HIER WOHNTE
ROBERT GRAETZ
JG. 1878
DEPORTIERT 14.4.1942
GHETTO WARSCHAU
ERMORDET
Robert Graetz wurde am 5. Oktober 1878 in Berlin als eines von sechs Geschwistern in einfachen Verhältnissen geboren. Nach einer Kaufmannslehre gründete er 1907 zusammen mit dem gleichberechtigten Teilhaber Georg Glass die Damenmantelfirma Glass & Graetz im damaligen Berliner Zentrum für Bekleidungsfirmen im Umfeld des Hausvogteiplatzes in der Mohrenstraße 42/43. Die drei Jahrzehnte erfolgreich geführte Firma musste aufgrund der Repressalien durch die nationalsozialistische Herrschaft Ende 1939 ihre Produktion einstellen.
Graetz war in erster Ehe mit der jüdischen Opernsängerin Ella Graetz, geborene Wagner, verheiratet. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, die Tochter Hilda, geb. am 3. Mai 1912, und den Sohn Helmuth, geboren am 3. Dezember 1914. Unmittelbar nach Kriegsende erwarb Graetz 1919 eine Gründerzeit-Villa in der Erdener Straße 13/15 im vornehmen Stadtteil Grunewald. Das großzügig geschnittene Haus, das heute nicht mehr vorhanden ist, bot damals mit mehr als 500 qm Wohnfläche ein großbürgerliches Ambiente sowohl für seine gesellschaftlichen Verpflichtungen als auch für seine im Wachsen begriffene Kunstsammlung, die rund 200 Kunstwerke umfasste.
Nach Angaben der Tochter war der Vater ein sehr arbeitsamer und ehrgeiziger Unternehmer, der nur wenig Zeit für seine Familie hatte. Dieser Ehrgeiz und sein kaufmännisches Geschick sicherten ihm in den folgenden Jahren wirtschaftliche Erfolge, die es ihm ermöglichten, Anfang der 1920er Jahre mit dem Aufbau seiner Privatsammlung zu beginnen. Unterstützt wurde er hierbei maßgeblich von seinem Bruder Hugo, der zahlreiche berufliche wie private Kontakte zu Künstlern pflegte. Hugo Graetz, der seit etwa 1920 Geschäftsführer der Novembergruppe war und später eine eigene Galerie in Berlin betrieb, kann zu Recht als Spiritus rector der Sammlung seines Bruders bezeichnet werden. In den folgenden beiden Jahrzehnten erwarb Robert Graetz mit der Expertise seines Bruders sukzessive Kunstwerke von überwiegend zeitgenössischen Künstlern, die in Berlin tätig waren. Darunter befanden sich Gemälde von Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Wilhelm Kohlhoff, Papierarbeiten von Karl
Hagemeister und Käthe Kollwitz sowie Skulpturen von Ernst Barlach und August Gaul. Die Tochter Hilda erinnerte sich, dass das Haus ihrer Eltern einem Museum geglichen habe.
Dass Robert Graetz 1928 bereits einen beachtlichen Bestand an modernen Kunstwerken zusammengetragen hatte, beweisen seine Leihgaben von vorwiegend expressionistischen Gemälden, die er für die beiden Ausstellungen moderner Werke aus Berliner Privatbesitz 1928 an das Kronprinzen-Palais verliehen hatte. Im Februar 1933 trat Graetz noch einmal als Leihgeber, dieses Mal mit Gemälden von Schmidt-Rottluff, für das Kronprinzen-Palais in Erscheinung. Bereits im Herbst desselben Jahres erhielt er seine Leihgaben aufgrund der neuen Sammlungspolitik der nationalsozialistischen Machthaber jedoch zurück.
Am 28. April 1934 heiratete der verwitwete Robert Graetz zum zweiten Mal. Die ebenfalls verwitwete Bluma Haas, geb. Brin, war eine Jüdin aus Lettland, die ihren neunjährigen Sohn Werner mit in die Ehe brachte. Dieser hatte ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu seinem Stiefvater, der ihm die Welt der Kunst, Musik und Literatur eröffnet hatte. Rückblickend äußerte Werner Haas, dass er allein dem Stiefvater sein künstlerisches Interesse zu verdanken habe. Haas beschrieb ihn als einen schillernden Mann der Gesellschaft. „Er war ein wohlbeleibter, lustiger kleiner Herr, in Gesellschaft immer der Mittelpunkt, sprühend voll Witz und Leben.“ Die beiden erwachsenen Kinder von Robert Graetz wohnten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Villa.
Die Einschränkungen durch die „Nürnberger Gesetze“ am 15. September 1935 spürte auch das Ehepaar zunehmend. Durch die Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte musste die Textilfirma Glass & Graetz wirtschaftliche Verluste hinnehmen. Dies hatte Auswirkungen auf sein Privatleben: Ende 1935 ließ Graetz die große Villa in mehrere Wohneinheiten umbauen und bewohnte fortan mit seiner Frau eine Fünfzimmerwohnung innerhalb des Hauses. Weitere Zwangsmaßnahmen folgten im Laufe der Jahre. 1939 musste Robert Graetz seine Lebensversicherungen und seine Grundstücke mit hohen Verlusten veräußern, um den finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können.
Am 18. April 1940 ließ sich das Ehepaar zum Schein scheiden, wodurch die „deutsche Jüdin“ Bluma Graetz wieder zur Lettin und somit zu einer „Jüdin ausländischer Staatsangehörigkeit“ wurde. Eine derartige Taktik verfolgten zahlreiche Ehepaare, da ausländische Juden noch einen Sonderstatus besaßen, der ihnen für eine gewisse Zeit die Möglichkeit gab, Geld von Sperrkonten abzuheben. Die Scheidung von Robert und Bluma Graetz war vermutlich aus dieser Erwägung vollzogen worden, denn Graetz musste Ende 1940 schließlich dem Druck der Behörden nachgeben und sein Grundstück mit der Villa verkaufen.