LoGo! Europe: Daniela Viezens berichtet aus Amsterdam

Im Jugendamt des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf ist Daniela Viezens als Sozialarbeiterin tätig. Im Herbst 2024 hospitiert sie für vier Wochen bei Kolleginnen und Kollegen in der niederländischen Hauptstadt. Hier ihr Bericht:

Ich arbeite als Sozialarbeiterin im Regionalen Sozialpädagogischen Dienst (RSD) des Jugendamtes und gehöre zum Regionalteam am Standort Mierendorffstraße. Zu meinen Aufgaben zählen die Beratung von Eltern und Kindern bei Erziehungsfragen sowie familiären Problemen. Familien können verschiedene Hilfen zur Erziehung beantragen. Der RSD ist zudem für den Kinderschutz und den Krisendienst im Bezirk zuständig. Ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wie Kitas, Schulen, Kliniken, Kinderschutzambulanzen, der Polizei und dem Familiengericht.

Ich habe Amsterdam als Hospitationsziel gewählt, da die Stadt eine reiche kulturelle Vielfalt und eine dynamische städtische Entwicklung bietet. Ich bin daran interessiert, innovative Ansätze und bewährte Praktiken des Jugendamts Amsterdam kennenzulernen, insbesondere in Bezug auf die Unterstützung von Familien. Während meines Aufenthalts möchte ich mich auf interkulturelle Arbeit und Integration konzentrieren. Zudem interessiert mich, wie vielfältig die Verwaltung in Amsterdam ist und wie dies der Arbeit im Jugendamt zugutekommt. Ein weiterer Punkt ist die Partizipation von Familien, insbesondere durch den seit langem angewandten Familienrat. Da ich kein Niederländisch spreche, werde ich mich auf Englisch verständigen. Die Niederlande gelten als das Land mit den höchsten Englischkenntnissen unter den nicht muttersprachlichen Ländern der EU.

1. Woche

Ich bin am Sonntag, dem 13. Oktober 2024, vor meinem Hospitationsbeginn angereist. Es war nicht einfach, eine geeignete Unterkunft zu finden, doch schließlich habe ich ein Zimmer im Stadtbezirk Nieuw-West Amsterdam bekommen. Im Januar 2024 hatte dieser Bezirk 164.789 Einwohner. Das Gemeindeverwaltungsbüro des Nationalen Programms “Gemeinsam für Nieuw-West Amsterdam” für Jugendliche befindet sich in einem Hochhaus der Gemeindeverwaltung. Ich wurde herzlich von meinen niederländischen Kollegen Tjalling de Vries und Frank Barnhoorn begrüßt und erhielt direkt einen Vortrag über das Gesundheitssystem in Amsterdam, einschließlich des Jugendgesetzes und der nichtmedizinischen Unterstützung für Kinder und Jugendliche. Das Team arbeitet an verschiedenen Programmen zur Vernetzung und Lösung bezirksspezifischer Herausforderungen. Die Arbeitsumgebung ist sehr komfortabel: öffentliches Internet ist kostenfrei verfügbar, und die Konferenzräume sind gut ausgestattet. Seit 2019 hat Amsterdam sicheres WLAN im öffentlichen Raum eingeführt, das nach einer kurzen Registrierung kostenlos genutzt werden kann. Die Büroausstattung macht einen einladenden Eindruck: die Mitarbeitenden nutzen Desksharing, es gibt Telefonkabinen, Sofaecken und gut ausgestattete Konferenzräume mit Beamern. Viele arbeiten mehrere Tage pro Woche im Homeoffice. In meiner ersten Woche nahm ich an einer Teamsitzung teil, bei der die Kolleginnen und Kollegen freundlicherweise ins Englische wechselten, sodass ich gut folgen konnte. Zudem wurde ein gemeinsames Abendessen mit dem vierköpfigen Team am Sloterplas organisiert.
Ich hatte die Gelegenheit, an einer Netzwerk-Konferenz im Stadtteil Nieuw-West teilzunehmen. Der Veranstaltungsort war eine Stadtteilbibliothek, in die Kiezakteure wie Schul- und Projektleitungen eingeladen waren, um sich besser zu vernetzen. Ein großes Problem, das angesprochen wurde, ist, dass Kinder mit Entwicklungsverzögerungen bis zu zwei Jahre auf Unterstützungsangebote warten müssen, was ihre schulischen Entwicklungsmöglichkeiten erheblich beeinträchtigt. Dies liegt unter anderem daran, dass der Bedarf in den letzten Jahren gestiegen ist und es nicht ausreichend Plätze gibt. Ein weiteres Hindernis ist die einkommensabhängige Beitragspflicht für die Vorschuljahre vom vierten bis sechsten Lebensjahr. Aus finanziellen oder anderen Gründen werden Kinder nach dem Kitabesuch bis zum vierten Lebensjahr oft wieder zu Hause betreut, wodurch sie bereits Erlerntes wieder vergessen. In kleinen Workshops wurden Ideen entwickelt, wie sich diese Situation verbessern und die Vernetzung optimieren lässt.

