LoGo! Europe: Ayhan Benek berichtet aus Istanbul

_Für gewöhnlich arbeitet Ayhan Benek im Facility Management des Bezirksamts und ist dort für die bauliche Unterhaltung der Bezirksliegenschaften verantwortlich. Im Herbst 2019 hospitierte sie für vier Wochen in der Bauverwaltung und im Stadtplanungsamt des Istanbuler Bezirks Beyoğlu. Hier ihr Bericht:_

Bezirksamt Beyoğlu (Rathausgebäude)

Bezirksamt Beyoğlu (Rathausgebäude)

Beyoğlu: zentraler Bezirk westlich des Bosporus im europäischen Teil von Istanbul

Zunächst einige geografische und geschichtliche Informationen über Beyoğlu in Istanbul:

Der Bezirk Beyoğlu liegt auf der europäischen Seite von Istanbul und war eine der ersten Ansiedlungen auf diesem Gebiet. Am 20. April 1924 wurde die Gemeinde Beyoğlu gegründet. Beyoğlu mit seiner reichen Kultur ist ein beliebter Bezirk Istanbuls, in dem Menschen verschiedener Religionen und Sprachen zusammenleben. Im Stadtteil Galata lebten in byzantinischer Zeit Genuesen; die Christen aus Galata und Ausländer siedelten sich in der Umgebung der Botschaften und entlang der İstiklalstraße an. Missionierende Franziskaner, die sich in der Nähe der französischen und venezianischen Botschaften ansiedelten, bildeten den Kern der Siedlung. Auf diese Weise begann sich in Istanbul im 17. Jahrhundert eine ganz eigene Gesellschaft zu entwickeln. In Beyoğlu gibt es zahlreiche christliche Kirchen sowie Synagogen und Moscheen.

Der Tunnel, der Galatasaray mit Beyoğlu verbindet und das weltweit erste unterirdische Schienenverkehrssystem darstellt, wurde im Jahre 1873 in Beyoğlu in Betrieb genommen. Beyoğlu selbst wurde entsprechend dem Charakter der Tanzimat-Zeit (Reformperiode im Osmanischen Reich) erstes Beispiel für westlichen Städtebau. Dies war Ausgangspunkt für eine Verwestlichung mit ihren geschichtlichen, geografischen, ethnischen und kulturellen Besonderheiten. Beyoğlu war ein Fenster, das sich mit seinem Hafen, den Docks und dem Goldenen Horn der Welt als Handelszentrum öffnete. Die Einheimischen waren reich und offen nach Westen.

Heute zieht Beyoğlu mit seiner Weltoffenheit, der İstiklalstraße, dem Taksim-Platz, dem Galataturm und den zahlreichen Cafés und Kulturaktivitäten als einer der bunten Bezirke von Istanbul bis zu zwei Millionen Touristen pro Tag an.

Erste Woche

An meinem ersten Tag wurde ich von einem meiner Betreuer, Anıl Kurtuluş, herzlich empfangen, der mir gleich das Gebäude des Bezirksamts Beyoğlu zeigte. Das Rathaus war vor ca. drei Jahren sehr aufwändig renoviert worden.

  • Rathausbegehung

    Anıl Kurtulus macht mit mir eine erste Begehung des Rathausgebäudes.

  • Rathausbegehung

    Im renovierten Rathausgebäude.

  • Bezirksmodell

    Modell des Bezirks Beyoğlu. Das Rathaus ist das beleuchtete Gebäude in der Mitte.

Zuvor hatte er den Gruppenleiter des Bauaufsichtsamtes Levent Çetin über mein Ankommen informiert und einen Gesprächstermin vereinbart. In diesem Gespräch haben wir gleich festgestellt, dass der Arbeitsbereich des Bauaufsichtsamtes eigentlich nicht mit meinem Tätigkeitsbereich in Berlin (Bauleiterin im Facility Management) übereinstimmt. Die Verwaltung der 39 Istanbuler Bezirke ist jeweils unterschiedlich aufgebaut und vor allem ganz anders als in Berlin organisiert. Auf kurzem Dienstweg rief Herr Çetin seinen Kollegen Levent Göçer (Gruppenleiter im Stadtplanungsamt) an und fragte, ob eine Zusammenarbeit und ein Austausch mit mir für sein Amt in Frage käme. Daraufhin wurde ich ganz spontan zu einem kurzen Kennenlerngespräch eingeladen, das über eine Stunde dauerte.

