Als Berta im Jahr 1921 zur Witwe wird, ist ihre Nichte Margot 25 Jahre alt. Die junge Frau hat keinen Beruf erlernt, war von 1919 bis 1930 Ehefrau, arbeitete Ende der zwanziger Jahre eine Zeitlang als Stenotypistin beim „Deutschen Beamten-Genossenschaftsverband e.V.“ und betrieb bis 1933 eine kleine Leihbücherei. Berta unterstützt ihre Nichte, so gut sie kann, vererbt ihr 1929 testamentarisch ihr gesamtes Vermögen, ihre Pensionsansprüche und ihre Lebensversicherung. Doch die über alles geliebte Nichte wird nie etwas davon bekommen, auch später – nach dem Krieg – nicht. Sie möchte wieder eine Familie gründen, doch die Machtübernahme der Nazis verhindert die Ehe mit einem „Arier“. Im Oktober 1933 wird Margots Tochter Antonie daher unehelich geboren, die Mutter der heute in Berlin lebenden Ilona Seedorf. Erst im Jahr 1958 wird die „Verbindung“ von Antonies Eltern offiziell als „Ehe“ anerkannt werden.
Berta verstärkt ihre Bemühungen, ihre Nichte Margot finanziell abzusichern. Vereinbart am 31. Oktober 1941 notariell eine Schenkung über ihr Vermögen. Es ist zu spät. Nur neun Monate später, im Juni 1942, verfügen die Nazi-Behörden den Einzug ihres gesamten Vermögens. Da war die 69jährige Berta bereits aus dem Haus am Kurfürstendamm getrieben und mit einem Lastwagen in das Sammellager Große Hamburger Straße 26 gekarrt worden. Am 18. Juni 1942 wurde sie mit dem Zug ins Ghetto Theresienstadt gebracht. Dort musste sie noch zwei Jahre unter grausamen Umständen verbringen. Am 19. April 1944 verstarb Berta Erdsiek. „Meine ‚Tante Spohn‘ mit dem riesigen Herzen blieb immer unvergessen“, sagt ihre Urgroßnichte Ilona Seedorf, „bei meiner Oma, meiner Großtante und besonders bei meiner Mutter, die über das Trauma ihrer Ermordung nie hinwegkam.“
Recherche und Text: Gudrun Küsel
Quellen: Berliner Adressbücher, Entschädigungsamt Berlin, Interview mit Ilona Seedorf, jewsineastprussia.de, Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zum Jubiläum der Pro Seniore Residenz Kurfürstendamm 100 am 01.02.2011, Yad Vashem, Ancestry: evangelische Kirchenbücher Halle und Saale 1760-1890.