LoGo! Europe: Stephan Schikorra berichtet aus Utrecht

_Als bezirklicher Gesundheitsplaner arbeitet Stephan Schikorra an dem Ziel, die gesundheitliche Situation und die Lebensqualität der Menschen in Charlottenburg-Wilmersdorf zu verbessern. Im Oktober 2023 hospitiert er hierzu für vier Wochen bei den Kolleginnen und Kollegen der niederländischen Stadt Utrecht. Hier sein Bericht:_

1. Woche

Hauptbahnhof Utrecht

Ankommen in der Stadt Utrecht am Sonntag, dem 01.10.2023. Ich bin schon bei meiner Ankunft am Hauptbahnhof Utrecht beeindruckt. Utrecht hat den umsatzstärksten Bahnhof in den Niederlanden (rund 80 Mio. Menschen/Jahr) und ist für die Einwohnerzahl (rund 350.000) der Stadt beeindruckend groß. Besonderes Merkmal ist das Fahrradparkhaus im Bahnhof, was das größte der Welt sein soll.

Ich gehe zu dem Haus, in dem ich mein Zimmer habe (und quasi in einer WG wohnen werde) (1.300 Euro für die Zeit). Es ist wirklich klein, hat aber alles, was ich brauche und liegt vor allen Dingen super (12 Minuten zu Fuß zum Hauptbahnhof).

Ich starte eine Erkundungstour durch Utrecht und gehe auch den Weg zu meinem Arbeitsplatz. Der Weg zur Arbeit ist leicht gefunden, da das Verwaltungsgebäude direkt neben dem Bahnhof liegt. Im Gegensatz zu den Berliner Rathäusern hat sich die Stadt vor einigen Jahren ein neues Rathaus geleistet und ist dort mit allen ihren Abteilungen eingezogen. Es wirkt schon von außen modern, luftig und erhaben.

Utrecht ist eine Fahrradstadt. Was das aber bedeutet, muss man erlebt haben. Es sind wirklich viele Radfahrer unterwegs. Man sagt, dass an der meistbefahrenen Kreuzung rund 33.000 Radfahrer pro Tag langfahren. Die Mobilitätswende wurde hier bereits vor rund 30 Jahren gestartet. Damals machte man aus der auto- eine radfreundliche Stadt. Beim Queren eines Radweges ist es absolut notwendig, sich immer zu vergewissern, dass nicht doch irgendein Rad um die Ecke kommt.

Ich gehe weiter in die Altstadt und dort direkt zur Oudegracht. Diese alte Wasserstraße der Stadt, an der zu früheren Zeiten die reichen Bürger Utrechts ihre prunkvollen Häuser gebaut haben, ist heute der zentrale Ort zum Flanieren.

Am nächsten Morgen bin ich mit meinem Kontakt verabredet. Dafür geht es in das Verwaltungsgebäude in den 6. Stock. Meine Kontaktperson arbeitet in Utrecht in dem Bereich Gesundheitspolitik. Ich bin beeindruckt von der offenen Architektur und dem schicken Mobiliar des Verwaltungsgebäudes. Im 6. Stock gibt es ein kleines Café, was auch für die Bürgerinnen und Bürger zugänglich ist, dort treffen wir uns.

Mir wird das Gebäude gezeigt und Tipps gegeben, was man in Utrecht unternehmen kann. Dann steigen wir in die Arbeit ein. Ich werde mit Material versorgt und verschaffe mir einen vertiefenden Einblick in die Utrechter Gesundheitsförderung. Tags drauf gehen wir mit einer Kollegin von ihr durch, welche Leute ich alle treffen will. Diese werden in einer Mail benachrichtigt und gebeten, dass sie mich je nach Möglichkeit unterstützen mögen. Aufgrund der offenen Büros (papierfrei!) habe ich die ersten Termine schnell zusammen.