Ich wurde von beiden Gruppenleitern sehr freundlich und interessiert empfangen. Insbesondere haben die beiden Gruppenleiter gleich ihre Kritikpunkte an der eigenen Organisationsstruktur aufgelistet und mich nach den Unterschieden zu Berlin befragt.

Im Bezirk Beyoğlu sind ca. 250.000 Einwohner gemeldet. Tagsüber und insbesondere am Wochenende steigt diese Zahl auf ca. zwei Millionen Besucher.

Berufsverkehr

Jeden Tag machen sich Tausende von berufstätigen Istanbuler*innen im Berufsverkehr auf den Weg zur Arbeit. Ich habe diesen Stress minimiert, indem ich eine halbe Stunde früher zur Arbeit fahre. Jeden Morgen und Abend kommt es in und um die 16-Millionen-Stadt zu einem Verkehrschaos.

Zuerst zum Bezirk und zur Verwaltungsstruktur im Allgemeinen:

Die Arbeitszeiten sind von 8:30 bis 17:00 Uhr. Zwischen 12:00 und 13:00 Uhr ist Mittagspause. Das Bezirksamt bietet seinen Beschäftigten in diesem Zeitraum kostenloses Essen an. Am zweiten Tag wurde mir gleich ein Computer mit Internetzugang zur Verfügung gestellt. In einem Großraumbüro arbeiten ca. zehn Beschäftigte gleichzeitig. Der Raum ist zwischen den ständigen Bürgerbesuchen, Fragen und laufenden Projekten sehr laut. Trotz dieser akustischen Belastung müssen sich die sehr netten Kolleg*innen auf ihre Arbeiten konzentrieren. Diese Arbeitsweise ist für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Mein Computer und Arbeitstisch befinden sich auch in diesem Raum.

Der größte Unterschied zwischen Berlin und Istanbul in der Bezirksverwaltung besteht darin, dass die Dienste des Bezirksamtes als eine politische Dienstleistung verstanden und behandelt werden. Deshalb erfolgen die Bürgerbesuche im Bauaufsichtsamt ohne Voranmeldung und in Form von sehr ausführlichen Beratungsgesprächen.

Das Bezirksamt bietet keine Bauleitungsdienste in eigenen Verwaltungsgebäuden. Bezirke haben nur sehr wenige Liegenschaften. Eines von diesen Dienst- und Bürogebäuden des Bezirks Beyoğlu befindet sich gerade im Bauzustand. Ich durfte die Unterlagen dieses Bauvorhabens, das als einziges meinem Arbeitsbereich als Bauleiterin im Hochbau im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf ähnelt, einsehen.

Am vierten Tag habe ich die Kolleg*innen in der Gruppe Projektausführung kennengelernt und mit ihnen ausführliche Gespräche über ihre Tätigkeiten und Arbeitsbereiche geführt. Im Grunde genommen ist der Ablauf der Genehmigungen und der Prozesse der Bauausführung – von politischen Einflüssen abgesehen – nicht sehr anders als in Berlin. Bei dieser Gelegenheit habe ich mein Interesse an einer Ortsbesichtigung der Baustelle zum Ausdruck gebracht.

Da die Verwaltung anders strukturiert ist, werde ich meine Hospitation zwischen Bauaufsichtsamt und Projektausführung absolvieren.

Zweite Woche

Am ersten Tag meiner zweiten Woche kamen die vier weiteren hospitierenden Kollegen aus Berlin in Istanbul an. Die Betreuer Melis Kaplangı und Herr Kurtuluş veranstalten mit uns allen zusammen eine allgemeine Informationsrunde und gingen anschließend mit uns Mittag essen. Frau Kaplangı fragte uns nach unseren Wünschen zu Kontakten und Terminen mit den unterschiedlichen Abteilungen, da unsere Arbeitsgebiete hier in Istanbul auf diverse Abteilungen verteilt sind. In diesem Gespräch wurde mir auch klar, dass Frau Kaplangı auch über bezirksübergreifende Kontakte verfügt, sogar in der Großstadtbezirksverwaltung.