Ein weiterer spannender Termin war der Besuch einer Family School (“Amsterdamse Familie School”) an einer Grundschule in Zuidoost, einem Bezirk mit etwa 90.000 Einwohnern. Das Konzept der Family School besagt unter anderem: “Um sich optimal entwickeln zu können, braucht ein Kind ein herausforderndes Lernumfeld und mehr als nur Bildung. Die häusliche Situation und die Nachbarschaft sind ebenfalls entscheidend.” Die Familienschule bietet breite Unterstützung für Eltern und Kinder direkt in der Schule und fördert Talente durch ein vielfältiges, kostenloses Nachmittagsangebot wie Kochen, Kunst, Sport und Musik. Das Schulteam und alle Partnerorganisationen arbeiten gemeinsam und vernetzen sich umfassend. Die Finanzierung für vier Jahre kommt von der Gemeinde Amsterdam, und eine externe Projektleitung sorgt zunächst für die Vernetzung, bevor diese Verantwortung in die Hände der Schulleitungen übergeben wird. Die Programme werden wissenschaftlich ausgewertet, um herauszufinden, welche Angebote langfristig erfolgreich sind.

  • Büroaussicht

    Büroaussicht

  • Verwaltungsgebäude der Gemeinde Amsterdam

    Verwaltungsgebäude der Gemeinde Amsterdam

  • Innenstadt von Amsterdam

    Innenstadt von Amsterdam

  • Innenstadt von Amsterdam

    Innenstadt von Amsterdam

  • Besuch der Familie School an der Grundschule Achtsprong in Amsterdam Zuidoost

    Besuch der Familie School an der Grundschule Achtsprong in Amsterdam Zuidoost

  • Broschüre "Amsterdamse Familie School"

    Broschüre "Amsterdamse Familie School"

2. Woche

In der zweiten Woche habe ich mich dem Jugendhilfesystem in Amsterdam angenähert, das ich mit dem System in Berlin verglichen habe. Dort wird der Regionale Sozialpädagogische Dienst in den Stadtbezirken von sogenannten Eltern-Kind-BeraterInnen (OKT – Ouder- en Kind Adviseur Team) abgedeckt. Diese BeraterInnen haben feste Sprechzeiten in den Schulen der Umgebung. Ihre Zuständigkeit richtet sich nach der Meldeanschrift der Familie. Die Zusammenarbeit zwischen den Familien und den BeraterInnen ist freiwillig, und für Gespräche mit anderen Institutionen (z. B. Schule, Kitas) benötigen die BeraterInnen die Einwilligung der Eltern. Die Mitarbeitenden dieser OK-Teams sind SozialarbeiterInnen, die eng mit den Familien zusammenarbeiten, Hausbesuche machen und sie – ähnlich wie eine Familienhilfe – unterstützen. Zu Beginn des Hilfeprozesses wird gemeinsam mit der Familie ein sogenannter Perspektivplan erstellt, der dem Hilfeplan aus Deutschland ähnelt. Ein Computersystem stellt dabei Fragen, die helfen, das Ziel des Plans zu erarbeiten. Insgesamt finden je nach Bedarf etwa sieben bis acht Termine mit der Familie statt. Es gibt auch externe Organisationen, die verschiedene Angebote wie Musik-, Sport- und Kunstkurse sowie Scheidungsgruppen, Sprachlerngruppen, soziale Gruppen und Erziehungsberatung anbieten. Weitere Unterstützungsmöglichkeiten sind zum Beispiel der Einsatz eines Familienrats oder die Anbindung an PsychologInnen aus dem OK-Team. Die Kollegin berichtete mir, dass etwa 20 % der 34 Teammitglieder einen Migrationshintergrund haben. Renate hat mich dann zu einem Hausbesuch zu einer Familie mitgenommen. Es war sehr spannend, die Kollegin direkt in der Arbeit mit der Familie zu beobachten.