In den kommenden Tagen werde ich mehr zu Overvecht erfahren. Overvecht ist das Charlottenburg-Nord von Utrecht. Die Stadt hat es mit vereinten Kräften geschafft, die Situation dort merklich zu verändern. Das ist beeindruckend und die dortige Leiterin des Servicebüros gibt mir wertvolle Einblicke.

Kontakt habe ich auch zum Bereich Hitzeschutz. Ich werde direkt zu einer Onlinekonferenz eingeladen. Es ist eine nationsweiter Austausch. Eine Kollegin aus Frankreich erzählt, was in Frankreich in Sachen Hitzeschutz gemacht wird. Ich verabrede mich mit meiner niederländischen Kollegin, in den kommenden Tagen unser Gespräch weiter zu vertiefen.

Ebenso werde ich in die Vorbereitung der WHO-Konferenz des Gesunde-Städte-Verbunds eingebunden, die im November in Utrecht stattfinden wird. In diesem Kontext soll etwas zur Umweltgesundheit verfasst werden. Ich erhalte Material, was ich in den kommenden Tagen durcharbeiten werde.

Samstag morgen beschließe ich, eine Radtour zu machen. Man kann sich an allen Ecken in der Stadt Räder ausleihen. Ich gehe zu der nahgelegenen Willemstraat. Der Laden macht einen guten Eindruck. Ich leihe ein Rad ohne Versicherung für 8 Euro am Tag. Als ich das Thema Versicherung anspreche, meint der Verkäufer, ich solle doch positiv denken. Gleichzeitig gibt er mir aber noch den wertvollen Tipp, das Rad über Nacht in einen der zahlreichen Fahrradkeller zu stellen (ich suche nach _Fietsenstalling_ auf Google Maps). Die Fahrradkeller sind für 24 Stunden kostenlos, also genau das, was ich brauche, da es am Sonntag weitergehen soll.

  • Fahrradbrücke
  • Fahrradkeller

Die Radwege sind auch rund um Utrecht sehr gut ausgebaut. So kann es losgehen zu meiner ersten Radtour in und um Utrecht. Quasi in direkter Nähe zum Rhein aufgewachsen ist für mich das erste Ziel gesetzt. Es geht zum Neder Rijn. Der Rhein teilt sich in den Niederlanden in drei Arme, einer davon ist der besagte Neder Rijn. Zwischenziel ist der schöne Ort Wijk bij Duurstede, wo ich eine legendäre Pommesbude entdecke, in der ich, wie ich finde (es mag auch an meinem großen Hunger liegen) die weltbesten Fritten bekomme. Dazu gibt es die mir nicht nur durch den Reisebericht meiner Kollegin Katharina Zapf bekannten Bitterballen (s. Bild).

Es geht dann über den Neder Rijn weiter zu Haus Doorn. Das niederländische Exil von Wilhelm II. ist eines von vielen prächtigen Herrenhäusern und Schlössern, die einem in der Region begegnen.

  • Haus Doorn
  • Wilhelm II.

Am Sonntag setze ich dann meine Schlosstour fort und schaue mir das angeblich größte Schloss der Niederlande an: Kasteel de Haar. Hier muss man aber schon für den Parkeintritt 7 Euro bezahlen, deshalb schaue ich es mir lieber aus der Ferne an.

