LoGo! Europe: Uwe Stab berichtet aus Wien

Uwe Stab, Sozialarbeiter im Jugendamt von Charlottenburg-Wilmersdorf, hospitiert im Januar 2020 für vier Wochen bei der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien. Hier sein Bericht:

Eingang zum Magistratischen Bezirksamt 15

Erste Woche

Nach einer schnellen Anreise per Flugzeug konnte ich abends mein voll ausgestattetes Apartment beziehen; ich hatte mir eine Unterkunft ausgesucht, die auch in dem Bezirk liegt, in dem ich meine Hospitation beim Jugendamt machen sollte. Neben einem kurzen Arbeitsweg konnte ich mich dadurch zugleich in den lokalen Kiez einfühlen.

Der 15. Bezirk von Wien (insgesamt gibt es 23), Rudolfsheim-Fünfhaus, ist rund um den Wiener Westbahnhof angesiedelt. Meinem Wunsch, dass ich gerne in einem sozialen Brennpunkt tätig werden wollte, war somit entsprochen worden: dieser Jugendamtsbezirk gilt als der ärmste von ganz Österreich, hat eine hohe Arbeitslosenrate und hat den höchsten Ausländeranteil von Wien. Allerdings hatte ich, ausgehend von Berliner Verhältnissen, eher eine Art von Bronx erwartet und war sehr überrascht, dass es sich um ein recht bürgerliches, ansehnliches Viertel handelt; auf Anhieb waren jedenfalls keine sozialen Auffälligkeiten zu erkennen. Auf knapp vier Quadratkilometern wohnen hier ca. 80.000 Menschen. Die Infrastruktur ist gut ausgeprägt; selbst eine der Haupteinkaufsstraßen von Wien, die Mariahilfer Straße, ist fußläufig erreichbar.

Im Jugendamt wurde ich ausgesprochen freundlich empfangen; alle Kolleginnen und Kollegen, inklusive der Leitungsebene, waren gleich per “Du” mit mir. Ich bekam ein eigenes Zimmer zugeteilt und hatte sofort über den Computer Zugriff auf alle Daten des gesamten Wiener Jugendamtes. Michaela und Daniel stellten sich mir als meine Begleiter für die Praktikumszeit vor; ich bekam zunächst einen Überblick sowohl zur Organisationsstruktur als auch zu den Feinheiten des internen Programms geboten. Die elektronische Akte ist hier bereits Realität; jedoch wird auch erwartet, dass alle erfolgten Schritte in der Fallbearbeitung sehr genau dokumentiert werden – dies erfordert eine umfangreiche Präsenz am Computer und geht somit zu Lasten der sozialen Arbeit mit den Menschen.

Für mich war fachlich gesehen besonders interessant, dass die Kinderrechte entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention seit 2011 sogar in die Verfassung der Republik Österreich eingefügt wurden und somit einen sicheren rechtlichen Rahmen für die Durchsetzung des Kinderschutzes in der alltäglichen Arbeit des Jugendamtes bieten. In Deutschland liegt zurzeit der erste Entwurf für die ausdrückliche Erwähnung der Rechte von Kindern im Grundgesetz vor; die bisherige Diskussion dazu lässt jedoch befürchten, dass es sich eher um eine Showveranstaltung handelt. Das Verbot der psychischen und physischen Gewalt gegen Kinder existiert in Österreich bereits seit 1989 (das erste Land in dieser Hinsicht war Schweden 1979); in Deutschland wurde erst im Jahr 2000 eine Gewaltschutzregelung für Kinder in das BGB eingefügt.

Wie in Deutschland wird auch in Österreich bei erkennbarem Bedarf eine ambulante Familienhilfe eingesetzt, um zu allen Fragen der Erziehung und anderer Krisen und Notlagen unterstützend zu beraten und zu helfen. In Wien sind die Familienhelfer jedoch überwiegend direkt beim Bezirksamt angestellt und werden im Zwangskontext des Kinderschutzes tätig. In Deutschland ist dies an freie Träger ausgelagert; zumindest theoretisch gibt es einen Rechtsanspruch der Eltern auf diese Leistung, obwohl es in der Realität oft nur unter Druck zu einer ambulanten Unterstützung kommt.