Ein weiterer interessanter Termin war das Treffen mit Marieke und Doris aus dem Projektleitungsteam von Amsterdam, das die Methode “Gewohnheit und Durchbruch“ (“Maatwerk & Doorbraken”) in der gesamten Verwaltung und deren Untergliederungen einführt. Vor etwa zehn bis fünfzehn Jahren wurden Aufgaben dezentralisiert, und so entstanden unter anderem die OK-Teams und niedrigschwellige Angebote in den Bezirken, die als “Sociale Basis” bezeichnet werden. Diese Angebote erreichen rund 80 % der Menschen. Allerdings gibt es 20 %, die von dieser Unterstützung nicht erreicht werden. Ursache hierfür war unter anderem ein großer Skandal im Sozialsystem (die “Kindergeldaffäre”), der zu einem erheblichen Vertrauensverlust in die Verwaltung führte. Der Staat hatte zu Unrecht ausgezahlte Gelder für die Kinderbetreuung zurückgefordert. Dies führte zu massiven Schulden, Wohnungsverlusten, der Fremdunterbringung von Kindern und sogar Suiziden. Die Regierung hat versucht, Wiedergutmachung zu leisten und spezielle Hilfen für die betroffenen Familien eingerichtet.

Die Methode “Gewohnheit und Durchbruch” umfasst sechs Schritte. Zunächst wird aus Sicht der KlientInnen eine Perspektive erarbeitet, dann wird das gesamte Umfeld und dessen Problemlagen betrachtet. Anschließend wird analysiert, welche Hilfen eingesetzt und Personen bereits involviert sind. Im nächsten Schritt werden Lösungen erarbeitet und Absprachen mit den KlientInnen und den BeraterInnen getroffen. Sollte keines der vorhandenen Unterstützungssysteme helfen, kann eine individuelle Ausnahme-Regelung getroffen werden. Alle BeraterInnen werden in dieser Methode geschult. Das Ziel ist, das Hilfesystem stärker auf die Bedürfnisse der KlientInnen abzustimmen und die verschiedenen HelferInnen besser zu vernetzen. In den Unterorganisationen gibt es Coaches, die die Teams bei der neuen Vorgehensweise begleiten.

Beim Besuch eines weiteren Netzwerktreffens in einem Kiez erhielt ich einen guten Einblick in die Arbeit vor Ort. Zunächst wurden Forschungsergebnisse der Kinderombudsfrau vorgestellt, die 70 Kinder und Jugendliche zu ihren Alltagserfahrungen befragt hatte. Die Kinder äußerten vor allem Diskriminierung, Rassismus und Mobbing als zentrale Themen. Anschließend besuchten wir ein Zirkus-Projekt, das verschiedene Angebote in einer großen ehemaligen Sporthalle im Kiez anbietet. Der Trainer, ein ehemaliger Boxer, ist bei der Gemeinde angestellt.