Neues Bezirksamtsgebäude in der İstiklalstraße

Neues Bezirksamtsgebäude in der İstiklalstraße

Zudem hatte ich Gelegenheit, ein neues Dienstgebäude des Bezirksamts, das gerade gebaut wird, gemeinsam mit Galip Yoğun aus der Fachtechnik und Basar Celikkalkan aus der Projektausführung zu besichtigen. Das Gebäude befindet sich in der İstiklalstraße, die unter Touristen sehr beliebt und voll mit Luxusläden ist. Die İstiklalstraße war schon immer eine attraktive, luxuriöse Einkaufsstraße.

Das Objekt ist eine eigene Liegenschaft des Bezirks Beyoğlu. Planung und Ausführung wurden fremdvergeben. Das Gebäude befindet sich zwischen dem russischen Konsulat und der Kirche Heilige Maria Draperis. Der Blick aus der obersten Etage, in der selbstverständlich später das Bürgermeisterzimmer sein wird, war herrlich.

Blick aus der obersten Etage des zweiten Dienstgebäudes der Bezirksverwaltung mit Galip Yoğun aus der Fachtechnik (links) und Basar Celikkalkan von der Projektsteuerung (Mitte).

Blick aus der obersten Etage des zweiten Dienstgebäudes der Bezirksverwaltung mit Galip Yoğun aus der Fachtechnik (links) und Basar Celikkalkan von der Projektsteuerung (Mitte).

Darüber hinaus konnte ich eine zweite Liegenschaft des Bezirks besuchen: das Jugendzentrum. Hier wurde ein baulicher Schaden festgestellt, woraufhin das Gebäude außer Betrieb genommen wurde. Während des U-Bahn- und naheliegendes Parkhausbaus wurden Absetzungen im Gebäude beobachtet. Diese zeigten sich insbesondere in Form von Rissen auf dem Boden. Deshalb wurde ca. acht Tage zuvor ein Glastest gemacht, um die Entwicklung der Risse zu beobachten. Diese Kontrollen wurden durch Erbil Tuncay und Mehmet Yılmaz von der Abteilung Projektsteuerung durchgeführt.

  • Glastest für Risse auf dem Boden

    Glastest für Risse auf dem Boden

  • Glastest (Nahaufnahme)
  • Die Spuren des Schadens sind auch außen auf der Fassadenverkleidung zu erkennen.

    Die Spuren des Schadens sind auch außen auf der Fassadenverkleidung zu erkennen.

  • Fassadenverkleidung des Jugendzentrums

Zu dem Gebäude wurden keine statischen Unterlagen oder Baupläne gefunden. Probebohrungen waren deshalb hilfreich, um den Aufbau des Bodens zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Die Frage ist, ob eine Renovierung des Gebäudes sinnvoll ist, statt es abzureißen und neu zu bauen. Anhand der Testergebnisse wird hierzu ein Gutachten erstellt und an die Leitung des Bezirksamtes übermittelt. Abhängig auch von etwaigen politischen Interessen fällt die Leitung die Entscheidung. Politische und finanzielle Interessen können dabei ganz anders ausfallen als das Ergebnis des vorliegenden Fachgutachtens. Das ist der Teufelskreis in der Verwaltung hier.

Zwei engagierte Mitarbeiterinnen des Bauaufsichtsamts: Chefin Özden Yumurtacı und Ebru Gürsel

Zwei engagierte Mitarbeiterinnen des Bauaufsichtsamts: Chefin Özden Yumurtacı und Ebru Gürsel

Von links nach rechts: Seda Sizer, Gruppenleiter Levent Çetin, Mehmet Yildirim, Özden Yumurtaci, Technikchef Galip Yoğun, Ayhan Benek, Gülçin Yilmaz Liman und Ebru Gürsel

Von links nach rechts: Seda Sizer, Gruppenleiter Levent Çetin, Mehmet Yildirim, Özden Yumurtaci, Technikchef Galip Yoğun, Ayhan Benek, Gülçin Yilmaz Liman und Ebru Gürsel

Denkmalgeschützte Gebäude, die als Hotels restauriert wurden. Da Immobilien im Bezirk Beyoğlu sehr gefragt sind, werden die Objekte mit ein bis drei Staffelgeschossen aufgestockt. Diese Aufstockungen werden vom Bauaufsichtsamt teilweise toleriert.