Während eines Bereitschaftsdienstes wurde mir die Möglichkeit gegeben, bei der Abklärung einer Kinderschutzmeldung dabei zu sein. Eine Grundschule hatte mitgeteilt, dass drei Kinder einer Familie von Gewalt ihrer Eltern berichtet hatten. Zudem hatte die Schulärztin eine Vielzahl von Wunden an dem jüngsten, 7-jährigen Jungen festgestellt. Beim Gespräch mit den Lehrern und der Schulleitung wurde entschieden, die Kinder sofort durch das Jugendamt in Obhut zu nehmen. Anschließend wurden die Eltern über die Herausnahme ihrer Kinder informiert.

Während der Woche war ich bei drei Hausbesuchen dabei; die Familien waren schon länger im engen Kontakt zum Jugendamt. Es ging um gängige Themen wie Schuldistanz, häusliche Gewalt und hygienische Verhältnisse in der Wohnung. Trotz der schwierigen Problemlagen gelang es den Kolleginnen, eine vernünftige Arbeitsbeziehung zu den Eltern herzustellen; allerdings waren die Fortschritte in den Familien eher kleinteilig und immer wieder von Rückschlägen geprägt.

Fazit: Die erste Woche ist gut angelaufen; die Lernkurve war, wie erhofft und erwartet, besonders steil. Es gab auch einige interessierte Nachfragen zu den Arbeitsweisen des Jugendamtes in Deutschland und speziell in Berlin, die ich hoffentlich zufriedenstellend beantworten konnte. Es gibt etliche Wörter und Fachbegriffe, über die ich in Österreich gestolpert bin und die sich mir erst durch Erklärungen erschlossen haben. Für die nächste Woche wurden dankenswerterweise bereits einige externe Termine für mich vereinbart, um ein breites Spektrum an Eindrücken sicherzustellen.

  • Am Abfluggate nach Wien

    Am Abfluggate nach Wien

  • Türschild der Kinder- und Jugendhilfe im Magistratischen Bezirksamt 15
  • Büro der Kinder- und Jugendhilfe im Magistratischen Bezirksamt 15

    Büro der Kinder- und Jugendhilfe im Magistratischen Bezirksamt 15

  • Internet-Portal für Mitarbeiter*innen der Stadt Wien

    Internet-Portal für Mitarbeiter*innen der Stadt Wien

Zweite Woche

Zu Beginn der zweiten Woche stand ein Besuch bei der “Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie” an. Eine der 30 Mitarbeiterinnen (es gibt keine männlichen Mitarbeiter) nahm mich in Empfang, zeigte mir die Räumlichkeiten und erklärte mir die verschiedenen Aspekte dieser wichtigen Einrichtung. Es handelt sich um eine private Organisation, welche vom Staat finanziert wird. Jedes Jahr werden der Einrichtung von Polizei und Staatsanwaltschaft nahezu 6.000 Fälle neu zugewiesen. Neben der grundlegenden Beratung zum Thema Gewalt werden die Opfer auch in den Strafverfahren intensiv begleitet; dazu kommt eine konkrete Unterstützung bei allen anstehenden Themen wie z. B. der wirtschaftlichen Absicherung der fast ausschließlich weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt. Auch den mitbetroffenen Kindern wird in Zusammenarbeit mit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe Beratung angeboten; hier soll es aber noch Verbesserungsbedarf geben.

In meiner Dienststelle konnte ich an einer Reihe von Gesprächen mit Klienten teilnehmen. Die Problemlagen ähneln in vielerlei Hinsicht denen, die auch uns in den Jugendämtern in Berlin beschäftigen. Allerdings kann mit dem Thema “Wohnen” in Wien wesentlich entspannter umgegangen werden, da es insgesamt genügend Wohnraum gibt. Das “Rote Wien” als mittlerweile 101-jähriges Bauprogramm hat dafür gesorgt, dass insbesondere für die ärmeren Teile der Bevölkerung von der Kommune ein breites Spektrum an bezahlbaren Wohnungen zur Verfügung gestellt wird. Rund ein Viertel der Wiener lebt in diesen Gemeindewohnungen, die sich zudem quer über die Stadt verteilen und somit keine eigenen sozialen Brennpunkte darstellen. Eine von uns besuchte Familie konnte beispielsweise kürzlich mit ihren sieben Kindern eine Vier-Zimmer-Wohnung mit 93 Quadratmetern für eine Kaltmiete von 850 € beziehen.

