Tafeltext:
Die Bauten von Paul Rudolf Henning gehören zur Erweiterung der Siedlung auf dem zum Volkspark hin abfallenden Gelände, mit der 1930/31 bereits kurz nach Fertigstellung des I. Bauabschnitts begonnen wurde. Drei gleich lange, dreigeschossige Wohnzeilen werden nach Norden hin in zweigeschossiger Höhe weitergeführt und ermöglichen so einen sanften Übergang in den Volkspark.
“Die Herabzonung der Reihe im Norden in zweigeschossige Bauten sucht Anpassung und Überleitung in den freien Baumbewuchs des anschließenden öffentlichen Parks Jungfernheide. (…) In den zweigeschossigen Häusern hat jeder Bewohner einen Anteil an den Dachterrassen, die auf Wunsch des Bezirks für Kranke eingerichtet wurden”, schrieb Henning dazu. Ein kürzerer Block mit vier Etagen schloss die Bebauung nach Westen hin ab. Da dieser II. Bauabschnitt im Rahmen des regulären Finanzierungssystems errichtet wurde, unterlag er damit den strengeren baulichen Bestimmungen der Wohnungsfürsorgegesellschaft. Dieser Umstand verbot leider die Entwicklung neuer Grundrisslösungen.
Hennings Zeilen greifen Material und Tongebung der südlich gelegenen Blöcke Härings auf und bilden mit ihnen – leicht versetzt zueinander liegend – farblich abgestimmte Hausreihen, die von den weißen Gebäuden Forbats im Osten und Gropius’ im Westen eingerahmt werden. Während die Hauseingänge an der eher flächig aufgefassten Ostseite liegen, wird an der westlichen Hauptansichtsseite Hennings Ausbildung als Bildhauer erfahrbar: Querrechteckige, an den Ecken abgerundete Balkone, die jeweils Platz für fünf Stühle bieten, treten selbstbewusst aus der Fassade hervor und lassen die Gebäude fast wie gebaute Skulptur erscheinen. Die größeren Wohnungen an den Südseiten haben anstelle der Balkone breite Blumenfenster, die – nach Henning – “neben einem freien Ausblick auf die vorgelagerte Wiese dem Grundriss ein Höchstmaß von Helle und Weiträumigkeit” geben sollen.
Henning erweiterte in den Jahren 1933/34 seine Zeilenbebauung im Westen um zwei spiegelbildlich angeordnete, balkonlose Blöcke.
Paul Rudolf Henning
1886 Berlin- 1986 Berlin
Architekt und Bildhauer
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg schuf Paul Rudolf Henning erste bauplastische Arbeiten zusammen mit den Architekten Emil Schaudt, Otto Rudolf Salvisberg u.a.. Er zog 1916 nach Zürich, wo er Kontakte zu DADA Zürich knüpfte; 1919 wurde er Mitglied im Berliner “Arbeitsrat für Kunst”. Erneute Zusasmmenarbeit mit Salvisberg, auch mit Erich Mendelsohn. Er blieb auch nach 1933 in Berlin; sei weiterer Werdegang kann als beispielhaft für viele, weniger prominente “moderne” Architekten gelten, die nicht emigrierten. Neben verstärkter Tätigkeit im Industriebau erweiterte er 1933/34 die Siedlung Siemensstadt nach vereinfachtem Entwurf. Andere Arbeiten wandten sich von seinen modernen Gestaltungsgrundsätzen ab. Die Bauten der Nachkriegszeit nahmen dann wieder Elemente seiner progressiven Arbeiten auf.