2. Woche

Der Montag startet dann mit einem Gespräch mit Inge. Ich treffe Inge in der Huiskammer in der 7. Etage. Das ist ein gemütlicher Bereich in der 7. Etage, wo man u. a. auch Kaffee und heiße Schokolade umsonst holen kann. Inge ist _adviser healthy living environment_. Das beinhaltet, dass sie Teil eines Regionalteams ist, um bspw. bei Neubauprojekten gesundheitsförderliche Inhalte mit einzubringen. In diesen Teams sitzen dann u. a. das Grünflächenamt, die Stadtplanung, die Stadtentwicklung, das Bauamt u. a. zusammen, um das Projekt zu planen. Inge betreut drei von 10 Regionen. Aktuell ist eines ihrer Projekte das Neubaugebiet Cartesius. Konkret bringt der Bereich Gesundheit vor allem umweltgesundheitliche Themen ein: wie bspw. Grünflächen, saubere Luft, Hitze und Lärm. Sie verkörpert damit eine Funktion, die wir in Berlin in Sachen Gesundheitsförderung nicht haben und die einen wichtigen Bereich ausmacht, um _Health in all Policies_ mit Inhalten zu füllen. Unterstützt wird sie in ihrem Tun zum einen durch eine Public Health Policy der Stadt Utrecht. Das ist ein 40-seitiges Dokument, bei dem gerade an einer Neuauflage gearbeitet wird, da die bisherige Policy für den Zeitraum 2019-2023 gerade ausläuft. In dieser Broschüre steht bspw. auf S. 19, dass Radfahrern und Fußgängern bei neuen Projekten eine höhere Priorität eingeräumt wird. Zum anderen gibt es auch eine gut sortierte Seite des nationalen Public-Health-Instituts, ein Institut, wie es ja nun auch ähnlich in Deutschland aufgebaut werden soll. Auf der Seite des RIVM (_Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu_) stehen u. a. belegte Anhaltszahlen, die Gesundheitsförderer für ihre Diskussionen mit den Akteuren der Verwaltung nutzen können.

Danach treffe ich Miranda. Miranda ist eine der vier Senior Adviserinnen. Monique aus Overvecht hatte ich ja bereits kennengelernt. Die Senior Adviserinnen sind vor allem in Regionen zuständig, die im Vergleich zu den anderen Regionen in Utrecht sozial benachteiligt sind. Aktuell hat Utrecht vier dieser Regionen. In diesen werden “Health Area Allianzen” aufgebaut. Diese Allianzen sind Plattformen, in denen unterschiedliche Akteure aus dem Bereich Gesundheit und Soziales miteinander arbeiten, u. a. auch Ärzte. Die Zusammenarbeit von Soziarbeitern (_Buurteam_) und Ärzten ist hier Teil eines normalen und organisierten Miteinanders. Zum Abschluss unseres Gesprächs lädt Miranda mich ein, bei der kommenden Strategierunde der Senior Adviser dabei zu sein und etwas aus unserem Bezirk zu erzählen. Das nehme ich gerne an.

Am Dienstag treffe ich mich mit Chris. Chris ist von extern und hat den Auftrag, innerhalb von 1,5 Jahren eine Projektbasis dafür zu entwickeln, dass Utrecht in 2035 eine rauchfreie Generation hat. Ein Schritt hin zu diesem Ziel ist, dass man im nächsten Jahr Zigaretten in keinem Supermarkt mehr bekommen wird. Schon heute sind Zigaretten in manchen Supermärkten regelrecht versteckt. Das Vorhaben ist Teil eines nationalen Präventionspaktes. Ganz pragmatisch versucht man im Rahmen der Rauchfrei-Strategien, die Menschen auch in ihrer Lebenswelt abzuholen. Die Nachbarschaftsteams gehen dann bspw. insbesondere auf die Leute mit wenig Einkommen zu, die rauchen. Sie regen an, ob der- oder diejenige nicht das Geld lieber woanders ausgeben will und bieten auf Wunsch auch Vermittlung zur medizinischen Unterstützung an.

In Overvecht geht man in Sachen Rauchfreiheit noch einen Schritt weiter. Hier wurden Mittel aus einem nationalen Fonds eingeworben, um einen Projektkoordinator für dieses Thema anzustellen. Ich werde hier besonders hellhörig, da Chris berichtet, dass sie für diesen Job extra jemanden aus der Region angestellt haben. Ich kann mir schlecht vorstellen, wie ein Koordinator Menschen dazu bringen soll, nicht mehr zu rauchen. Wenn es aber jemand am ehesten kann, dann jemand, der weiß, wie die Menschen dort fühlen und denken. Im Nachgang nehme ich mit Chris’ Unterstützung Kontakt mit dem Koordinator auf und frage per Mail an, ob ich ihn besuchen kann.

