HIER WOHNTE
MATHILDE LILLY
BIELSCHOWSKY
GEB. SIMON
JG. 1881
DEPORTIERT 5.9.1942
RIGA
ERMORDET 8.9.1942
Auch Henriettes Schwester Mathilde, genannt Tilly, war noch in Berlin. Mathilde Simon, in Osnabrück am 30. August 1881 auf die Welt gekommen, heiratete den 1868 geborenen Rechtsanwalt und späteren Justizrat Richard Bielschowsky. Das Ehepaar wohnte in der Rankestraße 55, die Anwaltskanzlei war in der Alexanderstraße. In der Rankestraße brachte Tilly 1907 ihren Sohn Ulrich zur Welt. 1911 zog die Familie in die Knesebeckstraße 43/44. Dort blieb Tilly auch noch nach dem Tod ihres Mannes 1920 wohnen – bis mindesten 1931. Ab dann ist sie nicht mehr im Adressbuch aufgeführt. Sohn Ulrich studierte wie der Vater Jura, und zwar in Genf, Bonn und Berlin, wo er 1929 sein erstes Staatsexamen bestand. Nach 1933 als Referendar entlassen, gelang es ihm noch Anfang 1934 in Bonn zu promovieren. Gleich darauf, im Februar dieses Jahres, wandert er in die USA aus. Tilly blieb in Berlin, wohnte nach 1940 wie ihre Schwester Henriette bei der Mutter in der
Rankestraße 9. Die drei Frauen waren mit den mittlerweile sehr erschwerten Lebensbedingungen für Juden konfrontiert. Juden konnten nicht mehr frei über ihr Vermögen verfügen, sie mussten alle Wertgegenstände abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt. Sie durften keine kulturellen Einrichtungen, auch keine Gasthäuser besuchen. Zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen, Lebensmittelzuteilungen waren beschränkt, auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Hinzu kam die Stigmatisierung und Demütigung durch das Tragen des Judensterns.
Im August 1942 musste Rosalie Simon erleben, wie ihre beiden Töchter von der Gestapo abgeholt wurden. Henriette Knopf und Mathilde Bielschowsky kamen in ein Sammellager, und wurden am 5. September 1942 vom Güterbahnhof Moabit aus mit weiteren 794 Berliner Juden nach Riga deportiert. Dort am 8. September angekommen, wurden alle, bis auf einige wegen ihrer handwerklichen Berufe ausgesuchten Männer, auf Ankunft erschossen.
Die 87-jährige Rosalie Simon blieb zunächst allein zurück. Im April des nächsten Jahres wurde aber auch sie abgeholt und am 19. April 1943 mit anderen 99 Menschen in geschlossenen Waggons nach Theresienstadt verschleppt. In diesem sogenannten „Altersghetto“ herrschten dermaßen katastrophale und menschenunwürdige Bedingungen, dass nur wenige sie längere Zeit aushielten. Von den 100 am 19. April 1943 Deportierten überlebten lediglich 16. Rosalie Simon war nicht unter ihnen, am 13. Dezember 1943 erlag auch sie den erbärmlichen Lebensumständen.
Auch Rosalies jüngste Tochter Dorothea wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Sie hatte den Chemiker Bernhard Landau geheiratet und 1919 einen Sohn, Thomas, zur Welt gebracht, sich jedoch später scheiden lassen. Sie lebte zuletzt in Paris, wurde aber nach Aussage ihres Sohnes nach Auschwitz deportiert und dort im Dezember 1944 ermordet. Die anderen Kinder Rosalies konnten rechtzeitig in die Schweiz, nach Chile oder in die USA emigrieren. Mathildes Sohn Ulrich Bielschowsky nannte sich in den USA in Ulrich Biel um. Er kehrte 1945 nach Deutschland zurück und machte sich als Politiker einen Namen, u.a. als Berliner Landtagsabgeordneter für die CDU.
Das Haus, in dem Rosalie Simon und Henriette Knopf in Berlin zuletzt freiwillig wohnten, existiert nicht mehr. Die Dörnbergstraße wurde im Zuge des Stadtumbaus 1980 ausgelöscht – wo einst das Wohnhaus stand, ist heute eine Grünfläche. Deshalb entschlossen sich die Nachkommen, die Stolpersteine am letzten gemeinsamen Wohnsitz der Urgroßmutter zu verlegen.
Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Statistik des Holocaust, Deportationslisten; Berliner Adressbücher; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer; Informationen von Marc Mülling, Essen.