Nach einem morgendlichen Austausch am Dienstag im großzügig gestalteten Pausen- und Besprechungsraum und ersten Begegnungen mit Teammitgliedern bespreche ich mit der Sozialarbeiterin aus dem Fachbereich “Soziale Arbeit mit Familien”, die für mich diese Woche die erste Ansprechpartnerin sein wird, die geplanten Termine für den Tag.
Ich erhalte eine Einführung in die Strukturen der Regionalstelle 21B, die aufgeteilt ist in die Fachbereiche: Familienzentrum, Schulkooperationsteam, Rechtsvertretung, “Soziale Arbeit mit Familie” (vergleichbar mit dem Regional Sozialpädagogischen Dienst – RSD) und “Mobile Arbeit mit Familien” (vergleichbar mit Sozialpädagogischer Familienhilfe nach § 31 SGB VIII).
Der Bereich “Soziale Arbeit mit Familien” bearbeitet die eingehenden Gefährdungsmeldungen in der Regionalstelle und nachfolgende Leistungen, die ggf. erforderlich sind. Dies kann u. a. die Vorgabe sein, ein Kind im Rahmen der Gefährdungsabklärung im Familienzentrum zum medizinischen Check-up vorzustellen, die Einleitung einer Hilfe durch die “Mobile Arbeit mit Familien” oder einer Hilfe in Vollerziehung (vergleichbar mit stationärer Hilfe zur Erziehung – HzE) in einem Krisenzentrum oder einer betreuten WG.
Täglich gibt es im Team “Soziale Arbeit mit Familie” einen Journal-Dienst/Anwesenheitsdienst (AW-Dienst) und einen Co-Dienst. Der Co-Dienst dient als Unterstützung für den Anwesenheitsdienst und kann zusätzlich von Kolleginnen und Kollegen aus dem Team z. B. als zweite Fachkraft bei einem Gespräch hinzugeholt werden oder übernimmt die Betreuung von Kindern, die von Elternteilen zu einem Gespräch mitgebracht werden, aber an diesem nicht teilnehmen sollen.
Der AW-Dienst übernimmt von Montag bis Freitag von 8:00 – 15:30 Uhr somit die Erstbearbeitung neu eingehender Meldungen per Telefon, E-Mail und Fax und bespricht mit dem Co-Dienst das weitere Vorgehen bei akutem Handlungsbedarf. Einmal wöchentlich erfolgt dann eine Fallverteilung der neu eingegangenen Meldungen.
In den Regionalstellen wird unter dem Begriff “Sozialer Dienst” vor allem die Arbeit in den Familienzentren verstanden. Das Angebot richtet sich an (werdende) Eltern zu fast allen Fragen rund um die Geburt und das Familienleben und basiert auf freiwilliger Basis.
Darüber hinaus ist in der Regionalstelle das Angebot “Mobile Arbeit mit Familien” integriert, welches als ambulante Unterstützung der Erziehung (UdE), vergleichbar mit ambulanter Hilfe zur Erziehung (HzE) in Berlin, mit Familien an deren Problemlagen in aufsuchender Form arbeitet – dieses Angebot beruht auf einer Mitwirkungspflicht der Eltern.
Ein wesentlicher Unterschied in der Struktur des Jugendamtes in Wien sind die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, die fast alle durch die Stadt angeboten werden. Die Abgabe von Hilfen an freie Träger der Jugendhilfe erfolgt selten. Gearbeitet wird in multiprofessionellen Teams mit Fachkräften der Sozialen Arbeit, mit sozialpädagogischen Fachkräften (in Teilen vergleichbar mit Erzieherinnen und Erziehern in Deutschland), Verwaltungsfachkräften sowie juristischen, psychologischen und medizinischen Fachkräften.
Durch meine Hospitation in der Regionalstelle habe ich die Gelegenheit, einen Einblick in die Arbeit der verschiedenen Bereiche (Basisarbeit) zu erhalten.
Am Dienstagnachmittag bietet sich darüber hinaus die Möglichkeit, an einem Gespräch im Krisenzentrum Nußdorf teilzunehmen. Es geht um die Betreuung einer 17-jährigen Jugendlichen, die aufgrund von Autonomiekonflikten nicht mehr zu Hause leben möchte. Der Ablösungsprozess, die unklare Beziehungsgestaltung der Jugendlichen zu ihrem Freund sowie eine ungewollte Schwangerschaft und in Folge dessen ein Schwangerschaftsabbruch haben vermehrt zu Konflikten und einer eskalierenden Situation innerhalb der Familie geführt, die eine Unterbringung der Jugendlichen im Krisenzentrum erforderlich machte.