Urban green spaces brief

In den nächsten Tagen ziehe ich mich zurück. Ich hatte Miriam angeboten, einen 2-Seiter für Politiker in Sachen “Grün” und Gesundheit zu entwerfen. Ich habe mich bisher mit dem Thema “Grün” im Kontext von Gesundheitsförderung nicht intensiv befasst. Wie so oft wird es dann aber doch spannender als ich erwartet hatte. Ich recherchiere neben den WHO-Veröffentlichungen zu dem Thema in “PubMed” nach Studien, um mir selber ein konkreteres Bild zu machen. Auch wenn es noch weiterer Forschung bedarf, gibt es deutliche Hinweise darauf, dass alleine die Anwesenheit von Grün in der Stadt einen nachweisbaren Effekt auf die Gesundheit haben kann. Am Freitagnachmittag habe ich einen ersten Entwurf für den 2-Seiter zusammen.

Samstag, der 14.10. – ich habe eigentlich vor, eine Radtour zum Nationalpark Heuvelrug zu machen, leider spielt das Wetter nicht mit. Es ist regnerisch. Ich lese und arbeite etwas. Nachmittags klart es auf und ich entschließe mich, zu Fuß die Stadt weiter erkunden. Eine Erkundung kann man in Utrecht ganz strukturiert angehen, da die Altstadt in 5 Quartiere aufgeteilt ist: Dom, Stadthuis, Vredenburg, Museums- und Universitätsquartier. Heute will ich vor allem zum “Museumkwartier” und mir den südlichen Singel, also den Catharinensingel anschauen. Im Museumkwartier gehe ich zu den _seven steegjes_. Die katholische Armenfürsorge hatte in dem Viertel Mitte des 19. Jahrhunderts einfache Häuser für Arbeiter gebaut. Dass dort jeder von jedem wusste, es aber auch eine starke Gemeinschaft gab, ist leicht vorstellbar, wenn man durch diese kleine Siedlung geht. Wie kann man heutzutage den Gemeinschaftssinn und gute Nachbarschaften stärken? Eine enge Bebauung kann hier nicht die Lösung sein – aber mehr gemeinschaftsbezogene Infrastruktur wäre vielleicht hilfreich. Weiter geht’s am Catharijnen-Singel entlang, dieses Mal tatsächlich auf einem Spazierweg für Fußgänger. Der Singel ist ein Wasserlauf, der zur Verteidigung der Stadt einmal um sie herum verläuft. In den früheren Jahren gab es vier bewachte Brücken, über die man in die Stadt hinein konnte, heute gibt es natürlich mehr davon.

  • Eingang zum Museumkwartier
  • Seven steegjes
  • Catharinensingel

Am Sonntag geht es nach Amsterdam. Dort treffe ich eine Bekannte. Amsterdam ist sofort aus dem Bahnhof kommend großläufiger als Utrecht. Um den Bahnhof herum verlaufen die Grachten halbkreisförmig. Wir schlendern durch die Stadt von einer Gracht zur anderen, am Rembrandt-Denkmal vorbei und zum Anne-Frank-Haus. Wir schließen unseren Rundgang in den _Foodhallen_ ab. Die _Foodhallen_ sind ein ehemaliges Tramdepot, in dem nun viele kleine Imbisse eine große gemeinsame Sitzfläche bewirten. Es ist sehr gemütlich, trubelig und das Essen schmeckt super. Amsterdam ist eine trubelige und auch schöne Stadt. Ich freue mich, dass ich in den Genuss komme, die Stadt zu erleben und zu sehen.