  • Poster der Maatwerk-Methode

    Poster der Maatwerk-Methode

  • Schulungs-Broschüre Maatwerk-Methode

    Schulungs-Broschüre Maatwerk-Methode

  • Turnhalle eines Zirkusprojekts in Amsterdam Nieuw-West

    Turnhalle eines Zirkusprojekts in Amsterdam Nieuw-West

  • Flyer des Zirkusprojekts

    Flyer des Zirkusprojekts

3. Woche

In dieser Woche habe ich mich erneut in den Südosten von Amsterdam zum OK-Team (regionales Eltern-Kind-BeraterInnen-Team) begeben. Das Gebäude, in dem das Team untergebracht ist, ist Teil eines Schul- und Kita-Komplexes und erinnert stark an unsere Familienzentren. Es wirkt sehr einladend, hell und gut ausgestattet. Vor Ort befinden sich nicht nur die Eltern-Kind-BeraterInnen (OKTs), sondern auch KinderärztInnen und PsychologInnen, die Eltern wohnortnah und unkompliziert beraten und bei Bedarf weitervermitteln. Ich habe mich mit Maike, einer Familienmanagerin des stadtweiten Jugendschutzteams (“Jeugd Bescherming”), getroffen. Sie ist einmal wöchentlich im Familienzentrum, um andere Fachkräfte zu beraten und zu unterstützen. Maike berichtete, dass sie unter anderem für Meldungen zum Kinderschutz zuständig ist, die von Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, der Polizei oder von den Kindern selbst kommen. Das Kinderschutzteam prüft die Gefährdungsmeldungen im Vier-Augen-Prinzip, trifft Sicherheitsvereinbarungen mit den Familien, schaltet das Familiengericht ein, organisiert Hilfen oder leitet die Familien gegebenenfalls an die OK-Teams vor Ort weiter. Maike erklärte mir, dass die umfangreichen Dokumentationspflichten vor einigen Jahren reduziert wurden. Es gibt unterschiedliche Ansprechpersonen für Familien, abhängig davon, ob es sich um Kinderschutzfälle handelt oder nicht. Dadurch kann es passieren, dass eine Familie viele verschiedene Ansprechpersonen hat. Zukünftig ist jedoch geplant, das System umzustellen und die Anzahl dadurch zu reduzieren, um die Kommunikation zu vereinfachen.

Nach unserem Gespräch konnte ich an einem “Fallteam” teilnehmen, einer familienbezogenen Fallbesprechung, wie ich sie aus meinem beruflichen Alltag kenne. Das Team bestand aus verschiedenen Fachleuten des Familienzentrums, darunter PsychologInnen, SozialarbeiterInnen, Hebammen, KinderärztInnen und die Jugendschutzberaterin sowie einer externen Person. Eine Fachkraft brachte einen Fall ein, der nach einem strukturierten Plan besprochen wurde. Am Ende wurden Ideen gesammelt, die für die weitere Beratung hilfreich sein könnten.

Am Donnerstag hatte ich die Gelegenheit, Rob zu treffen. Er ist einer der Gründer der Eigenkracht-Zentrale, die sich mit dem Thema Selbstermächtigung (“Eigenkracht”) beschäftigt, und jetzt im Ruhestand. Rob hat mir viel über das Konzept des Familienrats erzählt. Ein Familienrat ist ein informelles, begleitetes Treffen von Familienmitgliedern und ihrem Netzwerk, zu dem auch Freunde und Nachbarn gehören können. Bei diesen Treffen werden wichtige Themen, Entscheidungen oder Probleme gemeinsam besprochen. Das Ziel ist es, die Meinungen und Bedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen und Lösungen zu finden, die für die gesamte Familie akzeptabel sind. Der Familienrat fördert die Partizipation und die Kommunikation innerhalb der Familie. Er stärkt den Zusammenhalt und ermöglicht es, Konflikte auf konstruktive Weise zu lösen. Ursprünglich wurde dieser Ansatz vor etwa 30 Jahren in Neuseeland entwickelt. Dort wurde der Einsatz von Familienräten in nationales Gesetz eingebunden und hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Bevor weitere Maßnahmen ergriffen werden, muss zunächst ein Familienrat verpflichtend eingesetzt werden. Familienräte geben die Verantwortung an die Familien zurück, ihre Probleme eigenständig zu lösen. Damit dies gut funktioniert, muss Verantwortung aus dem Hilfesystem zurück an die Familien gegeben werden. Rob spricht auch von der Idee, dass dieser Ansatz unsere Gesellschaften und die Demokratie stärken, fördern und erhalten kann. In Deutschland wird dies beispielsweise in Ansätzen durch Bürgerräte versucht. Der entscheidende Punkt für den Erfolg ist die ernsthafte Anerkennung und Umsetzung der erarbeiteten Ideen. Die Partizipation führt zu mehr Selbstermächtigung und kann sowohl im Kleinen als auch im Großen stärken.