Im Gespräch wird die Jugendliche auf die Bedeutung der Familie als soziale Ressource hingewiesen und dass eine stationäre Einrichtung der Jugendhilfe bzw. ein Krisenzentrum kein Ersatz dafür sei kann. Den Eltern wird verdeutlicht, dass Jugendliche z. T. von den Eltern unbemerkte Entwicklungsschritte vollziehen und sich vermehrt selbstständig durch das Leben bewegen. Darüber hinaus sollte aktiv der Kontakt zum Freund der Jugendlichen gesucht werden – bisher sei es in der Vergangenheit zur Kontaktvermeidung und zeitweise zum Kontaktverbot durch die Eltern gekommen, was die zunehmenden Konflikte weiter verschärfte.
Im Anschluss an das Gespräch bekomme ich die Gelegenheit, das Krisenzentrum zu besichtigen. Ein dauerhaftes Thema ist auch hier der hohe Bedarf an Krisenplätzen, fehlende räumliche Kapazitäten und fehlendes Fachpersonal. Die Anzahl der Kriseneinrichtungen wurde in den letzten Jahren zwar erweitert, der Bedarf stieg jedoch parallel, so dass die Platzsituation erneut angespannt ist. Die Zielgruppen der Kriseneinrichtungen sind Kinder und Jugendliche von 3 bis 15 Jahren. Ab dem 15. Lebensjahr erfolgt eine stationäre Krisenunterbringung nach Geschlechtern getrennt.
Babys und Kleinkinder von 0 bis 3 Jahren werden hingegen in Krisenpflegefamilien betreut. Der Ausbau von Betreuungsplätzen in Pflegefamilien wurde in der Vergangenheit durch eine gezielte Anwerbungskampagne forciert, führte jedoch nicht zum gewünschten Zuwachs an Pflegefamilien.
Um den steigenden Bedarfen an Krisenunterbringungen und den unterschiedlichen Bedarfen der Zielgruppen gerecht werden zu können, ist derzeit der Aufbau einer neuen Kriseneinrichtung für Kinder von 3 bis 6 Jahren geplant.
Am Mittwoch beginnt der Arbeitstag mit der wöchentlichen Fallverteilung für den Fachbereich “Soziale Arbeit mit Familien”. Unter anderem geht es um eine Mitteilung von der Staatsanwaltschaft hinsichtlich eines straffällig gewordenen Jugendlichen, bei dem der Verdacht einer Radikalisierung gegeben ist. Die Anzeichen dafür sind mit Fotos auf dem Handy des Jugendlichen von Cockpits aus Flugzeugen sowie Arbeitsbereichen vom Wiener Flughafen, zu dem sich der Jugendliche Zutritt verschaffen konnte sowie Fotos von NS-Devotionalien belegt.
Hierzu fällt mir mein Gespräch mit dem Kollegen der Stabstelle Extremismusprävention aus der ersten Woche ein und ich frage mich, ob und welche Maßnahmen in so einem Fall ergriffen werden. Gibt es ein standardisiertes Ablaufverfahren bei Mitteilungen dieser Art?
Die Frage kann mir nicht abschließend beantwortet werden, sodass ich in der letzten Woche meines Aufenthalts noch einmal eine Gelegenheit suchen werde, mit der Stabstelle für Extremismusprävention zu diesen Fragen in den Austausch zu kommen.
Im weiteren Verlauf des Tages habe ich Gelegenheit, mich mit der stellv. Leitung des Fachbereichs “Soziale Arbeit mit Familien” der Regionalstelle 21b auszutauschen. Dadurch bekomme ich noch einmal einen vertiefenden Einblick in die umfangreichen Maßnahmen der Fachkräftebindung für neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regionalstellen. Die so genannte Einschulung (Einarbeitung) erfolgt über einen Zeitraum von 1 ½ Jahren. Die Einzuschulenden werden in dieser Zeit durch die stellv. Leitungskraft des Teams eng begleitet. Neben der Arbeit in der Regionalstelle müssen die Einzuschulenden verpflichtend verschiedene Elemente wahrnehmen, u. a. die Willkommenstage sowie ein Trainee-Programm.
Zusätzlich findet einmalig im Rahmen der 1 ½-jährigen Einschulungsphase eine Austauschrunde des Referats Soziale Arbeit namens “Morning Coffee” mit den Einzuschulenden statt; die Teilnahme an diesem Termin ist freiwillig. Hier bekommen die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Gelegenheit, sich hinsichtlich ihrer Erfahrungen im Einschulungsprozess auszutauschen sowie Lob und Verbesserungsvorschläge einzubringen.