  • Amsterdam
  • Gracht in Amsterdam
  • Rembrandt-Denkmal

3. Woche

Die Woche startet ruhig. Ich sortiere mich am Montag, am Dienstag treffe ich Miriam. Sie kontaktiert noch einmal Hanneke vom nationalen Public-Health-Institut. Ich wende mich jetzt doch an Jacko in Sachen Gesundheitsberichterstattung, ich will noch einmal von ihm hören, wie er seine Arbeit versteht und wo er genau seine Aufgaben hat. Vor allem will ich verstehen, wie das Monitoring organisiert ist – mal schauen.

Am Nachmittag startet ein Höhepunkt meines Aufenthaltes. Monique hat eigeninitiativ Peter Steijn gefragt, ob er mir Utrecht zeigen will. Peter ist mittlerweile in Rente. Bis im letzten Jahr war er Direktor des Bereichs Stadtplanung. Unter seiner Leitung wurde ein Konzept Utrecht 2040 entwickelt. An seinem letzten Arbeitstag wurde das Konzept verabschiedet. In dem Konzept geht es u. a. um Stadtgrün, Gesundheit und Soziales. Es geht darum, Antworten auf Fragen dazu finden, was eine Stadt braucht, wenn sie weiter wächst, um weiter lebenswert für alle zu sein. Miriam erzählt mir, dass Peter auch derjenige war, der sie anfänglich unterstützt hatte, als sie sich um eine Mitgliedschaft als Gesunde Stadt in der WHO bemühte.

Peter und ich treffen uns an den Treppen beim _Jaarbeursplein_. _Jaarbeursplein_ ist für den nicht Niederländisch sprechenden Menschen der Platz am Messegelände. Das Gelände grenzt direkt an den Bahnhof. Peter erklärt mir, dass es einen weiteren Stadtkern geben soll (Teil des räumlichen Konzepts “Utrecht 2040”). Die Altstadt soll entlastet werden. Der neue Kern wäre direkt hinter der Messe. Nun denn. Wir starten los. Wir fahren an einer stillgelegten Brotfabrik und einem stillgelegten Eisenbahnfabrikgebäude vorbei, letzteres wird mittlerweile durch diverse Architekten und anderes Gewerbe genutzt. Weiter geht es dann nach Overvecht. Wir besichtigen ein Haus, welches so ähnlich genutzt wird wie ein Stadtteilzentrum. Es unterscheidet sich aber auch davon. Hier gibt es bspw. u. a. auch die Möglichkeit, dass sich die Menschen für wenig oder gar kein Geld Essen besorgen können. Bei der weiteren Tour erinnert mich Overvecht stark an Charlottenburg-Nord. Es gibt viel Grün und viele vier- bis fünfstöckige Hochhäuser und eine große, vielbefahrene Straße, die die Anwohner von den gegenüberliegenden Feldern und Wäldern trennt.

Mittwoch starte ich mit der Präsentation für den kommenden Dienstag. Ich werde der Arbeitsgruppe, die die Arbeit in den benachteiligten Kiezen koordiniert, vorstellen, was wir und insbesondere auch ich bei uns in der Gesundheitsförderung machen.

Donnerstag treffe ich dann Iris und Hanneke. Ich vertiefe mich vorher noch einmal in die Utrechter und die niederländische Gesundheitsförderung bzw. das öffentliche Gesundheitswesen. Obwohl ich immer mehr weiß, kommen auch immer mehr Fragen. Ich mache mir eine Skizze, um die Struktur besser zu verstehen. Das hilft etwas. Dann kommt auch schon Iris. Iris koordiniert aktuell das Vorhaben “Übergewichtigkeit von Kindern”. Die politische Spitze möchte gerne, dass alle Kinder ein ordentliches Schulessen bekommen und erhofft sich, darüber die Übergewichtigkeit von Kindern zu reduzieren. Dafür wird eine Million Euro zur Verfügung gestellt. Da die Stadt in gutem Kontakt mit den Unternehmen ist, kommt auch von dieser Seite im Rahmen eines Sponsorings Unterstützung in Höhe von 400.000 Euro, erzählt mir Iris. Ihre Aufgabe bei dem Projekt war es u. a., ihren Chef davon zu überzeugen, dass ein gesundes Essen sehr wahrscheinlich nicht das Problem mit der Übergewichtigkeit lösen wird. So gibt es jetzt nicht nur Essen, sondern auch Informationsveranstaltungen und andere flankierende Maßnahmen. Wir kommen auf die Struktur zu sprechen. Iris geht noch einmal konkreter auf die Organisationsstruktur von _Volksgezondheid_ ein, was für mich sehr hilfreich ist. In dem gesamten Bereich arbeiten rund 280 Leute, wobei 30 in der Einheit von Iris arbeiten, in der ja auch Miriam und Inge tätig sind. Diese Einheit ist eher strategisch und beratend unterwegs.