Eine Überraschung war für mich die sehr praktisch am gelebten Familienalltag ausgerichtete Regelung zum Sorgerecht, welches in Österreich als Obsorge bezeichnet wird. Demnach übt bei getrennt lebenden, unverheirateten Eltern derjenige Elternteil im Wesentlichen allein das Sorgerecht aus, bei dem das Kind oder die Kinder leben. Dies geschieht entsprechend der Leitlinie “Wer allein die alltägliche Verantwortung für die Kinder hat, entscheidet auch allein”. Dadurch entfällt bei dem gemeinsamen Sorgerecht beider Eltern die häufig strittige Auseinandersetzung über Entscheidungen zur Schulauswahl, zur Impfung eines Kindes, zum Wechsel des Wohnortes oder zur Beantragung eines Reisepasses. Nur bei außergewöhnlichen Themen wie z. B. einer Namensänderung muss der mitsorgeberechtigte Elternteil einbezogen werden. So eine gesetzliche Regelung würde uns in Deutschland viel Ärger und Arbeit abnehmen und allen Beteiligten Stress ersparen!

Die Stadt Wien stellt mit ihren 1,91 Millionen Einwohnern rund 21 % der Bevölkerung von Österreich; somit hat die Hauptstadt einen erheblichen Einfluss in jedweder Hinsicht auf das gesamte Land. Dies ist eine erheblich andere Ausgangslage als in Berlin (anteilig sind es weniger als 5 % der Gesamtbevölkerung Deutschlands). Es wird damit gerechnet, dass Wien im Jahr 2027 die Zwei-Millionen-Grenze durchbricht. Erstaunliche 37 % der Wiener Bevölkerung sind im Ausland geboren; dies sorgt, zusammen mit der Hauptstadtfunktion und den vielen internationalen Firmen und Organisationen, für eine angenehm liberale, weltoffene Atmosphäre in der Stadt. Nach den Bevölkerungsgruppen aus Serbien/Montenegro und der Türkei repräsentieren die Deutschen mit gut 52.000 Menschen die drittgrößte ausländische Ethnie. Im Jahr 2019 standen die Deutschen, nach Rumänien, an zweiter Stelle der Neubürger von Wien; erst an dritter Stelle folgten die Österreicher, die aus anderen Teilen des Landes zugezogen sind.

Fazit: Wien bietet eine Menge an interessanten Überraschungen in verschiedenen Bereichen. Es gibt viele vorbildliche Lösungen, mit denen schwierige Problemlagen angegangen werden. Es bleibt spannend!

  • Gemeindewohnhaus

    Gemeindewohnhaus

  • Hundertwasser-Haus

    Hundertwasser-Haus

  • Bezirksamt

    Bezirksamt

  • Winter am Donaukanal

    Winter am Donaukanal

Dritte Woche

Die Woche begann mit einem ausführlichen Besuch bei der Familiengerichtshilfe. Im Jahr 2013 wurde diese Institution neu etabliert, um das Familiengericht durch fachliche Stellungnahmen bei der Entscheidungsfindung in Sorgerechts-, Umgangs- und Kindeswohlverfahren zu unterstützen. Die 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden jeweils zu zweit vom Gericht beauftragt, bestimmte Fragestellungen intensiv zu bearbeiten und eine Empfehlung auszusprechen. Vom Ansatz her ähnelt dies der Aufgabenstellung eines Verfahrensbeistands in Deutschland, aber im Gegensatz dazu geht es nicht primär um eine Interessenvertretung des Kindes, sondern um eine vom Jugendamt unabhängige Perspektive. Innerhalb von drei Monaten soll eine eigenständige Haltung entwickelt werden, die eine möglichst objektive Einschätzung der familiären Situation beinhaltet. Häufig gibt es beim Jugendamt bereits eine schwierige Arbeitsbeziehung zu den Klienten; darüber hinaus muss das Jugendamt auch nach einem Beschluss des Familiengerichts weiterhin mit der Familie zusammenarbeiten. Diese Umstände entfallen bei der Familiengerichtshilfe, die somit weniger Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten nehmen muss.

Am Dienstag stand der Besuch einer Wohngemeinschaft von acht Kindern auf dem Programm. Die 230 (!) Quadratmeter große Wohnung befindet sich in einem teuren Altbau-Viertel von Wien und ist hochwertig und modern ausgestattet. Fünf Pädagogen begleiten die Kinder durch den Alltag; zudem kümmert sich noch eine Hauswirtschaftskraft um das Essen und den Haushalt. Diese Einrichtung wird von der Stadt Wien in eigener Trägerschaft betrieben; die Mietkosten belaufen sich dabei auf 2.000 € im Monat. Für die aus überaus schwierigen Verhältnissen stammenden Kinder stellt diese Einrichtung einen echten Glücksfall dar, auch wenn eine funktionierende familiäre Umgebung natürlich wünschenswert wäre.