  • Familienzentrum in Süd-Ost Amsterdam

    Familienzentrum in Süd-Ost Amsterdam

  • Aushang am Familienzentrum

    Aushang am Familienzentrum

  • Eingangsbereich Familienzentrum

    Eingangsbereich Familienzentrum

  • ÖPNV Ein- und Auscheckbereich Metro

    ÖPNV Ein- und Auscheckbereich Metro

  • ÖPNV Metro

    ÖPNV Metro

4. Woche

Die Woche begann mit dem 30-minütigen “Weekstart” in der Gemeindeverwaltung. 50-60 Kolleginnen und Kollegen versammeln sich dafür in der Cafeteria. In kurzen Berichten von maximal drei Minuten präsentieren die Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Stadtteile ihre aktuellen Vorhaben und Projektstände. Beispielsweise wurde der Social-Media-Auftritt gezeigt und ein anderer Kollege schaltete sich von einem neu eröffneten Spielplatz zu. Am Ende des Weekstarts wurden die Reinigungskräfte des Bezirks nach vorne gebeten, um ihnen die Möglichkeit zu geben, von ihrer Arbeit zu berichten und ihnen ausdrücklich für ihren Einsatz zu danken.

Ich habe mich erneut mit Kolleginnen des Doorbraken-Teams (“Durchbruch”) getroffen. Diese drei Kolleginnen haben vor ihrer jetzigen Tätigkeit im Projektbüro in den Bereichen des Kinderschutzteams und des OK-Teams (regionale Eltern-Kind-Beratung) gearbeitet. Ihre derzeitige Aufgabe besteht darin, bei schwierigen Fallkonstellationen Fachkräfte und BürgerInnen zu beraten, den Hilfeprozess zu begleiten und zu verbessern sowie alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. Wenn standardisierte Lösungen nicht greifen, suchen sie individuelle Ansätze zur Lösung der Probleme. Auch hier hörte ich wieder, wie wichtig es sei, den “Blick durch die Augen des Klienten/der Klientin” einzunehmen. Gemeinsam wird untersucht, warum die bisherige Unterstützung gescheitert ist. Die Gründe dafür können in der Zusammenarbeit verschiedener Ämter, bestehenden Regelungen oder fehlender Finanzierung liegen. Das Projektteam bemüht sich, unbürokratische, pragmatische und klientenorientierte Lösungen zu finden. Anschließend werden die erkannten Hindernisse auf verschiedenen Ebenen analysiert und, wenn möglich, verändert.

Meine Kollegin Juliette im Team des Programms “Nieuw-West” berichtet mir über ihre Arbeit, dass es in dem Stadtteil seit Jahren viele Probleme gibt, die bisher schwer zu lösen waren. Mit dem Programm wird versucht, ein Bündnis aus Regierung, sozialen Organisationen und BewohnerInnen zusammenzubringen, um pragmatische Lösungen zu finden. Im März 2023 wurde der Vertrag “Wir sind Nieuw-West Together” unterzeichnet, der die gemeinsamen Werte, Ziele und Herausforderungen festlegte. An diesem Bündnis sind aktuell mehr als 65 Parteien beteiligt, darunter Wohnungsunternehmen, die Polizei, Staatsanwaltschaften, Wohlfahrtsorganisationen, Wirtschaftsverbände und Schulgruppen. Ziel des Programms ist es, durch eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Wohnen, Sicherheit, Bildung und Soziales eine bessere Zukunft für Nieuw-West zu gestalten und die Chancengleichheit zu erhöhen. Die praktische Arbeit ist durch Netzwerken mit den betroffenen Organisationen und Schlüsselfiguren geprägt. Die Schulen übernehmen einen wichtigen Part, da sie Zugang zu den Familien vor Ort ermöglichen. Angebote und Organisationen in die Schule zu integrieren ist daher eine entscheidende Aufgabe des Projektteams.