Nach dem Gespräch mit Iris treffe ich Hanneke. Es ist beeindruckend, was hier in Sachen Public Health in dem nationalen Institut (RIVM) alles zusammenfließt. Hanneke betont, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Utrecht ist. Die Zusammenarbeit läuft auch sicher wegen der räumlichen Nähe sehr gut (das RIVM ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln rund 20 Minuten entfernt). Sie zeigt mir die unterschiedlichen Webseiten, die vom Institut geführt werden. Wir sprechen über das Cartesius-Projekt. Sie ist gespannt, zu welchen neuen Erkenntnissen man durch das Projekt kommen wird. Das RIVM wird es zusammen mit Utrecht intensiv monitoren. Ich bin immer wieder beeindruckt, was die Stadt in Bewegung setzt und in der Lage ist, in Bewegung zu setzen, um Gesundheit zu stärken. Das Cartesius-Projekt ist hier herausragend. Die Idee, aus dem Nichts eine Blue Zone zu errichten, ist ambitioniert, abgefahren und für die europäische Gesundheitsförderungsszene vielleicht wegweisend. Blue Zones sind Regionen, in denen die Menschen sehr häufig bei guter Gesundheit sehr alt, zum großen Teil sogar über 100 Jahre alt werden. Die Idee jedenfalls, dass man durch die Organisation des Wohnraums die Lebensdauer der Menschen signifikant verlängern will, ist inspirierend.

Am Freitag vertiefe ich mich in die Präsentation. Es macht Spaß, sich damit auseinanderzusetzen, was unsere Stadt, unser Bezirk und ich insbesondere in Sachen Gesundheitsförderung machen und welche Strukturen es bei uns gibt.

Der Samstag gibt sich leider wieder regnerisch. Ich entschließe mich nach einigen “soll ich oder soll ich nicht” doch, eine Tour zu machen. Ich fahre zur Verteidigungsanlage von Vechten und will wieder in die Heuwelrug, muss die Tour dann aber abbrechen, weil der Regen doch immer näher kommt. Die vielen Wasserläufe, das Grün auch innerhalb der Stadt und die komfortablen Radwege sorgen wieder für viel Spaß. Auch wenn die Fußgänger hier manchmal das Nachsehen haben, zeigt sich gerade bei den Radwegen, wie mutig die Stadt hier einen Weg gegangen ist, der der Entschleunigung gut tut. Die Radfahrer stehen hier an erster Stelle, die Autos in der Stadt müssen sich dem unterordnen.

Am nächsten Tag geht es nach Rotterdam. Rotterdam imponiert mit spektakulärer Architektur. Norman Forster hat hier u. a. im Hafengebiet Kop von Zuid das World Port Center gebaut. Schick alleine ist schon der Bahnhof von Rotterdam, der eine Bibliothek beherbergt. Rotterdam hat eine sehr lange Fußgängerpassage und mehr Grün in der Stadt als ich erwartet hätte. Nach einem erquickenden und ausgedehnten Stadtspaziergang durch eine beeindruckende Stadt esse ich noch eine Kleinigkeit in der sehenswerten Foodhall und fahre wieder nach Hause.