Denkmalgeschützte Gebäude, die als Hotels restauriert wurden. Da Immobilien im Bezirk Beyoğlu sehr gefragt sind, werden die Objekte mit ein bis drei Staffelgeschossen aufgestockt. Diese Aufstockungen werden vom Bauaufsichtsamt teilweise toleriert.

Der Galataturm im Bezirk Beyoğlu ist eine der Sehenswürdigkeiten Istanbuls und wurde ursprünglich um 527 unter dem byzantinischen Kaiser Justinian I. als Sichtungsturm gebaut. 1967 wurde er von dem Meisterarchitekten Köksal Anadol restauriert. Er stellte nach all den Jahren den Originalaufriss wieder her und rekonstruierte das konische Dach des Turms, dessen Freigang um die Spitze heute eine der schönsten Aussichten über die Stadt bietet.

Der Galataturm im Bezirk Beyoğlu ist eine der Sehenswürdigkeiten Istanbuls und wurde ursprünglich um 527 unter dem byzantinischen Kaiser Justinian I. als Sichtungsturm gebaut. 1967 wurde er von dem Meisterarchitekten Köksal Anadol restauriert. Er stellte nach all den Jahren den Originalaufriss wieder her und rekonstruierte das konische Dach des Turms, dessen Freigang um die Spitze heute eine der schönsten Aussichten über die Stadt bietet.

Blick vom Galataturm auf die Stadt.

Blick vom Galataturm auf die Stadt.

Dritte Woche

In meinem Bericht von der dritten Woche möchte ich über einige allgemeine Eindrücke von den menschlichen Vorurteilen hier schreiben. Die meistgestellten Fragen über die deutsche Verwaltung sind die:

  • Wozu gibt es überhaupt dieses Programm? Die Deutschen sind ja solche Perfektionisten. Was sie machen, machen sie ja tadellos. Was können sie von uns mitnehmen und Neues lernen?
  • Wie sind die Deutschen so bei der Arbeit? Distanziert, kalt und keine Gefühle zeigend?

Es gibt hier schon ein allgemeines Bild über die deutsche Verwaltung und Arbeitsdisziplin: Es kann nichts besser funktionieren als bei den Deutschen!

Die allgemeinen Aufgaben der Verwaltung sind hier auch nicht viel anders als in Berlin. Beyoğlu ist ein besonderer Stadtteil mit sehr vielen Gebäuden, die unter Denkmalschutz stehen.

Meine Erfahrung hier bei dem Bauaufsichtsamt ist, dass die Bürgerberatung sehr gut und auf sehr schnelle und unkomplizierte Art und Weise abgewickelt wird. Sie funktioniert dank des Engagements der einzelnen Mitarbeiter*innen. Bürgerdienste werden auf der anderen Seite auch als Wahlpropaganda und eine wichtige Anlage für die nächste Wahlperiode gesehen und besonders gefördert: Wer die Bürger*innen zufriedenstellt, bekommt in den nächsten Wahlen auch ihre Stimmen. Das Bauaufsichtsamt hat keine Sprechstunde, so dass die Bürger ohne Voranmeldung jederzeit durch die offene Tür treten und mit ihren Anliegen loslegen können. Die Mitarbeiter*innen des Bauaufsichtsamts sind sehr kompetent und können die Fragen der Bürger*innen schnell beantworten. Ich beobachte es sehr erstaunt, wie viel Bürokratie und Zeit diese formlosen Beratungen sparen können. Fragen über einzelne Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen, können hier auf die Schnelle beantwortet werden, bevor der Antrag für das Bauvorhaben beim Denkmalamt gestellt wird. Besonders diese Form von Bürokratie und zeitsparende Arbeitsweise ist hier anders als in Berlin.

Im Übrigen konnte ich meine Kolleg*innen hier in Beyoğlu beruhigen und ihre Neugier über die deutsche Verwaltung und die dortigen menschlichen Beziehungen dahingehend antworten, dass wir uns auch dort sehr gut verstehen und sehr kollegiale Beziehungen haben. Über meine Abteilung konnte ich nur Gutes erzählen. Diese Hospitation wurde für mich auch zu einer Gelegenheit zu sehen, wie wichtig es ist, in einer zufriedenstellenden Arbeitsatmosphäre zu arbeiten.