Mein Gespräch mit Rob, strategischer Berater bei Safe Home, der Beratungs- und Meldestelle für häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch, bildete einen inspirierenden Abschluss meiner Hospitation. In Amsterdam gibt es einen zentralen Meldebereich, der von 8 bis 22 Uhr Kinderschutzmeldungen von Organisationen, Fachkräften, Privatpersonen und SelbstmelderInnen entgegennimmt. Dort werden Meldungen nach einem festgelegten Ablauf bearbeitet: Bei dringenden Anliegen wird sofortige Hilfe geschickt, während weniger dringende Fälle an ein anderes Team weitergeleitet werden, das dann innerhalb von zehn Tagen Kontakt zur Familie aufnimmt. 80 % der Meldungen stammen von der Polizei; oft wird die Familie dann gemeinsam mit der Polizei aufgesucht. Rob betonte, dass die nachhaltige Arbeit mit den Familien durch die geteilte Verantwortung häufig erschwert wird. Er bestätigte meine Beobachtung, dass die AnsprechpartnerInnen für Familien in den Niederlanden je nach Bedarf und Schwere des Falls unterschiedlich und zahlreich sind. Er interessierte sich besonders für das Konzept der Familienhilfe, bei dem Fachkräfte durch das Jugendamt direkt in die Familien entsandt werden, um dort gemeinsam an Zielen zu arbeiten. Im familiengerichtlichen Bereich stellt das niederländische System derzeit auf den Einsatz von “Anwälten der Kinder” um. Dies wird bei uns bereits durch Verfahrensbeistände praktiziert. Dieses Gespräch hat mir wertvolle Einblicke in die Struktur und die Herausforderungen des niederländischen Kinderschutzsystems gegeben.

  • Cover des Buchs "The quiet revolution"

    Cover des Buchs "The quiet revolution"

  • Rückseite des Buchs "The quiet revolution"

    Rückseite des Buchs "The quiet revolution"

  • Flyer für ein Spielangebot im Kiez

    Flyer für ein Spielangebot im Kiez

  • Foto der Webseite Veilig Thuis (Sicheres Zuhause/Beratungs- und Meldestelle für häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch)

    Foto der Webseite Veilig Thuis (Sicheres Zuhause/Beratungs- und Meldestelle für häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch)

Fazit

Ich habe mich während meiner Hospitation sehr willkommen gefühlt und ein großes Interesse an meiner Arbeit und den Abläufen in Berlin gespürt. Bei jedem Termin, den ich wahrgenommen habe, ergaben sich viele neue Kontakte. Obwohl mein Hospitationsbereich nicht direkt mit meiner Tätigkeit in Berlin vergleichbar war, konnte ich dennoch wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Viele Herausforderungen der Stadtteile, wie Armut, Wohnungsnot, Fachkräftemangel, sind denen in anderen Großstädten ähnlich. Die neue Denkweise des Verwaltungshandelns war sehr inspirierend: ein umfangreicher Prozess, bei dem erhebliche finanzielle Mittel eingesetzt werden, um das Vertrauen der BürgerInnen in die Verwaltung zurückzugewinnen. Von dieser Denkweise würde ich gerne Aspekte in meinen beruflichen Alltag integrieren. Besonders beeindruckt war ich von der zugewandten, partizipativen und empathischen Arbeitsweise. Auch die Ausstattung der Büros und die Arbeitsregeln haben mich sehr angesprochen (öffentliches Internet, Desksharing, regelmäßiges Homeoffice, umfassende Digitalisierung, Sofaecken zum informellen Austausch). Papierakten habe ich während meiner Hospitation übrigens nicht gesehen. Die niederländischen KollegInnen, die ich in den vier Wochen kennenlernen durfte, waren reflektiert, leben eine Fehlerkultur und versuchen, Abläufe und Unterstützung für die Bevölkerung zu verbessern. Das Vertrauen in staatliche Organisationen ist den Handelnden wichtig und soll wieder zurückgewonnen werden. Ich bin mit dem Gedanken des in den Niederlanden erfolgreich angewendeten Familienrats-Konzepts, mit starker Partizipation und Eigenverantwortung, in die Hospitation gestartet und habe vor Ort festgestellt, dass dies eine Art Handlungsmaxime zu sein scheint, die sich an vielen Stellen meiner Hospitation wiedergefunden hat. Ich habe mich sehr gefreut, dass die Kommunikation – wie erwartet – durchgehend auf Englisch möglich war. Diese Auslandshospitation war für mich eine großartige Gelegenheit, meinen Blickwinkel zu erweitern, meine eigene Arbeit zu reflektieren und positive Impulse in den Alltag mitzunehmen.