Am Mittwoch konnte ich endlich auch das Familiengericht bei einem Verhandlungstermin erleben. Da ich mit der Rechtsvertretung (Beistandschaft) des Jugendamtes unterwegs war, ging es um die Klärung einer Vaterschaft und in der Folge um die Verpflichtung zu entsprechenden Unterhaltszahlungen. Der von der Mutter benannte mögliche Vater zweifelte seine Vaterschaft an, so dass ein Gutachten bei einem privaten Institut in Auftrag gegeben werden musste. In Österreich werden jedoch die weitaus meisten Fälle beim Familiengericht ohne eine mündliche Verhandlung im Beisein von Eltern, Jugendamt oder Familiengerichtshilfe entschieden. Es läuft gerade ein Modellprojekt, bei dem die direkte Auseinandersetzung aller Beteiligten in einem Gerichtstermin erprobt wird. Dies ist hingegen in Deutschland der vorgeschriebene Normalfall, den ich auch für sehr sinnvoll halte.

Am Donnerstag besuchte ich eine Sozialarbeiterin aus Berlin, die bereits seit zehn Jahren in Wien arbeitet. Seit April 2019 ist sie bei der neu geschaffenen “Schulkooperation” der Stadt Wien beschäftigt; diese Institution wurde kurzfristig neu geschaffen, nachdem das weithin beachtete Buch einer Lehrerin zu den sozialen Missständen in den Schulen für Aufsehen gesorgt und die österreichische Bundespolitik zum Handeln gezwungen hatte. Die Schulkooperation soll die Lücke zwischen alltäglicher Schulsozialarbeit (soweit an den Schulen vorhanden) und Kinderschutz (als zentraler Aufgabe des Jugendamtes) schließen; innerhalb von sechs bis acht Wochen sollen zielorientierte Vorschläge für schwierige Problemlagen wie z. B. wiederholte Aggressivität bei Kindern sowie mögliche Gefährdungslagen präsentiert werden.

Am Freitag fand ein Fachforum der Initiative “GewaltFREI leben” in den Räumen der Juristischen Fakultät der Universität Wien statt. Die zentrale Fragestellung drehte sich um die Problematik “Aussage gegen Aussage” bei Fällen von (Ex-)Partnerschaftsgewalt. Auch in Österreich werden viele Strafverfahren eingestellt, da den sehr überwiegend männlichen Tätern entweder keine strafbaren Handlungen nachgewiesen werden können oder weil den Opfern häufig nicht geglaubt wird. Bei dieser Veranstaltung stand die Rolle der Justiz im Mittelpunkt; erfreulicherweise nahm eine erhebliche Anzahl von Staatsanwälten und Richtern teil. Es wurde festgestellt, dass es nicht nur an opfersensiblen Qualifizierungen bei vielen Beteiligten mangelt, sondern auch, dass zu wenig Kommunikation zwischen den professionellen Helfern und Institutionen stattfindet.

Fazit: Eine lebhafte Woche, in der ich viele externe Termine realisieren und dementsprechend viele Anregungen für meine weitere Arbeit aufnehmen konnte.

  • Blick in eine Wohngemeinschaft für insgesamt acht Kinder

    Blick in eine Wohngemeinschaft für insgesamt acht Kinder

  • Eingang zum Familiengericht (Bezirksgericht)

    Eingang zum Familiengericht (Bezirksgericht)

  • Fachforum der Initiative "GewaltFREI leben" zu häuslicher Gewalt

    Fachforum der Initiative "GewaltFREI leben" zu häuslicher Gewalt

  • Meine österreichische Kollegin Frau Niederlechner

    Meine österreichische Kollegin Frau Niederlechner

Vierte Woche

Eine Kollegin bat mich, sie zu einer Fallverlaufskonferenz in einer Wohngruppe zu begleiten. Diese regelmäßigen Zusammenkünfte aller Beteiligten dienen dazu, die stationäre Unterbringung eines Kindes aufmerksam zu begleiten und eine Rückführung zur Familie zu prüfen. Der 11-jährige Junge, eines von vier Kindern der Familie, lebt bereits seit fünf Jahren in einer Einrichtung; er wünscht sich, möglichst bald wieder nach Hause zurückkehren zu können. Ihm ist bis heute nicht klar, warum er überhaupt untergebracht ist, da ihm seine Mutter immer wieder erklärt, dass zu Hause schon immer alles in Ordnung war und ist. Auch bei unserem aktuellen Gespräch zeigte sie wenig Einsichtsfähigkeit, obwohl sie u. a. weiterhin über keinen gesicherten Wohnraum verfügt. Immerhin hält der gewalttätige Vater jetzt Abstand zur Familie.