Für den Themenbereich Fachkräftebindung erfolgt derzeit durch das Referat Soziale Arbeit der QSO eine Qualitätsentwicklung. Es werden u. a. verbindliche Grundstandards in Form eines Handbuchs erarbeitet, um zukünftig eine einheitliche Einschulung in allen Regionalstellen gewährleisten zu können.
Am Nachmittag nehme ich am Schnittstellentreffen für Kooperationspartnerinnen und -partner, die im Bereich der Sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen in Wien tätig sind, teil. Das Angebot “Care Leaver”-Beratungsgutscheine wird vorgestellt. Es handelt sich um ein Angebot gefördert durch die MA 11 in Zusammenarbeit mit dem Träger SOS Kinderdorf. Junge Erwachsene, die von der stationären Jugendhilfe in die Verselbstständigung entlassen werden, können bis zum 24. Geburtstag im Rahmen einer mobilen Beratung zu fast allen Themen eine Begleitung erhalten, u. a. werden Finanz-Workshops angeboten.
Am Donnerstag erhalte ich die Gelegenheit, das Familienzentrum der Regionalstelle kennenzulernen. Dieses erstreckt sich über zwei Etagen, was die tägliche Begegnung und einen regelmäßigen Austausch unter den Fachkräften, die ein gemeinsames Team bilden, oft erschwert.
Das Familienzentrum ist unterteilt in drei Bereiche: Soziale Arbeit, Sozialpädagogik und Psychologie. Das Angebot der Familienzentren ist generell freiwillig. Jedoch können Zuweisungen durch den Fachbereich “Soziale Arbeit mit Familien” im Rahmen einer Gefährdungsabklärung erfolgen.
Die Fachkräfte der Sozialen Arbeit bieten finanzielle Beratungen, Beratungen bei drohendem Wohnungsverlust sowie Obsorge-/Kontaktrechtsberatungen an. Darüber hinaus wird ein Klinikverbindungsdienst zweimal wöchentlich angeboten. Bei Gefährdungen, die vor Geburt eines Kindes bekannt sind, erhalten die Geburtskliniken der Stadt Wien eine Liste mit den Namen der werdenden Mütter. Die Fachkräfte der Sozialen Arbeit in den Familienzentren werden dann in den meisten Fällen um eine Vorabklärung in der Klinik gebeten.
Die Arbeit im Familienzentrum versteht sich grundsätzlich als präventives Angebot, kann aber im Rahmen von Gefährdungsabschätzungen durch den Fachbereich “Soziale Arbeit mit Familie” hinzugezogen werden. Eltern müssen dann z. B. ein Elterntraining, das im Familienzentrum angeboten wird, nachweislich absolvieren oder Termine in der psychologischen Beratung oder in der medizinisch-sozialpädagogischen Sprechstunde wahrnehmen.
Die Öffnungszeiten im Familienzentrum für Auskunft, Informationen und Beratungen sind Montag, Dienstag und Freitag von 9:00 bis 13:00 Uhr sowie Donnerstag von 9:00 bis 15:30 Uhr; mittwochs ist das Familienzentrum geschlossen. Einmal in der Woche wird eine so genannten Abendberatung durch die Regionalstelle von 15:30 bis 17:30 Uhr angeboten. Während und über die Öffnungszeiten hinausgehend finden Angebote, wie die medizinisch-sozialpädagogische Beratung (erfolgt meist durch Zuweisung im Rahmen einer Gefährdungsabklärung), ein Geburtsvorbereitungskurs durch eine Hebamme, ein Eltern-Kind-Treff sowie ein Online-Kurs für werdende Mütter (Fragen rund um die Geburt) statt.
Die Fachkräfte der Sozialpädagogik in den Familienzentren haben in der Regel eine systemische Zusatzausbildung. Sie organisieren und bieten u. a. die Elterngruppen in den Familienzentren an. Darüber hinaus arbeiten Psychologinnen im Familienzentrum mit den Familien. Ein Therapiehund ist ebenfalls zeitweise vor Ort.
Im Gespräch mit einer Mitarbeiterin aus dem Familienzentrum erfahre ich auch, dass der Begriff “Jugendamt” in Wien so gut wie gar nicht mehr verwendet wird. Es wird von Wiener Kinder- und Jugendhilfe (WKJH) gesprochen – dies kann als eine Maßnahme im Rahmen eines Imagewandels des Jugendamtes verstanden werden. Der Begriff “Jugendamt” ist auch in Wien von negativen Assoziationen geprägt.