  • Brücke mit Jogger
  • Brücke in Rotterdam
  • Hafen in Rotterdam
  • Architektur in Rotterdam
  • Gracht in Rotterdam
  • Abend in Rotterdam

4. Woche

Am Montag arbeite ich an der Präsentation und treffe mich nachmittags kurz mit Miriam. Wir verabreden uns für Dienstag morgen. Dienstag morgen lässt sie mich wieder rein in den Mitarbeiterbereich, durch den man jeweils mit einem Ausweis muss.

In der 7. Etage sitzt die Abteilung _Volksgezondheit_. Dort präsentiere ich am Dienstag in einem der vier kleinen beglasten Besprechungsräume im Zentrum der Etage. Ich erkläre dem Strategie-Team des Co-Creation-Bereichs, wie der öffentliche Gesundheitsdienst und die Gesundheitsförderung in Berlin funktionieren. Vor allem die lebensweltorientieren Räume und der Umweltgerechtigkeitsatlas stoßen auf großes Interesse. Ein guter Termin. Danach treffe ich Jeroen. Inge hatte mich mit ihm in Kontakt gebracht. Er ist Teil des Co-Creation-Bereichs und kümmert sich wie Inge auch um das “healthy urban living”. Eine Position also, die durch den öffentlichen Gesundheitsdienst in Berlin zumindest in den Bezirken maximal rudimentär besetzt ist. Er erklärt mir, wie es dazu kam, dass Gesundheitsförderung so gut in das Verwaltungshandeln eingebunden ist. Vor ungefähr zehn Jahren sollte in Utrecht eine Schule direkt an der Autobahn gebaut werden. Einige Politikerinnen und Politiker problematisierten die damit einhergehenden gesundheitlichen Umweltbelastungen für die Schülerinnen und Schüler. Um zu einer wissenschaftsbasierten Entscheidung zu kommen, wurde der Bereich _Volksgezondheit_ mit einem Gutachten beauftragt. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass das die dortige Luftverschmutzung und Lärmbelastung gesundheitsgefährdend sind. Die Schule wurde nicht gebaut. Seitdem ist der Bereich Gesundheitsförderung Teil des öffentlichen Verwaltungshandelns. Gesundheit wurde zum Mittelpunkt des gesamten Verwaltungshandelns und Utrecht und auch die Provinz Utrecht wollen in der Sache Maßstäbe setzen. Die Provinz Utrecht beispielsweise, die Mitglied der europäischen Gesundheitsregionen der WHO ist, will die gesündeste Region Europas werden.

Jeroen und ich schauen uns noch einige Details von Cartesius an. Ich versuche zu verstehen, wie ein solches Projekt, was viel Geld kosten wird, Menschen mit geringem Einkommen einbinden kann. Jeroen erklärt mir, dass es unterschiedliche Blocks geben wird, die aber nach denselben Maßstäben der dortigen Gesundheitsförderung umgesetzt werden. Eine Sache wird auf jeden Fall allen zugutekommen: die gesamten Gleise sollen schallgedämpft werden. Eine Analyse der Lärmbelastung hatte diese Maßnahme notwendig gemacht.

Es bleibt spannend und nach wie vor nachdenklich inspiriert verabschiede ich mich von Jeroen. Den Mittwoch nutze ich, um einige Angelegenheiten in Berlin zu klären und meine Verabredung mit Miriam und Jan Willem am Donnerstag vorzubereiten.