Am nächsten Tag hatten wir eine Inobhutnahme von zwei Kindern in den Räumen des Jugendamtes; da die Eltern im Widerstand waren und die Mutter mit Suizid drohte, wurden Polizei und Feuerwehr hinzugezogen. Nach der Trennung von den Eltern wurden die Kinder zusammen mit einer Kollegin und mir in einem Raum eingeschlossen, damit die Eltern nicht mehr mit den Kindern flüchten konnten. Später verließen wir unauffällig das Amtsgebäude und brachten die Kinder in einem Krisenzentrum unter. In Wien gibt es insgesamt 122 Krisenplätze für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren; zu diesem Zeitpunkt waren die Krisenzentren jedoch mit 154 Kindern überbelegt. Dies kommt regelmäßig vor und ist zwar nicht ideal, kann aber durch die vorhandenen Reservekapazitäten in den Zentren abgefangen werden. Dort bleiben die Kinder in der Regel sechs Wochen, bevor es zu einer Entscheidung (Rückkehr in den elterlichen Haushalt oder langfristige Unterbringung in einer Pflegefamilie bzw. Einrichtung) kommt.

Schließlich besuchte ich auch eines der 18 Familienzentren, die es in Wien gibt. Mit einer Kollegin nahm ich an einem Treffen der wöchentlichen Babygruppe teil. Die meisten Mütter (und wenigen Väter) nehmen freiwillig daran teil; es sind aber immer auch Elternteile dabei, die dazu vom Jugendamt oder vom Familiengericht verpflichtet wurden, um die Kompetenzen der Eltern im Bereich Aufsicht, Versorgung und Förderung der Babys zu stärken. In den Familienzentren arbeiten Sozialarbeiter, Erzieher (in Österreich werden Erzieher grundsätzlich als Sozialpädagogen bezeichnet) und Psychologen eng zusammen, da auch die Erziehungs- und die Umgangsberatung zu den Aufgaben der Zentren zählen. Auch Hausbesuche werden in Einzelfällen durchgeführt, um die tatsächliche Situation einer Familie zu erfassen; zudem wird eine Beratung in Bezug auf finanzielle Probleme angeboten.

Am Donnerstagabend nahm ich noch an einer Veranstaltung mit dem interessanten Titel “Können wir uns Kinderarmut leisten?” im wunderschönen Wiener Rathaus teil. Es wurde dargelegt, dass 43.000 der 126.000 Einwohner, die in Wien von Sozialleistungen leben, Kinder sind. Ihre Teilhabe an der Gesellschaft ist durch die dürftige materielle und finanzielle Ausstattung ihrer Elternhäuser stark eingeschränkt. Eine Referentin machte deutlich, dass es, ähnlich wie in Deutschland, vor allem die Haushalte von Alleinerziehenden, kinderreichen Familien sowie solche mit geringqualifizierten Erwachsenen sind, die davon betroffen sind. Nach der Podiumsdiskussion stellte ich die Frage, ob nicht auch Haushalte, in denen Menschen mit Migrationshintergrund leben, davon betroffen sind. Anders als in Deutschland soll dies in Österreich jedoch nicht der Fall sein.

Fazit: Es war eine ereignisreiche Woche, die mir noch einmal verschiedene Aspekte im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe in Österreich und speziell in Wien nähergebracht hat. Es hat sich gelohnt!

  • Am Eingang zum Krisenzentrum

    Am Eingang zum Krisenzentrum

  • Einführungsbuch für neu aufgenommene Kinder

    Einführungsbuch für neu aufgenommene Kinder

  • Blick in ein Familienzentrum

    Blick in ein Familienzentrum

  • Veranstaltung im Wiener Rathaus zur Frage "Können wir uns Kinderarmut leisten?"

    Veranstaltung im Wiener Rathaus zur Frage "Können wir uns Kinderarmut leisten?"