschließende Weg zu meinem Auto lässt den Entschluss reifen, mir morgen einen Monatsparkplatz für die Tiefgarage unter dem Rathaus zu kaufen. Der Entschluss musste reifen, weil man sich dieses Privileg doch ziemlich hochpreisig erkaufen muss. Der Fairness gegenüber Linz und gegenüber meiner Unterkunft darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass auch alles mit dem ÖPNV realisierbar wäre.
Nach einem kleinen Einkauf von lediglich Kaffee und einer Riesentafel Schokolade in einem auf dem Heimweg befindlichen Supermarkt komme ich doch einigermaßen erschöpft gegen 19:30 Uhr in meiner Unterkunft an. Meine Wirtin erfragt meine Erlebnisse sowie mein Wohlbefinden und ich berichte ihr in Stichpunkten, wie es denn so war.
Bei der Gelegenheit komme ich auf ein Thema meiner Ankunft zurück. Ich sollte unbedingt Wünsche äußern, da ich ja verhältnismäßig lange ihr Gast wäre. Einen Wunsch las sie mir gleich von den Augen ab: Ja, meine Wäsche kann hier gewaschen werden und für einen zweiten war ich anfangs etwas verunsichert: Ich berichtete ihr, dass ich auch in den Abendstunden gerne mal einen Kaffee trinke, ob sie mir nicht ihre Maschine erklären könne und ich bediene mich vielleicht im Rahmen einer vereinbarten Flatrate? Sie wollte mir das zugestehen, aber je länger ich darüber nachdachte, war es mir dann doch wieder unangenehm. Ich hätte regelmäßig in die große hypermoderne Küche gemusst, und die Kaffeemaschine hatte ein Bedienungscockpit, welches augenscheinlich einen guten Behaltenseffekt für die vermittelte Benutzungsanleitung braucht, um nicht anfänglich die gleichen Fragen immer wieder stellen zu müssen. “Ach, geben Sie mir doch einfach einen Wasserkocher, ich brühe
mir dann bei Bedarf selbst welchen, ist das möglich?” … “Ja schon, aber ist Ihnen das wirklich, wirklich sympathischer? Sie können die Maschine gerne nutzen und mit dem Wasserkocher hätten Sie auch vor jedem Tagesabwasch die verschmutzte Tasse auf dem Zimmer.” Ich muss versichern, dass das mein Wohlbefinden auf keinen Fall negativ beeinflusst und wir erzielten Einvernehmen für die Wasserkocherlösung.
Nun habe ich ja Kaffee gekauft und erfrage, ob sie mir den Wasserkocher jetzt netterweise zur Verfügung stellen könne. “Ja, steht schon auf dem Tresen für Sie, hatte ich erst heute gekauft.” Um Gottes Willen, die liebe Frau befand die mit Sicherheit vorhandenen für mich nicht gut genug und hat extra einen neuen angeschafft. Sie reagierte ausgesprochen freundlich auf meine Verblüffung und betont noch einmal, dass es für sie in Ordnung ist. Ich bedanke mich noch einmal, will mich abwenden und im Gehen möchte Sie noch wissen, ob ich ihre Weinempfehlung schon genossen habe. Ich gestehe, dass ich schlichtweg meine Notiz vergessen habe und daher noch keine Chance hatte. “Ja darf ich Ihnen denn etwas von meinen anbieten?” … “Hm … eigentlich … ach ja gerne!” Innerhalb der nächsten 10 Minuten war ich im Besitz von zwei mit einem Glas auf dem Tablett angerichteten regionalen Weinflaschen.
Ein intensiver Tag neigt sich dem Ende.