Am Donnerstag treffe ich Miriam in der 6. Etage im Café. Wir steigen sofort inhaltlich ein, weil Miriam wegen der anstehenden Konferenz und ihres anstehenden Fluges nach Japan sehr eingebunden ist. Ich würde gerne verstehen, welchen Nutzen die Stadt davon hat, dass sie zwei internationale Mitarbeiterinnen beschäftigt, die nur für den Gesundheitsbereich unterwegs sind. Miriam zeigt mir die internationale Strategie der Stadt Utrecht. Direkt im ersten Satz steht: “In Utrecht wollen wir eine Stadt sein, in der Gesundheit im Mittelpunkt unseres Handelns steht”. Gesundheit wird genutzt, um Utrecht auch international Profil zu geben, um Gelder einzuwerben und um auf Gesetzgebungen, die die Gesundheit betreffen, bspw. in Brüssel einzuwirken. Die internationale Strategie ist in vier Bereichen verankert: Netzwerke, internationales Branding der Stadt Utrecht, neue Ideen für die Stadt und Finanzierung. Im Bereich Gesundheit nimmt die Strategie drei Handlungsfelder in den Blick: gesundheitliche Chancengleichheit, eine gesunde Entwicklung und die Unternehmen, die in dem Bereich aktiv sind. Auch hier sieht man wieder, dass die Stadt den sozialen Ausgleich zusammen mit der Ökonomie in den Blick nimmt.

Ich verabschiede mich von Miriam und begrüße Jan Willem. Jan Willem arbeitet im Bereich “Sport und Gesellschaft”. Das ist der Bereich, der sich um die Bewegungsförderung in der Stadt kümmert. Die Abteilung arbeitet mit dem Bereich Sport zusammen, der die Trainer für die einzelnen Angebote stellt.

Zentrales Koordinierungsgremium, um insbesondere sozial Benachteiligte in der Region einzubinden, ist die “Sport-Koalition”, erklärt mir Jan Willem. Die Sport-Koalition sitzt in unterschiedlichen Regionen der Stadt. Es sind 12 Organisationen, zu denen u. a. Jellinek gehört, ein großer sozialer Träger, der sich auch um Drogensüchtige kümmert. Teil der Koalition sind auch die Nachbarschafts-Sportcoaches. Ziel dieser Koalition ist es u. a., die benachteiligten Menschen teilweise auch mit Hilfe direkter Begleitung durch die sozialen Träger zu den Bewegungsangeboten zu bringen. Es gibt insgesamt 70 Coaches (Vollzeitäquivalente), die zum Teil auch über ein nationales Programm finanziert werden. Die Coaches haben neben der Durchführung von Bewegungsangeboten auch die Aufgabe, geeignete Teilnehmer:innen aus den Kursen dazu zu motivieren, selber Angebote anzubieten. Daneben beraten die Sportcoaches auch Vereine und Schulen, um Bewegungsförderung zu stärken und bieten Bürger:innen Unterstützung an, um die Bewegungs- und Sportangebote zu finden, die am besten zu ihnen passen.

Ich bin wieder beeindruckt, was Utrecht auch in diesem Bereich auf die Beine stellt und in Bewegung gebracht hat. Besonders beeindruckt bin ich hier von der Zusammenarbeit der sozialen Träger mit den Akteuren der Bewegungsförderung. Das wäre auch für uns sinnvoll.

Das Gespräch mit Jan Willem ist das letzte Gespräch im Rahmen meines LoGo!-Aufenthaltes in Utrecht. Was bleibt? Was nehme ich mit?

Utrecht scheint mir in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für den Bezirk zu sein. Insbesondere die klare Ausrichtung auf Gesundheit und die damit einhergehende Verbindung zur Stadtplanung, zur städtischen Ökonomie und zum sozialen Bereich sind inspirierend.
Cartesius und die internationale Strategie von Utrecht bieten eine Vorlage, in der Sache weiter zu denken und zu lesen. Die Aktivitäten im Bereich Bewegungsförderung, die erfolgreichen Maßnahmen in Overvecht werden mir auch in den kommenden Wochen Material bieten, um zu schauen, was ich damit weiter anfangen kann.

Die Aktivitäten im Bereich des “healthy urban living” werde ich den Kolleginnen und Kollegen im Regionalverbund Berlin des Gesunde-Städte-Netzwerks weitergeben.

Was für eine Zeit. Ich freue mich, dass ich die Gesundheitsförderung in Utrecht und die Stadt Utrecht und ihre Umgebung kennenlernen durfte. Es waren wunderbare und inspirierende vier Wochen.