HIER WOHNTE
HEINRICH HELLMUTH
UNGER
JG. 1899
DEPORTIERT 17.5.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ
Helmuth Unger wurde am 1. Februar 1899 in Berlin geboren. Er war der Sohn des Berliner Kaufmanns Sigismund Unger und dessen Ehefrau Flora, geborene Meyer. Helmuth hatte einen Bruder namens Hans. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Helmuth und seinen Bruder haben sich keine Informationen ergeben. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt. Helmuth wurde als junger Erwachsener während des Ersten Weltkriegs rekrutiert oder er meldete sich freiwillig und zog sich während des Einsatzes eine Lungentuberkulose zu, die ihn später beruflich einschränkte und als erwerbsmindernd anerkannt war. Nach seinem Schulabschluss hatte er ein Studium der Medizin begonnen, dass er nach Ende des Ersten Weltkriegs abschloss. Er promovierte und erhielt 1925 die Approbation. Ab 1926 praktizierte er in Berlin als Allgemeinmediziner. In den 1920er-Jahren oder Anfang der 1930er-Jahren heiratete der Mediziner die sechs Jahre
jüngere Gerta Lepehne; am 11. Oktober 1931 kam ihr Sohn Stefan zur Welt. Die Familie lebte Anfang der 1930er-Jahre in einer Wohnung der zweiten Etage der Schloßstraße 96 in Steglitz. Leider haben sich keine weiteren Informationen ergeben, die einen Einblick in das Leben der Familie im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.
Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Helmuth Unger und seine Verwandten. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Abgesehen von Boykottmaßnahmen, behördlichen Schikanen und Verhaftungsaktionen wurde die Schlinge für jüdische Ärzte durch eine Flut von Verordnungen und Gesetze schrittweise enger gezogen: So wurden „nichtarische“ Ärzte mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933“ vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen, zwischen 1933 und 1937 wurden ihnen sukzessive mit insgesamt sieben Verordnungen die Kassenzulassungen entzogen, mit der Verordnung vom 20. November 1933 durften sie keine ärztlichen
Fortbildungskurse mehr besuchen und wurden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ausgeschlossen. Helmuth Unger wurde die Kassenzulassung am 1. Juli 1933 entzogen. Daraufhin legte der Arzt Beschwerde gegen den Entzug wegen „nichtarischer Abstammung“ ein. Mit einem Bescheid vom 13. September 1933 lehnte das Reichsarbeitsministerium die Beschwerde ab. Helmuth Unger wurde nicht als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs anerkannt und fiel damit nicht in die zeitweiligen Ausnahmeregelungen für Veteranen. 1933/1934 zog die Familie einige Häuserblocks weiter in eine Wohnung in der Schloßstraße 27 und ab 1935/1936 in die Schloßstraße 130. Ob die Familie in den 1930er-Jahren konkrete Schritte verfolgte, das Land zu verlassen, ist nicht bekannt. Sollten Pläne bestanden haben, so scheiterten diese. Am 30. September 1938 wurde Helmuth Unger wie allen jüdischen Ärzten und Ärztinnen mit der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen. Die Familie zog nach
Charlottenburg in die Wohnung von Gertas verwitweter Mutter Jenny Lepehne, geborene Demant, am Siemensdamm 2. 1941 konnte Helmuth Unger noch als „Krankenbehandler“ ausschließlich jüdische Patienten versorgen. In den letzten Jahren in Berlin war er zu Zwangsarbeit bei der Metall- und Elektrofirma „Ehrich & Graetz“ im Bezirk Treptow verpflichtet. Spätesten seit Ende der 1930er-Jahre und Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Ungers in Berlin zum reinen Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich nach der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.
Der Demütigung und Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 teilte die Gestapo der Jüdischen Gemeinde Berlin mit, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Die Familie Unger musste mitansehen, wie Gertas 64-jährige Mutter Jenny Lepehne am 26. Oktober 1942 aus der gemeinsamen Wohnung deportiert wurde. Sie wurde drei Tage danach, unmittelbar nach der Ankunft des Deportationszuges in Riga, in den umliegenden Wäldern von Rumbula erschossen. Helmuth Unger, seine Frau und sein Sohn lebten noch bis 1943 in Berlin. Im Zuge der „Fabrik-Aktion“, mit der die letzten offiziell in Berlin lebenden Juden deportiert werden sollten, wurde Helmuth Unger im Frühjahr 1943 entweder an seinem Arbeitsplatz auf dem Werksgelände von „Ehrich & Graetz“ oder in seiner Wohnung verhaftet und mit seiner Familie in eines der Berliner Sammellager verschleppt. Von dort wurden alle am 17. Mai 1943 mit dem 38. „Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz
deportiert und dort ermordet. Helmuth Unger war zum Zeitpunkt der Deportation 44 Jahre alt, sein Sohn Stefan elf.
Biografische Zusammenstellung
Indra Hemmerling
Weitere Quellen
Opferdatenbank Yad Vashem. Central DB of Shoah Victims’ Names. Online unter: http://yvng.yadvashem.org/ (aufgerufen am 22. Oktober 2019). Erinnerungsseite (Page of Testimony) zu Dr. Hellmuth Unger; Stefan Unger (erstellt von Ana Maria Kenigsberger)
Geburtsanzeige Helmuth Unger (Nr. 328, Berlin am 3. Februar 1899). Geburtsregister der Stadt Berlin 1874–1899. Faksimile online unter: ancestry.com (aufgerufen am 15. Oktober 2019)
Kennkarten zu Stefan Unger. Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RvD) Card File. Im Archiv des ITS Arolsen. Online unter: https://digitalcollections.its-aro… (aufgerufen am 16. Oktober 2019)
Deportationslisten. Reproduktion im National Archives and Records Administration, USA, Signatur A3355: Helmuth Unger (38. „Osttransport“, Lfd-Nr. 267); Gerta Unger, geb. Lipehne (38. „Osttransport“, Lfd-Nr. 266); Stefan Unger (38. „Osttransport“, Lfd-Nr. 268). Online unter: statistik-des-holocaust.de (aufgerufen am 22. Oktober 2019)
Eintrag zu Helmuth Unger. Eine Schachtel voller Schicksale. Electronic data regarding forced laborers who worked at the electricity factory ‘Ehrich & Graetz’ in Berlin, compiled from photographs and IDs of workers; data includes names, and dates and places of birth. Online unter: https://www.ushmm.org/online/hsv/p… (aufgerufen am 22. Oktober 2019)
Eintrag zu Hellmuth Unger, in: Schwoch, Rebecca (Hrsg.): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch, Potsdam 2009, S. 871