Nichtsdestotrotz bleibt meine Kritik an der Istanbuler Verwaltung am Beispiel von Beyoğlu, dass Entscheidungen letztendlich politisch getroffen werden. Die Verwaltungsarbeiten werden bis zur finalen Entscheidung genau wie bei uns sachlich und fachlich gut ausgeführt. Am Ende sind diese Arbeiten und Gutachten aber nur für die Akten.

In dieser Woche hatte ich eine sehr spannende Besichtigung des größten Projekts in Sachen Städtebau und Stadtentwicklung in Istanbul, des Bauvorhabens Taksim 360. Das Bauvorhaben erstreckt sich über 20.000 qm Bauland, 360 m vom Taksim-Platz und 500 m von Galataturm und Goldenem Horn entfernt. 165.000 qm Wohnfläche werden hier geschaffen. Das Projekt wird für ca. 500 Millionen US-Dollar realisiert, gebaut durch die GAP-Baugesellschaft.

Mit dem Projekt wurde 2006 angefangen. Es wurde hinsichtlich der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte sehr viel kritisiert und protestiert. Um dieses Bauvorhaben realisieren zu können, wurden die Einwohner*innen und Eigentümer*innen dieses Viertels in erste Linie von hier vertrieben. Enteignungen wurden durch die Bezirksverwaltung von Beyoğlu vorgenommen, nicht immer konnten sich die Parteien friedlich einigen. Die Bewohner*innen dieses Viertels kamen aus sozial schwächeren Familien, die Gentrifizierung wurde vonseiten der Stadt realisiert. Neue Wohnflächen werden für ca. 10.000 US-Dollar zum Kauf angeboten. Aus einem armen Brennpunktviertel entsteht hier gerade auf Kosten der vertriebenen Bewohner*innen ein Reichenviertel.

  • Gruppenbild Baustellenbesichtigung

    Besuch des größten städtebaulichen Projekts in Beyoğlu, Taksim 360, zusammen mit Galip Yoğun aus der Fachtechnik und Mehmet Yıldırım aus der Projektsteuerung.

  • Baustelle Taksim 360
  • Baustelle Taksim 360
  • Baustelle Taksim 360
  • Baustelle Taksim 360
  • Baustelle Taksim 360

Vierte Woche

In meinem vierten Wochenbericht möchte ich den Gentrifizierungsprozess im Bezirk Beyoğlu am Beispiel des Stadtteils Tarlabaşı thematisieren. Tarlabaşı hat bereits leidvolle Erfahrungen mit Gentrifizierung gemacht. Die Regierung hat seit 2006 gegen große Widerstände ein umstrittenes Stadtentwicklungsprojekt (Taksim 360) durchgedrückt (siehe oben). Dazu wurden Hunderte Häuser abgerissen, um nun in historisierender Form als Büros und Wohnungen für die Mittelschicht wieder aufgebaut zu werden. Heute sind nur einige Kirchen und alte Fassaden von dem geschichtsreichen Viertel geblieben. Sie erinnern an die Griechen und Armenier, die noch bis vor 50 Jahren überwiegend hier lebten. Im Viertel sind noch etliche Kirchen und viele Häuser zu sehen, die marode und deren Eigentumsrechte immer noch ungeklärt sind.

Der damalige zuständige Bezirksbürgermeister von Beyoğlu, Misbah Demircan, wollte das heruntergekommene Tarlabaşı wieder in einen “sicheren, lebens- und liebenswerten” Stadtteil verwandeln. Tatsächlich ist Tarlabaşı seit Jahrzehnten ein Wohn- und Amüsierviertel, wo Kellner leben, aber auch Stricher und Transvestiten untergetaucht sind und illegale Flüchtlinge eine Bleibe gefunden haben. In vielen Kellern hausen Müllsammler und ihre Familien. Mit seiner explosiven sozialen und kulturellen Mischung ist Tarlabaşı ein armes Viertel.

