HIER WOHNTE
ADELE
SALOMONSOHN
GEB MARCUS
JG. 1887
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
RIGA
Adele Salomonsohn wurde am 28. Dezember 1887 als Tochter des Kaufmanns Nathan Marcus und seiner Ehefrau Berta, geb. Senft, in Inowrozlaw geboren (heute Inowrocław / Polen). Im Grenzgebiet des Deutschen Reiches gelegen, gehörte der Ort damals zur Provinz Posen, von 1904 bis 1920 hieß er Hohensalza. Ungefähr die Hälfte der Einwohner waren Polen, man sprach Deutsch und Polnisch. Die kleine Stadt lag an der Netze, nicht weit entfernt von den Orten, in denen die Verwandten des späteren Ehemannes von Adele Marcus lebten. Die jüdische Gemeinde war groß, die wohlhabenderen und gebildeten Mitglieder sprachen Deutsch.
Vater Nathan Marcus besaß ein Manufakturwaren bzw. Herrenausstattungsgeschäft am Markt in Inowrozlaw/Hohensalza. Dort, wo auch andere Verwandte ihre Geschäfte hatten, standen meist zweistöckige Häuser. Im Parterre lagen die Läden, darüber die Wohnungen. Die Familie gehörte zu den wohlhabenden Bürgern.
Adele Marcus war eines von sieben Kindern, neben einer Schwester hatte sie fünf Brüder. Sie besuchte die höhere Töchterschule der Stadt und absolvierte dann die übliche hauswirtschaftliche Ausbildung, wahrscheinlich im elterlichen Haushalt. Eine der wenigen für Frauen möglichen Berufsausbildungen erhielt sie nicht: Sie „wartete“ auf den zukünftigen Ehemann. Und wie auch ihre Schwester bekam sie eine große Mitgift.
Am 31. Dezember 1910 heiratete Adele Marcus den 1877 geborenen Kaufmann Arnhold Salomonsohn aus Vandsburg (heute Więcbork/Polen), der ebenfalls aus einer Familie von Kaufleuten stammte und zu dieser Zeit in Mainz, im Westen Deutschlands, arbeitete. Am 15. November 1911 brachte Adele Marcus dort ihren ersten Sohn Manfred auf die Welt. Die Familie kehrte schon bald nach Vandsburg zurück, wo Arnhold Salomonsohn eines der Geschäfte seines verstorbenen Vaters übernahm. Adele Salomonsohn lebte als Hausfrau und Mutter. Im Ersten Weltkrieg war ihr Ehemann Soldat.
Nach dem Ende des Krieges verließen die Salomonsohns Vandsburg (das 1920 polnisch wurde) und gingen nach Berlin. Dort gründeten Adeles Ehemann und einer ihrer Brüder (die Vornamen wechseln in der Erinnerung und auf den Dokumenten) eine Großhandlung für Konfektion in der Nähe des Spittelmarktes. Die Familie wohnte in der (heute nicht mehr existierenden) Raupachstraße 9 in Berlin-Mitte, wo sie bis 1927/28 blieben. Am 12. Januar 1920 wurde der zweite Sohn Heinz geboren.
Nach einigen Jahren gaben Ehemann und Bruder die Großhandlung am Spittelmarkt auf und eröffneten drei Einzelhandelsgeschäfte in Berlin-Spandau, Berlin-Neukölln und in der märkischen Stadt Velten. Das Geschäft an der Victoriastraße in Velten trug als „Kaufhaus Hermann Jontofsohn“ den Namen des ehemaligen Eigentümers. Ehemann Arnhold Salomonsohn war der Alleininhaber, aber das Ehepaar leitete das Geschäft gemeinsam. Adele Salomonsohn war für den Einkauf und den Verkauf zuständig – eine leitende Position, denn zwei Verkäuferinnen gingen ihr zur Hand. Die Familie wohnte im selben Haus. Sohn Heinz ging in Velten zur Schule. Es war nach der Erinnerung einer Nichte ein „gutes Leben“. Dieses Leben endete 1933: Arnold Salomonsohn musste das Geschäft aufgeben. Das war auch das Ende der Tätigkeit von Adele Salomonsohn, die ja ohne formale Berufsausbildung war und nun wieder zur „Hausfrau“ wurde.
Die Familie ging nach Berlin zurück. Dort wohnte sie seit 1934 in einer 2-Zimmer-Wohnung im Parterre des Gartenhauses der Lietzenburger Straße 2 in Berlin-Wilmersdorf. Der ältere Sohn Manfred, der Exportkaufmann geworden war und nicht mehr bei den Eltern wohnte, emigrierte 1936 nach Südafrika. Sohn Heinz blieb bei den Eltern.
Ehemann Adolph Salomonsohn übernahm Vertretungen und scheint für kurze Zeit auch die Stelle seines emigrierten Sohnes bei der Firma Lichtenthal und Wieselberg am Kurfürstendamm übernommen zu haben. Sohn Heinz Salomonsohn musste als Jude das Gymnasium verlassen und arbeitete danach in einer Großhandlung. Zuletzt wurden Ehemann und Sohn zur Zwangsarbeit gepresst. Heinz Salomonsohn wurde zudem 1941 wegen eines Verstoßes gegen die Ausgangsbestimmungen für Juden festgenommen und inhaftiert. Über die Sorgen der Ehefrau und Mutter kann niemand berichten.
Am 5. September 1942 wurden Adele, Arnhold und Heinz Salomonsohn mit fast 800 anderen Menschen vom Güterbahnhof Moabit mit dem „19. Osttransport“ nach Riga deportiert. Nach drei Tagen Fahrt wurden 80 Handwerker zur Arbeit in das Ghetto geschafft, die übrigen Deportierten wurden gleich nach der Ankunft erschossen. Zu ihnen gehörte auch die Familie Salomonsohn.
In Berlin hatten auch mehrere Brüder von Adele Salomonsohn gelebt, sie wurden mit ihren Ehefrauen ermordet. Sohn Manfred Salomonsohn, der seinen Nachnamen änderte und sich Salo nannte, gründete in Südafrika eine Familie. Er starb 1978. Seine Kinder und Enkel haben die Stolpersteine gespendet.
Quellen:
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
BLHA Brandenburgisches Landeshauptarchiv: Recherche von Bettina Eisbrenner im Nachlass von Wolfgang Knoll
Deutscher Reichsanzeiger 1900, 1904, 1914
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
Labo Berlin Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Yad Vashem. Opferdatenbank
https://arolsen-archives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.mappingthelives.org/
https://www.statistik-des-holocaust.de/
https://www.juedische-gemeinden.de/
https://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/Content/65830/PDF/240.pdf (Der Gesellige vom 13.10.1915, Annonce)
https://www.bae-berlin.de/unternehmen/historie.html (Akkumulatorenfabrik Oberschöneweide)
https://www.yumpu.com/de/document/read/7206395/sonja-miltenberger-judisches-leben-am-text-o-verlag/ (Sonja Miltenberger: Jüdisches Leben am Kurfürstendamm, Berlin 2011)
https://www.heimat-der-vorfahren.de/index.php/Thread/6985-Selbst%C3%A4ndige-des-Kreises-Inowra-c-zlaw-Hohensalza-1895/ (Selbstständige des Kreises Inowraclaw (Hohensalza) 1895)