Bereits am Wochenende hatten wir die Möglichkeit, die Aufführung eines Kurzfilms der sozialen Theatergruppe Danisinni zu sehen – aufgrund von Corona wurde statt Theateraufführungen dieser sehenswerte Film erstellt. Die Theatergruppe ist im Gebiet Danisinni angesiedelt und unterstützt dort die Entwicklung des Randgebietes.
Die zweite Woche startet mit einem Besuch bei Laura Nocilla, Sozialarbeiterin in der “Casa dei diritti” (Haus der Rechte), die erst im Januar dieses Jahres eröffnet wurde. Ursprünglich als Anlaufpunkt für die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter gedacht, wurde die Idee im Vorfeld vergrößert als Anlaufpunkt für alle, die sich Benachteiligungen ausgesetzt sehen. Sie sollen Beratung erhalten und Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Hier sollten kommunale Strukturen und nichtgewinnorientierte Sozialinitiativen (dritter Sektor) mit ihren Angeboten zusammenarbeiten. Unter anderen geht es um Diskrimination am Arbeitsplatz z. B. bei LGBTI, um die Durchsetzung der Rechte von Immigranten, um Beratung für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt… Die beginnende Arbeit und auch die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Behörden wurde durch Covid abrupt gestoppt, und während die Beratung im erlaubten geringen Maß wieder aufgenommen wird, scheitert
der Kontakt zu den Verwaltungsstrukturen völlig. Zu den vielen Problemfeldern, die uns Laura Nocilla engagiert schildert, gehört u. a. ein Vorlauf von Monaten, bevor eine Anmeldung gelingt. Ohne diese Anmeldung besteht kein Gesundheitsschutz und kein Zugang zu wichtigen Rechten. Ähnlich wie in Deutschland wird die Eingliederung in Arbeit von Geflüchteten durch nicht vergleichbare und nicht anerkannte (Schul-)Abschlüsse erschwert. Sie schildert außerdem, dass das verzerrte Narrativ in den Sozialen Medien über Migration die Stimmung in Palermo verändert. Hinsichtlich der Angebote und Vermittlungsarbeit beim Bürgergeld (“Reddito di cittadinanza”) befragt, das in den Arbeitsmarkt, aber auch in Sozialprojekte führen sollte, konnte sie bisher keine Initiativen oder Kontaktaufnahmen erkennen. Eine Zusammenarbeit müsste am Ende durch die Circoscrizioni eingefordert werden.
Ein weiterer Termin fand beim “Assessorato Cittadinanza Solidale statt”. In diesem kommunalen Büro sind alle sozialen Dienstleistungen zusammengefasst – von Leistungen für Menschen mit Behinderungen, für alte Menschen, Familien, Kinder und Jugendliche, Immigranten… Ich konnte in der Beschreibung der Dienstleistungen viele Parallelen finden – sei es in individuellen Hilfeplanungen und Leistungen für Menschen mit Behinderungen, die die Leistungen der Gesundheitsbehörde der Region ergänzen, der Übergabe von Kindern in Pflegefamilien oder Adoptionsbetreuung, der Begleitung von Minderjährigen während Scheidungsprozessen, in der Suche nach sinnvollen Unterbringungen für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Wohngemeinschaften und der Suche nach Freiwilligen, die sich weiter integrativ mit ihnen beschäftigen… Wie auch bei uns ergeben sich Probleme, wenn diese Jugendlichen aus Altersgründen die Strukturen verlassen sollen, aber z. B. keine
Wohnung finden oder hier sogar den Aufenthaltsstatus verlieren. Der Kontakt zu verschiedenen Mediationsstellen ist ebenfalls in dieser Sozialbehörde angesiedelt. Das Aufgabenfeld ist überwältigend und umfasst vergleichbar mehrere Ämter bei uns.
Während des Lockdowns gab es viele Menschen, die von kleinen Dienstleistungen leben und in Not geraten sind. Für diese wurden Notfallhilfen über Lebensmittelgutscheine ausgegeben. Im Gegensatz zu den sonstigen Sozialleistungen wurden diese nicht von den üblichen Voraussetzungen wie Aufenthaltsgenehmigung oder Anmeldung abhängig gemacht.
Außerhalb des Zentrums, in dem wir uns weitgehend bewegen, liegt das Büro des “Assessorato Attività Produttive” – es ist zuständig für Gewerbe- und Unternehmensanmeldungen. Kleingewerbe ist ein wichtiger Einkommenszweig in Palermo, und die gesetzlichen Vorgaben machen das Antragsverfahren aufwendig und langwierig. Zum “Reditto die cittadinanza” kann mir hier erläutert werden, dass der Bereich der Arbeitsvermittlung mit der Auswahl der Arbeitsvermittler, der “navigatori”, später als vorgesehen gestartet ist. Das Problem, das sich von vornherein stellt, ist, wie in einer Region ohne Arbeit Arbeit vermittelt werden soll. Schwerpunkt sind für junge Menschen daher zunächst Fortbildungsangebote in Bereichen wie z. B. Landschaftspflege, Gastronomie, Büroarbeit etc. Sie sind aus Europäischen Strukturfondsmitteln finanziert, beispielsweise aus den Fondi PON des Bildungsministeriums. Die Behörde selbst hat einige
Beschäftigungsmöglichkeiten eingerichtet für die Aufarbeitung des Archivs.
Auch diese Woche haben wir das Marktprojekt begleitet, und es wurde uns deutlich, dass es hier um einen langwierigen Prozess geht, in dem über wiederholte integrative Gespräche die lokalen Akteure gestärkt werden müssen. Unsere Vorstellung einer Art Projektplanung (was ist zu tun, wer ist dafür bis wann zuständig) wird nur für die unmittelbar notwendigsten nächsten Schritte angewendet. Ein interessanter Diskussionspunkt war, wie die weitgehend inoffiziellen Strukturen der Marktteilnehmenden in die neuen offiziellen Vereinsstrukturen eingegliedert werden können – natürlich haben die wenigsten eine Gewerbe- oder Mehrwertsteueranmeldung. Viele haben noch nicht einmal eine Anmeldung für den Wohnort, und von den migrantischen Teilnehmenden fehlt häufig die Aufenthaltserlaubnis. Die Wichtigkeit der Anmeldung ist uns wiederholt begegnet. Eine der Circoscrizione bekannte und als Weg aus Notsituationen geduldete/unterstützte Umgehungslösung ist das Angebot einer
Sozialinitiative von Anmeldung an einem fiktiven Wohnort. Darüber hinaus werden Bescheinigungen über (angeblich) mietfreies Wohnen anerkannt, um die Grundversorgung sicherzustellen. Der Markt kann über das Heranführen an Anmeldung, einen Nachweis eines Einkommens als Vereinsmitglied, darüber ggf. einen Aufenthaltsstatus… einen sozialintegrativen Effekt haben. Die Arbeit des Bezirks ist hier nah an den tatsächlichen Bedürfnissen des Stadtteils.