Wenn das “Restaurationsprojekt Tarlabaşı” in einigen Jahren vollendet ist, wird der Bezirk nicht mehr wiederzuerkennen sein. Angesichts der dann vorherrschenden Immobilienpreise (geplant ist ein Preis von 10.000 US-Dollar pro qm) wird die Bewohnerstruktur sich komplett verändern.

In Tarlabaşı findet sich das erste Beispiel eines gigantischen Abriss- und Erneuerungsprojekts in der Türkei, wo knapp 300 Häuser auf fast 30.000 qm Fläche komplett abgerissen und dann wieder neu aufgebaut werden. Das Projekt wird in einer Kooperation zwischen der öffentlichen Hand (vertreten durch den Bezirk Beyoğlu) und Privatinvestoren durchgeführt. Der Bezirk hatte seine Pläne zur Umwandlung von Tarlabaşı im Jahr 2007 fertiggestellt und präsentiert. Teilweise sollten die Bewohner*innen ihre Häuser und Wohnungen zu einem vom Bezirk geschätzten sehr niedrigen Verkehrswert an den Baukonzern verkaufen, sonst wurden sie enteignet. Um die kompromisslose Erneuerung auf den Weg zu bringen, schuf die Regierung 2005 ein Gesetz, das den Denkmalschutz außer Kraft setzt, offiziell dem “Ensembleschutz” dienen soll, Hauseigentümer*innen zum Verkauf zwingt und dem Staat die Möglichkeit gibt, Eigentümer*innen zu enteignen, wenn sie sich dem Gemeinschaftsinteresse verweigern.

In Tarlabaşı hat der Bezirk aber längst die Kontrolle an einen privaten Großinvestor abgegeben. Das Regiment führt die Calik-Holding, ein Unternehmenskonglomerat, das in der Ära der AKP-Regierung großgeworden ist und in dem nicht ganz zufällig der Schwiegersohn von Ministerpräsident Tayyip Erdoğan im Vorstand saß. Planung und Durchführung des Projekts obliegt der GAP İnşaat, einem großen Bauunternehmen, das zur Calik-Holding gehört und der das Projekt ohne Ausschreibung übertragen wurde. GAP İnşaat hat die Besitzer*innen von 269 Häusern dazu gebracht, ihre Immobilien zu einem sehr niedrigen Preis an den Konzern abzutreten oder aber sich selbst an dem Projekt zu beteiligen. Rund 45 Prozent des Bestandes gehören nun GAP İnşaat, 50 Prozent sind weiterhin in Privatbesitz und 5 Prozent in Bezirkshand.

Dieses Projekt ist nur der Anfang der Gentrifizierung des gesamten Kiezes. Schon jetzt sind die Häuserpreise in ganz Tarlabaşı enorm in die Höhe gestiegen. Der gewollte Nebeneffekt der Flächensanierung in Tarlabaşı wird es sein, die dort jetzt lebenden Bewohner*innen aus dem Stadtzentrum zu verbannen.

In meiner letzten Aufenthaltswoche hatte ich zudem Gelegenheit, das große Galataport-Projekt zu besuchen. Eine detaillierte Beschreibung und die Einzelheiten dieses Bauprojektes werde ich in meinem internen Abschlussbericht zusammenfassen, denn ich muss leider morgen früh diese schöne Stadt verlassen. Nichtsdestotrotz ergänze ich meinen letzten Wochenbericht mit einigen Fotos von diesem gigantischen Bauprojekt als Vorgeschmack.

Es war eine beeindruckend professionell geführte Baustelle. Im April 2020 soll der Galataport fertiggestellt sein. Dieser Baustellenbesuch war ein super Abschluss für meine Zeit in Istanbul.

  • Modell von Galataport

    Galataport als Modell

  • Blick auf die Baustelle von Galataport

    Bauen 14 Meter unterhalb des Meeresspiegels

  • Gruppenbild vor der Baustelle von Galataport

    Baustellenbesuch mit Projektleiter Ömür Gezen und Basar Celikkalkan

  • Abdichtungsarbeiten auf der Baustelle

    Abdichtungsarbeiten auf den Terrassen

  • Baubüro Galataport

    Baubüro des Galataport-Projekts

  • Terrassenblick auf den Hafen

    Blick von der Terrasse des Baubüros